Endlich Nichtraucher - Warum ich dem Nanny-Staat dankbar bin

Mit „Nudging“ will die Regierung ihre Bürger zu besserem Verhalten erziehen. Auch bei der Zigarette: Unser Reporter war Kettenraucher, bis der Staat seinen Willen gebrochen hat. Er ist froh darüber

„Ich liebe Zigarettenrauch, bis heute“
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Constantin Magnis war bis 2017 Chefreporter bei Cicero.

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Natürlich war das eine Kampfansage: „Vergällen“ müsse man den Rauchern den Griff zur Zigarette, hatte Gesundheitsminister Christian Schmidt (CSU) noch im Februar erklärt. Es ist ein Beispiel dafür, wie sich die Regierung das „Nudging“ vorstellt, das paternalistische „Anstupsen“ der Bürger zu besserem Verhalten. Spätestens nachdem seit Ende Mai die Zigarettenschachteln nun auch in Deutschland großflächig mit verstörenden Bildern von Rachengeschwüren, faulenden Zähnen, weinenden Witwen und siechenden Säuglingen ausgestattet werden, muss man sagen: Mission accomplished, der Nanny-Staat hat gesiegt.

Der rauchende Widerstand ist gebrochen

Mit der Ästhetik der Kippenschachtel fällt die vorerst letzte Bastion im jahrzehntelangen Zermürbungskrieg der Gesundheitspolitik gegen die Rauchkultur. Seit Einführung des Zigarettenwerbeverbots im Rundfunk 1975, nach Rauchverboten in Bahnhöfen, Flughäfen, öffentlichen Verkehrsmitteln, Behörden und Gaststätten und dem Werbeverbot in Zeitschriften sind nun die letzten Nester ausgehoben. Der rauchende Widerstand ist gebrochen, auch meiner.

Die Schockbilder auf Zigarettenschachteln sind seit wenigen Wochen im Handel erhältlich. Ende Mai 2017 endet die Übergangsfrist, dann müssen alle Packungen im Handel so bedruckt sein. 

 

Etwa die Hälfte meines bisherigen Lebens habe ich Kippen geraucht, zuletzt ein bis zwei Schachteln am Tag, eher drei bis vier, wenn ich abends ausgegangen bin. Der Taschencheck ging: Schlüssel, Handy, Portemonnaie, Kippen, Feuerzeug. Nie hätte ich ohne einen dieser Gegenstände das Haus verlassen.

Das halbe Kabinett bestand aus Nikotinabhängigen

Kalter Rauch ist mein Stallgeruch. Mein Vater paffte seine Pfeifen und Zigarillos gemütlicherweise auch mit uns Kindern auf dem Schoß. Mein Großvater hat seine elegant aussehende Zigarettenspitze mit der unaufhörlich darin glimmenden Roth-Händle eigentlich nur zum Schlafen losgelassen. Und mein Lieblingsonkel fuhr mit mir mal Vollgas in den Straßengraben, weil ihn auch rasantes Autofahren in unübersichtlichem Gelände nicht davon abhalten konnte, sich eine seiner Lord-Extras anzuzünden.

Wer als Kind der 80er nach oben wollte, zumal als werdender politischer Journalist, musste nur den Rauchschwaden folgen. Jedenfalls galt das noch bis in die Schröder-Jahre, in denen immerhin das halbe Kabinett aus Nikotinabhängigen bestand: Scharping, Struck, Müntefering, Hombach, Fischer, Müller, Funke. Mehr gequalmt wurde damals wahrscheinlich nur unter Privatdetektiven, Berufskillern und unter Journalisten natürlich.

Fertig mit den Nerven? Kippe.

Standen die Redaktionsstuben aus der Anfangszeit meines Reporterdaseins so unter Qualm, weil der Beruf so furchtbar stressig war, oder doch eher, weil er entspannte Genussmenschen anzog? Beides war möglich, denn Kippe ging immer. Mega-Zeitdruck? Erst mal Kippe. Totale Langeweile? Kippe. Grund zum Feiern? Kippe. Fertig mit den Nerven? Kippe.

Zigaretten ergänzten das emotionale Auf und Ab des journalistischen Tagesgeschäfts perfekt, und vielleicht ist es kein Zufall, dass der Niedergang der Medienbranche begann, als Aschenbecher und Kette rauchende Chefredakteure allmählich aus Redaktionsbüros verschwanden.

Zwei Raucher, ein Vertrag

Dabei war die Kippe ein hocheffektives Heilmittel gegen die gnadenlos steigende Taktgeschwindigkeit der digitalen Medienwelt. Denn wenn es eine, nicht wegzudiskutierende, alle Selbsttäuschungen überdauernde, wirklich schöne Seite des Rauchens gab, dann war es der Zeitkapsel-Effekt der gemeinsam gerauchten Kippe.

Zwei Menschen, die beschlossen, zusammen eine zu rauchen, schlossen in Wirklichkeit einen Vertrag. Er garantierte für die Länge einer Zigarette ein Gespräch, dessen Dauer sich – anders als in jeder sonstigen Smalltalk-Situation – nicht durch zwischenmenschliche Chemie oder inhaltliche Qualität zu rechtfertigen brauchte. Der Kippe gelang es in diesen Momenten, Brücken über alle Hierarchien, jedes intellektuelle Gefälle hinweg zu schlagen, sie war dann der Kitt, der die unwahrscheinlichsten Menschenkombinationen zusammenhielt.

Wenn Leonid Breschnew und Helmut Schmidt sich trafen, haben sie erst mal eine zusammen geraucht. Das angebrochene Zeitalter der Nichtraucher brachte uns dagegen die Eurokrise, Stuttgart 21, die Russlandkrise, die AfD und den Brexit. Denken Sie mal drüber nach.

Rauchen kostete 120.000 Menschenleben

Es ist müßig darüber zu schreiben, wie absurd das Rauchen ansonsten war. Natürlich war es vor allem eine schwere Sucht, das Gegenteil der Freiheit, die der Raucher glaubt, mit seiner Gewohnheit auszuleben, die im Übrigen in Deutschland alleine 2015 rund 120.000 Menschen das Leben gekostet hat. Raucher sein ist wie unter einem chronischen Juckreiz zu leiden, den man durch Kratzen, den Kippenkonsum, nur verstärkt, um die temporäre Erleichterung dann zum Hochgenuss zu verklären.

Dass man trotzdem weiterraucht, liegt natürlich nicht daran, dass einem das nicht alles bewusst wäre. Das Problem war auch nie das Aufhören. Das versuchte man alle paar Jahre, es fühlte sich meistens heroisch und erwachsen an. Die Schwierigkeit bestand darin, nicht wieder anzufangen. Und so sehr mir staatliche Umerziehungsmaßnahmen vom Prinzip her zuwider sind, die Sache mit der Kippenvergällung hat ganz einfach hervorragend funktioniert.

So etwas wie Kautabak oder Bußgürtel

In meiner Schulzeit lag der gefühlte Überschneidungsgrad von coolen Leuten und Rauchern bei etwa 90 Prozent, die tatsächliche Raucherquote der 12- bis 17-Jährigen lag damals bei knapp 30 Prozent. Heute sind es gerade mal 10 Prozent, und das Land ist auch sonst beinahe raucherbereinigt. Das letzte Mal aufgehört Zigaretten zu rauchen habe ich vor vier Jahren. Ich habe bis heute nicht wieder angefangen, weil ich inzwischen ein Bier trinken gehen, auf den Zug warten oder in einer Redaktionskonferenz sitzen kann, ohne mir dabei ständig die Frage stellen zu müssen, ob ich eine mitrauchen sollte.

Für zukünftige Generation wird die Zigarette so etwas sein wie Kautabak oder Bußgürtel. Ein Epochengimmick. Im Fernsehen hat das schon begonnen. Da rauchen inzwischen vor allem noch schwulenfeindliche Chauvinisten, die Angst vor Schwarzen und außerdem ein Alkoholproblem haben. Die letzten, echten Raucher sind wie die Kirchgänger. Es gibt sie noch, aber sie werden immer grauer. Sie irren durch die Straßen, verzweifelt auf der Suche nach Feuer, das ihnen keiner mehr geben kann. Sie stehen am Flughafen, gedemütigt im plexiglasverschalten Rauchergehege, und versuchen normal zu gucken. Sie sterben aus.

Ich liebe Zigarettenrauch, bis heute. Auf diffuse Weise bin ich froh über jeden, der seine Gesundheit dafür opfert, die Rauchkultur aufrechtzuerhalten. Wenn vor mir einer auf der Straße raucht, laufe ich manchmal absichtlich und tief einatmend in seine Qualmwolke. Mein Verhältnis zum Nanny-Staat ist ziemlich angespannt, aber dass ich mir für dieses Erlebnis heute die Mühe eines unseriös aussehenden Ausfallschrittes machen muss, dafür bin ich ihm aufrichtig dankbar.

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