Einheitliches Abitur - Der „Nationale Bildungsrat“ bleibt in der Mottenkiste

Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD und Union auf die Einrichtung eines Nationalen Bildungsrates verständigt. Er sollte einheitliche Bedingungen für Schulabschlüsse schaffen, um das Bildungsgefälle zwischen den Ländern zu verringern. Doch jetzt haben zwei Bundesländer die Reißleine gezogen

Fast geschenkt: Wettbewerb unter den Ländern soll das Niveau des Abiturs wieder heben / picture alliance
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Autoreninfo

Josef Kraus ist pensio­nierter Gymnasialdirektor und war von 1987 bis 2017 Präsident des Deutschen Lehrerverbands.

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Glaubt man bildungspolitisch orientierten Meinungsumfragen, dann ist der Bildungsföderalismus derzeit eines der größten Aufregerthemen. Alle anderen Bildungsthemen verblassen dahinter, schließlich ist alles ja immer „besser“ geworden: immer bessere Noten, immer höhere Abiturientenquoten, immer mehr „Akademiker“, immer weniger Sitzenbleiber. Was der Preis für dieses „immer besser / immer mehr“ ist, lassen wir mal dahingestellt. Hier nur so viel: Es ist das Ergebnis einer gut ankommenden Bildungspolitik, die all dies mit Niveauabsenkungen erkauft. Quantität und Qualität verhalten sich trotzdem reziprok.

Bleibt das Aufregerhema Bildungsföderalismus. Die „Gro“-Koalitionäre von CDU/CSU/SPD glaubten dieses Thema mit dem Koalitionsvertrag vom Februar 2018 bedienen zu können, indem sie die Einrichtung eines „Nationale Bildungsrates“ planten. Dieser „Rat“ sollte unter anderem „auf Grundlage der empirischen Bildungs- und Wissenschaftsforschung Vorschläge für mehr Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit im Bildungswesen vorlegen.“

Boykott der „Südstaaten“

Vergleichbarkeit! Im Volksmund wird daraus schnell ein „Mehr an Gerechtigkeit“. Skeptiker nennen es „Gleichmacherei“ auf niedrigem Niveau. Letzteres war dann auch jahrelang Praxis. Das innerdeutsche Bildungsgefälle hat zwar immer das gleiche Spitzentrio (Bayern, Sachsen, Thüringen, bis 2011 inkl. Baden-Württemberg) und das gleiche Verlierertrio (Bremen, Berlin, Brandenburg) ausgewiesen. Geändert aber hat sich daran nichts; eher orientierten sich die Besseren an den Schwächeren, die Schwächeren aber nicht an den Besseren.

Mit einem „Nationalen Bildungsrat“ sollte das anders werden. Aber daraus wird nun nichts. Gottlob! Denn die „Südstaaten“ Bayern und Baden-Württemberg haben den Plan zunichtegemacht. Warum der „Nationale Bildungsrat“ überhaupt im GroKo-Vertrag vorkam, bleibt rätselhaft. Der damalige bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer war damit einverstanden – gegen den Willen seines damaligen Kultusministers Ludwig Spaenle.

Bildungspolitische Geisterfahrt 

Nun hat Seehofers Nachfolger Markus Söder die Reißleine gezogen und den „Nationalen Bildungsrat“ für tot erklärt. Für Spaenle ist es eine späte Rache an Seehofer, wie er postwendend auf Facebook auskostete, als schrieb: „Ein Segen für Bayerns Schüler: der Ausstieg aus Seehofers bildungspolitischer Geisterfahrt mit einem Instrument aus der sozialistischen Bildungsmottenkiste.“

Unterstützung bekam Söder umgehend aus Baden-Württemberg. Die dortige Kultusministerin Susanne Eisenmann, die ja 2021 Ministerpräsidentin im Ländle werden will, hieb in dieselbe Kerbe – mit Wohlwollen ihres „grünen“ Landeschefs Wilfried Kretschmann, der sich längst zu einem veritablen Föderalisten entwickelt hat. Skeptisch hatten sich über den „Bildungsrat“ zuvor schon die CDU-Ministerpräsidenten Armin Laschet und Volker Bouffier geäußert.

Vereinheitlichung auf niederem Niveau 

Hätte man ein wenig in der jüngsten deutschen Bildungsgeschichte gestöbert, hätte man schon vor dem Koalitionsvertrag darauf aufmerksam werden können. Von 1965 bis 1975 gab es nämlich schon einmal einen „Deutschen Bildungsrat“. Dieser brachte 1970 den „Strukturplan für das Bildungswesen“ heraus. Ziel war eine Vereinheitlichung des Schulwesens – möglichst mittels Einheitsschule von Garmisch bis Flensburg und von Aachen bis Berlin.

Gewiss ist ein Bildungsgefälle innerhalb der Republik nicht nur ärgerlich, sondern auch ein Nachteil für junge Leute, beziehungsweise deren Eltern, die beruflich mobil bleiben müssen. Aber dieses Gefälle darf nicht beseitigt werden durch Vereinheitlichung auf niederem Niveau. Die Lösung kann also nur heißen: Wir brauchen einen Bildungsföderalismus, der ein echter Wettbewerbsföderalismus ist.

Wettbewerb garantiert Qualität 

Es darf kein wie auch immer ausgestalteter Zentralismus sein, der nicht auf dem Niveau der führenden deutschen Bildungsländer stattfindet. Jetzt sind einige, hoffentlich mutige Schulminister am Zug: Sie sollten – die Südstaatler wieder voran – endlich so manch hohle Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz zur Anerkennung der Abiturzeugnisse und der Zeugnisse der so genannten Mittleren Reife aufkündigen, wenn sich gewisse andere Länder nicht endlich nach der Decke strecken. Da steckt Brisanz drin. Aber Wettbewerb belebt noch immer das Geschäft. Und garantiert Qualität.

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