Ein Tier im Gepäck - Echsenalarm

Flugausfälle, Bahnchaos, Feuer, heftige Gewitter – dieser Sommer hat es in sich. Manchmal kommt es aber noch schlimmer. Marathonfahrten und Unwetter sind nichts gegen versteckte Echsen in der Zimmerecke. Von Sabine Bergk

Hat sich eine Echse ins Gepäck geschlichen? / picture alliance
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Autoreninfo

Sabine Bergk ist Schriftstellerin. Sie studierte Lettres Modernes in Orléans, Theater- und Wirtschaftswissenschaften in Berlin sowie am Lee Strasberg Institute in New York. Ihr Prosadebüt „Gilsbrod“ erschien 2012 im Dittrich Verlag, 2014 „Ichi oder der Traum vom Roman“.

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Mitten in der Nacht weckt mich ein Rascheln. In den Manuskriptkisten hat sich ein Tier eingenistet. Erst denke ich, es könnte ein Marder oder eine Maus sein. Es raschelt kurz, dann ist wieder Stille. Ich liege wach und denke, dass ich mich geirrt habe. Neben mir schläft das Baby, draußen klappert das Rad des Zeitungsboten. Habe ich den Zeitungsjungen mit einer Maus verwechselt? Kam das Geräusch doch von der Straße? Im Haus der Großmutter allein zu sein, ist wie eine Zeitreise. Vieles ist geblieben, gleichzeitig hat sich das Haus aus der Kindheit in einen lebendigen Dschungel aus Büchern und Reiseandenken verwandelt. Selbst die Mauern sind bis oben hin mit wildem Wein zugewachsen. Vielleicht ist über den Wein ein kleines Tier ins Zimmer geklettert, um sich vor dem herannahenden Sturm zu schützen? Ich versuche, zu schlafen. Wieder raschelt es in der Ecke. Kurz und schnell, wie bei einem Tier, das sich putzt. Nun bin ich hellwach, schnappe mir das schlafende Kind und ziehe sicherheitshalber ins Erdgeschoss um.

Der Hund ist gelangweilt

Am nächsten Morgen nehme ich einen Stock und forsche in den Kisten. Der Hund ist dabei, er soll den Marder finden. Seltsamerweise ist der Hund überhaupt nicht an den Kisten interessiert. Bei Mardern oder Mäusen müsste er doch vor Freude wild werden, schnuppern, jaulen. Nichts dergleichen passiert. Er sieht mich nur gelangweilt an und möchte in den Garten. Ich gehe die Kisten alleine an, in einer Hand den Stock, das Kind eng an mich gedrückt. Erste Kiste, nichts. Zweite Kiste, wieder nichts. Ich kippe die dritte Kiste zur Seite. Ein schwarzer Reptilienschwanz flutscht blitzschnell durch die Grifföffnung. Es ist eine Zeit her, dass ich einen spitzen Schrei ausgestoßen habe. In diesem Fall ging es nicht anders. Dieses flinke Ding, das sich in der Kiste verkrochen hat, war also kein Marder und keine Maus, es war überhaupt kein Nagetier, sondern ein Reptil. Vielleicht ein kleiner Salamander, eine Eidechse oder etwa gar eine Schlange?

Eines ist sicher: Das Reptil muss aus dem Zimmer. Kammerjäger, finde ich heraus, jagen Insekten und Marder. Wer aber fängt Reptilien? Ich beuge mich mit einer Plastiktüte über die Kiste und stülpe sie über die Öffnung, in die das schwarze Glibberding geflüchtet ist. Die Tüte reicht nicht aus. An der Seite ist die Kiste auch noch aufgeplatzt, dass überall Öffnungen und Fluchtmöglichkeiten bestehen. Alle Umzugskisten, die ich von Berlin ins Haus der Großmutter verschickt habe, um in der Wohnung Platz zu schaffen, waren aufgeplatzt. Der Karton war zu weich. Wohin das Tier geflohen ist, konnte ich nicht sehen. Es ging zu schnell.

In meinem Kopf wird die Echse immer größer

Ich nehme Abstand, lasse alles so stehen und rufe die Feuerwehr an, schildere den Vorgang. Wenig später kommen zwei Polizistinnen vorbei. Sie öffnen die Kisten, durchforsten die Ecke, klopfen mit dem Stock, leuchten unters Bett. Nichts. Das Tier ist nicht zu finden.

Stunden vergehen. Ich verbarrikadiere mich im Erdgeschoss und versuche mich an meiner geplanten Cicero-Kolumne über den Klimawandel. Gleichzeitig wächst über meinem Kopf eine Echse riesigen Ausmaßes heran. Inzwischen ist es ein Dinosaurier geworden. Am Abend, bevor das Rascheln zu hören war, hatte ich zufälliger Weise ein Kinderbuch mit Dinosauriern vorgelesen. Mr. Brown besiegt bei einem Dinosaurierrennen in Ascot die Queen. Einen Tag später schlage ich mich mit der Frage herum, was da für ein Reptil in der Zimmerecke kriecht, ob es eine große Echse oder gar eine Viper ist. Vielleicht war sie schon die ganze Zeit in der Kiste oder ist während des Transports zugestiegen?

Die Kisten stehen in den Lagerhallen ja alle zusammen. Ideal für asiatische Kriechtiere, die per Frachtschiff nach Europa kommen. Ein befreundeter Logistikunternehmer erzählte mir, dass in den Kisten oft kleine Eidechsen mitreisen. Er beauftragt dann eine Zoohandlung mit dem Fang. Als Dank kann die Zoohandlung sie gleich behalten und verkaufen. Einmal, erzählte mir der Logistikunternehmer, hätten sich Echsen im Reifen eines Oldtimers versteckt. Echsen reisen wohl gerne. Das kann ich ihnen nicht verdenken. Die Vorstellung, dass sich bloß eine kleine reisende Eidechse in meine Berliner Bücherkiste hineingeschlichen hat, wäre auch auszuhalten, bliebe nicht die Angst, dass es sich um eine Viper handelt.

Regt sich dort etwas Schwarzes?

Vorsichtshalber werde ich die nächsten Nächte wieder auf dem Wohnzimmerfußboden verbringen. Abends muss ich noch einmal durch den Flur, in dem die von den Polizistinnen durchforsteten Kisten stehen. Der Flur sieht wie ein Schlachtfeld aus, Bücher, Schachteln, herausragendes Verpackungsmaterial. Ich drücke mich an der Wand entlang, spähe auf die Yukkapalme. Regt sich dort etwas Schwarzes? Ich prüfe die Gardinenstange. Kein Tier in Sicht. Schnell husche ich durch den Flur. Die Kolumne über den Klimawandel gelingt nicht wirklich. Ich wollte den Klimaskeptikern etwas entgegensetzen und kämpfe stattdessen mit einer Echse.

Zum Zähneputzen muss ich noch einmal durch den Flur und vergesse den Haustürschlüssel oben im Bad. Die Türen sind abgeschlossen. Alle Fluchtwege müssen jedoch offen stehen, falls das Reptil die Treppe herunter kommt. Ich muss noch einmal zurück, den Schlüssel holen, an der Palme vorbei, das Kind dicht ans Herz gedrückt. Es wird dunkel. Schnell jage ich durch den Flur ins Bad, greife den Schlüssel, renne zurück und mache die Tür hinter mir zu. 

Echsen im Kinderzimmer

Da habe ich ganz Europa mit Kind und Hund durchquert, die Hitze in Calais und Köln erlebt, die zähen Wartezeiten durchgestanden – mit Echsen im Kindheitszimmer aber, habe ich nicht gerechnet. In London, las ich kürzlich, haben sich einige Reptilien aus den heißen Wohnungen befreit. Eine Würgeschlange fraß mitten am Tag auf offener Straße eine Taube. Es gibt keine Würgeschlangen in Norddeutschland, sage ich lautstark vor mich hin. Doch wer weiß schon, was in die Kiste während des Transports hineingekrochen ist? Auch bringt uns der Klimawandel irgendwann einmal andere Tierarten. Ich weiß, dass der Klimawandel für das Reptil in der Kiste nicht verantwortlich ist. Dennoch habe ich ein tropisches Gefühl, wenn ich an den ersten Stock denke.

Was ist nun dort oben, während ich hier unten die Kolumne neu tippe? Wie geht mein Sommer weiter? Eine Nachbarin sagte mir zu meiner Beunruhigung, es könnte kein kleiner Salamander sein, da Salamander nicht rascheln. Das stimmt. Salamander hört man nicht. Es muss also wirklich ein größeres Reptil sein. Ein reisendes Reptil, wenn man so will. Noch ist es zu ängstlich, um aus dem Versteck heraus zu kommen. Irgendwann aber, wird es hungrig sein.

Die Überraschungen der Sommerhitze

Eine Maulwurf-Falle soll ich mir kaufen und sie mit einem Stück Apfel präparieren, riet mir der zum Echsenspezialist gewordene Logistikunternehmer. Reptilien lieben die Dunkelheit. Bestellt ist sie schon. Hoffentlich ist in der Amazon-Kiste, die mir die Maulwurffalle bringt, nicht noch eine Echse. Man weiß ja nie, welche Überraschungen in der Sommerhitze einer Kiste auf einen warten. 

Es ist spät. Ich liege eine weitere Nacht auf dem Wohnzimmerfußboden, mit Hund und Kind, alle zusammen liegen wir eingerollt auf einer Decke. Die Matratze herunter zu tragen, habe ich mich nicht getraut. Ich muss an die Bettwanze denken, die ich kurz vorm Eurotunnel mit dem Schuh erschlug. Dieser Sommer ist wie ein kostenfreier Selbstverteidigungskurs.

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