Angela Merkel und Emil Nolde - Gehören diese Bilder in den Giftschrank?

Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ im Kanzleramt zwei Bilder von Emil Nolde abhängen, obwohl er nachweislich zu ihren Lieblingskünstlern gehört. Die Verstrickungen des Künstlers mit dem Nationalsozialismus zeigt jetzt eine Ausstellung in Berlin. Kann man mit Nolde noch deutsche Wände schmücken?

Emil Noldes „Verlorenes Paradies“ ist nun im Museum Hamburger Bahnhof zu sehen / picture alliance
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Tobias Timm ist ein deutscher Journalist, Kunstmarktexperte und Sachbuchautor.

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Selten entfaltet eine Ausstellung schon vor ihrer Eröffnung eine derart starke Wirkung. Seit diesen Freitag ist im Museum Hamburger Bahnhof in Berlin „Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“ zu sehen, doch schon vergangene Woche entwickelte diese Schau eine solche Druckwelle, dass man im Bundeskanzleramt ziemlich verklemmt und kommentarlos zwei Nolde-Gemälde aus Angela Merkels Büro abhängte. Merkel selbst hatte sich 2006 das bunte Gartenbild und das Gemälde „Brecher" von 1936, eine gewaltig schäumenden Welle unter dunkelrot dräuender Wolkenlandschaft, als Leihgabe der Berliner Nationalgalerie ausgesucht.

Schon zu Jugendzeiten, verriet sie 2006 dem Cicero, sei die Kunst Noldes ihr Favorit gewesen. Diese Neigung teilte sie mit ihrem Vorgänger Helmut Schmidt, der 1968 an Siegfried Lenz schrieb: „Seit meinem 16. Lebensjahr ist Emil Nolde für mich, gemeinsam mit Ernst Barlach, der größte deutsche Künstler dieses Jahrhunderts; seine Einreihung in die NS-Ausstellung sogenannter entarteter Künstler löste bei mir als damals Siebzehnjährigen den Bruch mit dem Nationalsozialismus aus.“ Auch Schmidt hängte sich Nolde-Bilder in das Bonner Kanzleramt, machte sein Büro zu einem Nolde-Zimmer. Mit Noldes Blumen- und Wolkenbildern – so lautete die damals gängige Erzählung – hängte man sich ein Stück Widerstand gegen die Nazis an die Wände.

Ausarbeitung eines „Entjudungsplans“

Diesen Mythos zertrümmert die Ausstellung im Hamburger Bahnhof jetzt nachhaltig. Schon 2013 hatte Stefan Koldehoff in der Zeit neu aufgetauchte Schriften Noldes präsentiert, die einen deutlichen Antisemitismus bezeugten. Nach jahrelanger, akribischer Forschungsarbeit breiten nun der Historiker Bernhard Fulda und die Kunsthistorikerin Aya Soika in ihrer Ausstellung – und dem lesenswerten, zweibändigen Katalog (Prestel-Verlag) – sehr viele weitere Belege für die Nazigesinnung Noldes bis hin zum Kriegsende aus.

Erst Christian Ring, der neue Direktor der Nolde Stiftung Seebüll, hatte den beiden Forschern mit einer Öffnung der Archive diese Arbeit ermöglicht. Zu dritt haben sie die Ausstellung kuratiert und zeigen gleich zu Beginn Beispiele für einen Nolde-Kult, der in den 1910er- und 1920er-Jahren im Gegensatz zu einem zunächst als französisch, später als jüdisch diffamierten Impressionismus etabliert wurde.

Viele Künstler begeisterten sich nach der Machtübernahme Hitlers für den Nationalsozialismus, doch Nolde ging einen Schritt weiter: Er machte sich 1933 an die Ausarbeitung eines „Entjudungsplans“ für die deutsche Gesellschaft, den er Hitler persönlich vorlegen wollte. Er denunzierte Max Pechstein als Juden, pflegte Kontakte zu den höchsten Nazikreisen, wurde etwa von Himmler eingeladen. Umso größer war seine Enttäuschung schließlich, als seine Kunst ab 1937 als „entartet“ aus den Museen beschlagnahmt wurde. Noldes Gegner hatten sich in den kulturpolitischen Behörden durchgesetzt, doch hatte er weiterhin mächtige Fürsprecher im Regime wie Baldur von Schirach. Nolde fühlte sich – wie schon in den Jahren vor den Faschismus – als verkanntes Genie und radikalisierte sich in seinem Antisemitismus weiter.

Noch im Dezember 1944 glaubt er, dass man die Russen besiegen könne: „Der Bolschewismus muss gebrochen werden.“ Bis zuletzt hoffte Nolde – und das wohl nicht völlig unbegründet – noch als „deutsch, stark, herb und innig“ erkannt zu werden. So wurden seine Bilder nach 1938 auch wieder aus der berüchtigten Ausstellung „Entartete Kunst“ entfernt. 1940 zählte er zu den bestverdienenden Künstler, verkaufte seine Bilder etwa an Nazi-Industrielle. Auf seinen Gemälden waren jetzt allerdings keine biblischen Szenen mehr zu sehen, er mochte nach 1933 wohl keine Juden mehr malen. Dafür tauchten vermehrt Wikinger und Rekruten auf – Beispiele dafür lassen sich in Berlin begutachten.

Eine geschönte Vergangenheit

Die Ausstellung zeichnet aber auch die Legendenbildung nach dem Zweiten Weltkrieg nach, bei der etwa Werner Haftmann, der erste Direktor der Neuen Nationalgalerie in Berlin, kräftig mitwirkte. Ganz bewusst verschwieg Haftmann, der selbst, wie Nolde auch, NSDAP-Mitglied gewesen war, die Nazi-Affinität in seinen Nolde-Katalogen und half so den Mythos von den „ungemalten Bilder“ in die Welt zu setzen. Der wurde später von Siegfried Lenz für seinen Roman „Deutschstunde“ aufgenommen. Auch Nolde selbst schönte seine Memoiren nachträglich und vernichtete bestimmte Dokumente. Zwar konnte er nach 1941 wegen des Ausschlusses aus der Reichskunstkammer keine Bilder mehr ohne Genehmigung ausstellen oder verkaufen, ein durch Gestapo-Agenten überwachtes Malverbot gab es jedoch nie.

Mit einem neuen, durch diese Kenntnisse geschärften Blick sieht man in Berlin auf die bisher langweilig und harmlos anmutenden Blumenbilder, auf all die Dahlien, den Mohn und die Sonnenblumen. Die Bilder gewinnen eine neue, eine böse Ambivalenz. Die Ausstellung ist kein Aufruf zum Bildersturm, zur Verbannung von Noldes-Kunst in den Giftschrank, wie manche voreilige Kritiker nun vermuten. Im Gegenteil: Der bislang in Angela Merkels Büro hoch gesicherte „Brecher“ wird erst hier für ein breites Publikum sichtbar. Schon immer, sagt Bernhard Fulda, wurde mit den Bildern Emil Noldes auch die deutsche Identität verhandelt. Diese Debatte ist jetzt in eine neue Phase getreten. Einfach nur schmücken kann man sich mit Noldes Brecher, Burgen und Blumen allerdings nicht mehr.


Dieser Beitrag erschien zuerst bei Monopol.

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