Dreißigjähriger Krieg - „Die Politik beherrscht alles“

Der Dreißigjährige Krieg war Friedrich Schillers großes Thema. Was bleibt von seinen Einsichten? Herfried Münkler und Peter-André Alt diskutieren im Berliner Ensemble

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„Schiller entfernte sich von seinem Optimismus, als er sich in die Quellen einarbeitete“, sagt Peter-André Alt / Thomas Meyer
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Eines der bekanntesten Zitate Friedrich Schillers lautet: „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht.“ Gilt das auch für den Dreißigjährigen Krieg?
Peter-André Alt: Schiller wendet sich mit diesem prägnanten Satz gegen die Überzeugung, es gebe eine Wiedergutmachung am Jüngsten Tag. Die Geschichte soll als Geschichte betrachtet werden. Ein jenseitiges Prinzip ist in den Ereignissen erst einmal nicht erkennbar. Davon war Schiller als Historiker überzeugt.

Über zehn Jahre hat sich Schiller mit dem Dreißigjährigen Krieg beschäftigt. Wie lange, Herr Münkler, haben Sie sich diesem Krieg gewidmet?
Herfried Münkler: Sporadisch immer wieder, seit 2002 einigermaßen kontinuierlich. In meinem Buch über „Die neuen Kriege“ gab es ein Kapitel über den Dreißigjährigen Krieg. Nach dem Buch über den Ersten Weltkrieg wollte ich dann auf keinen Fall über den Zweiten Weltkrieg schreiben, da dieser, politiktheoretisch betrachtet, eher uninteressant ist. Der Dreißigjährige Krieg hingegen ist einer der spannendsten Kriege überhaupt, abermals politiktheoretisch gesprochen.

Schiller fühlte sich beim Schreiben des „Wallenstein“ laut eigenem Bekunden, als müsse er „ein Meer austrinken, und ich sehe manchmal das Ende nicht“. Wie kam er überhaupt zu diesem zehrenden Thema?
Alt: Als Historiker war Schiller abhängig von Tantiemen und Honoraren. Das Theater hatte sich als unzuverlässiger Mäzen erwiesen; er brauchte Geld. Da riet ihm 1789 sein Verleger Göschen, eine „Geschichte des Dreyßigjährigen Kriegs“ für den Damenkalender seines Verlags zu schreiben. Dieses lukrative Angebot konnte Schiller nicht ausschlagen. Er war pragmatischer im Umgang mit seinen Projekten, als man vermuten mag.

War Schiller zu dieser Zeit nicht bereits Professor in Jena?
Alt: Das stimmt, doch er bezog als außerordentlicher Professor kein festes Gehalt. So blieb er auf die Kolleggelder der Zuhörer angewiesen. Fatalerweise wurden aus den vielen Hundert Studenten, die Ende Mai 1789 seiner Antrittsvorlesung beiwohnten, bis zum Ende des Semesters gerade einmal 15.

Peter-André Alt: Der Literaturwissenschaftler schrieb die zweibändige Biografie „Friedrich Schiller. Leben – Werk – Zeit“ (2000). Er steht der Deutschen Schillergesellschaft vor, war bis Juli Präsident der Freien Universität Berlin und ist ab August Präsident der Hochschulrektorenkonferenz. Auch über Kafka (2005) und Sigmund Freud (2016) verfasste er Biografien

Göschen versprach sich also viel Geld von Schillers „Geschichte des Dreyßigjährigen Kriegs“.
Alt: Es gab einen großen Markt für lesbare historische Darstellungen. Die spätaufklärerische populäre Buchkultur hatte für eine stetig wachsende Zahl an Lesern gesorgt. Frauen waren ein besonders dankbares Publikum. In Bürgertum wie Adel waren sie bildungshungrig, konnten lesen und hatten Zeit.

Lesen heute nicht eher Männer Kriegsgeschichten? Wie verhält es sich bei Ihrem Werk, Herr Münkler?
Münkler: Das weiß ich gar nicht. Die bürgerlichen Salons des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts jedenfalls haben es den Frauen gestattet, Männern, die in Fragen des Krieges gerne das große Wort führten, Paroli zu bieten.

Hat der Markt Göschen und Schiller recht gegeben?
Alt: Es wurde ein Erfolg. Der historische Kalender für Damen hatte hohe Auflagen.

In seiner Jenaer Antrittsvorlesung zeigte sich Schiller als Optimist. Er sah einen geschichtlichen Zustand erreicht, in dem „die Schranken durchbrochen“ sind, „welche Staaten und Nationen in feindseligem Egoismus absonderten. Alle denkenden Köpfe vereint jetzt ein weltbürgerliches Band.“
Alt: Diese Sätze erklangen wie eine große Orchestermusik sieben Wochen vor dem Sturm auf die Pariser Bastille. Schiller hat nie wieder so optimistisch gedacht. Je genauer er sich in die Quellen einarbeitete, desto weiter entfernte er sich von diesem Optimismus.

Konnten Sie sich beim Schreiben von Schillers Zukunftsfreude anstecken lassen?
Münkler: Eher nicht. Weder die gegenwärtige Zeit noch meine Biografie verleiten zu Aufbruchshymnen. Mich und meine Generation – ich bin Jahrgang 1951 – hat eine gewisse Skepsis geprägt, bis hin zur Melancholie.

Peter André Alt: „Wer seine Möglichkeiten überspannt, wird von der Kraft der Ereignisse überrollt “

Auch diese war Schiller nicht fremd. Der Titelheld der „Wallenstein“-Trilogie gilt geradezu als Inbegriff eines Melancholikers …
Alt: … durchaus in Übereinstimmung mit den Charakterporträts seiner Zeit. Wallenstein sah sich unter dem Einfluss des Planeten Saturn. So wurde er vom Taktiker zum Zauderer. Er tut schließlich in seinen letzten Tagen im Februar 1634, die Schiller verdichtete, immer das Falsche.

Münkler: Wenn ich auf die Quellen schaue, habe ich den Eindruck, dass Albrecht von Wallenstein sich nicht derart stark von der Astrologie beeinflussen ließ, wie es Schiller darstellt.

Was trieb ihn stattdessen an?
Münkler: Wallenstein war durch den Krieg vom einfachen böhmischen Land­edelmann aufgestiegen zum Oberbefehlshaber der kaiserlichen Armee. Die Früchte des Erfolgs wollte er genießen. Er litt an Gicht, wohl auch an Syphilis und hatte keine rechte Freude mehr an der Schlacht. Also denkt er über Frieden nach, schon vor dem Regensburger Kurfürstentag von 1630, auf dem er vom habsburgischen Kaiser Ferdinand entlassen wurde. Sein Schwanken erwächst aus diesem Dilemma: Er braucht den Krieg, um Erfolge zu erringen, und er braucht den Frieden, um diese Erfolge genießen zu können.

Alt: Beim schillerschen Wallenstein – von keinem anderen rede ich – sorgt der Glaube an die Sterne für jenes geheimnisvolle Element, ohne das keine Tragödie auskommt.

Sie schreiben, Herr Alt, zentrales Element von Wallensteins Handeln sei die Verstellung gewesen. Er habe der eigenen Macht alles untergeordnet. Schiller machte also einen Unsympathen zum Helden seiner Trilogie.
Alt: Schiller rang sehr mit Wallensteins fehlendem Ideenhorizont, den seine Helden sonst alle haben. Wofür steht Wallenstein? Als Kind des Krieges wagt er sich an ein Friedenskonstrukt mit den eigentlich verhassten Schweden, scheitert und gewinnt so tragische Größe.

Auch Gustav Freytag, Alfred Döblin, Golo Mann schrieben über Wallenstein. War er denn wirklich derart zentral für den Dreißigjährigen Krieg?
Münkler: Dieser Krieg wäre ohne Wallenstein mit Sicherheit anders verlaufen. Er verstand es wie kein Zweiter, Söldnerheere aus dem Boden zu stampfen und sie zu organisieren. Und er dachte strategisch. Die Intervention des schwedischen Königs Gustav Adolf sah er früh voraus. Ein ganzes Armeekorps schickte er nach Polen, um durch Bindung der Kräfte den schwedischen Kriegseintritt zu verhindern. Nach dem Tod seines Kontrahenten Tilly 1632 verharrte Wallenstein in Böhmen, was ihm oft als Fehler vorgeworfen wird. Ein Vorstoß aus Böhmen in Richtung Donau wäre jedoch ungeschickt gewesen. Gustav Adolf hätte sich dann zurückziehen und Wallenstein auf das Schlachtfeld locken können, das ihm, dem Schweden, genehm war. So blieb er in Böhmen sitzen wie eine drohende Gewitterwolke und hielt Gustav Adolf davon ab, durch Bayern hindurch auf Wien zu stoßen. Wallenstein konnte militärische Konstellationen intellektuell durchdringen. Er begriff das Nichtstun als entscheidende Form des Handelns.

Herfried Münkler: Der Politologe veröffentlichte zuletzt „Der Dreißigjährige Krieg. Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618–1648“ (2017). Zuvor schrieb er u. a. „Der Große Krieg. Die Welt 1914 – 1918“ (2013) und „Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten“ (2005). Er lehrt an der Humboldt-Universität Berlin

Er handelte aber nicht im eigenen, sondern im habsburgischen Namen, für den Kaiser und das Reich und die Katholiken.
Münkler: Für Kaiser und Reich gewiss, bei den Katholiken bin ich mir nicht so sicher. Er wurde protestantisch getauft und konvertierte, vermutlich aus Karrieregründen. In seinen Ländern ließ er zwar die Gegenreformation durchführen, behielt aber zahlreiche protestantische Offiziere.

Schiller zeichne im „Wallenstein“ eine „trostlose Landschaft der politischen Macht, in die Zeichen von Hass und Gewalt eingegraben sind“. Ist diese Deutung, Herr Alt, einer außergewöhnlichen Kriegssituation geschuldet – oder wollte Schiller damit das allgemeine Wesen von Politik erfassen?
Alt: Beides. Schiller entdeckt im Dreißigjährigen Krieg ein Prinzip, das ihn lebenslang fasziniert hat: Macht wird um ihrer selbst willen angestrebt. Aus der rückwärts gerichteten Sicht des philosophisch geschulten und aufgeklärten Historikers diagnostiziert er der Politik des 17. Jahrhunderts, sie habe ihre Aktionsstränge ineinander verhakt, weil ihr der Ausbruch in einen neuen Ideenhorizont nicht gelang. Die konfessionellen Orientierungen kann Schiller nicht als Mittel zu diesem Durchbruch sehen. Sie stabilisieren nur die alten Machtordnungen.

Wieso stellt er dann in seiner „Geschichte des Dreyßigjährigen Kriegs“ den protestantischen Heerführer Gustav Adolf so schwärmerisch dar? „In der einen Hand das Schwert, in der anderen die Gnade, sieht man ihn jetzt Deutschland von einem Ende zum anderen als Eroberer, Gesetzgeber und Richter durchschreiten.“ Gustav Adolf legte Teile Deutschlands in Schutt und Asche …
Alt: … und Schiller verklärt ihn zur Lichtgestalt, obwohl es dem gesamten Krieg an neuen politischen Ideen mangeln soll. Das ist widersprüchlich. Im letzten Buch der „Geschichte“ wird die Figur demontiert. Sie betritt den Kreislauf von Ehrgeiz und Hybris. Wie alle anderen. Gustav Adolf verliert am Schluss seine gesamte Ideenkraft.

Ist Schillers Deutung des Dreißigjährigen Krieges mit ihrer idealistischen Perspektive heute überhaupt noch relevant?
Münkler: Man kann diesen Krieg nicht beschreiben, ohne die Fülle seiner bisherigen Beschreibungen im Auge zu haben. Schiller leistete einen zentralen Beitrag, um eine undurchsichtige Situation auszuleuchten. Er wollte, ehe er mit „Wallenstein“ begann, über Gustav Adolf schreiben und entschied sich dann für dessen großen Gegenspieler. Wallensteins Ende, der Vorwurf des Hochverrats, die Ermordung 1634 in Eger, ist dramatisch ergiebiger als ein kontingentes Ende auf dem Schlachtfeld. Dennoch ist auch Gustav Adolf eine in sich ambivalente Figur: Mischte er sich aus protestantischer Solidarität ein oder aus machtpolitischem Interesse? Bei Wallenstein beruht die Entscheidung für Krieg oder Frieden auf unterschiedlichen Strebekräften seines Handelns; bei Gustav Adolf sind die schwedische Hegemonie im Ostseeraum und der protestantische Eifer unentwirrbar verbundene Ziele. Der Grabstein nennt ihn „Christ und Held“ – am „und“ hängt sein Wesen. Dass Gustav Adolf uns heute als einheitliche Person gegenüber dem zerrissenen Wallenstein erscheint, ist auch Schillers Verdienst, insofern er Wallenstein und nicht den Schwedenkönig ausgeleuchtet hat.

Fand Schiller eine Antwort auf die Frage, worum es im Dreißigjährigen Krieg eigentlich ging und weshalb er so lange dauerte?
Alt: Schiller löste sich in der Arbeit von seinen eigenen dogmatischen Vorgaben. Die Universalhistorie, die er betreiben wollte, hätte verlangt, dass man sein Schreiben auf ein Endziel ausrichtet. Es hätte einer Stoßrichtung bedurft, eines Leitfadens. Stattdessen schreibt er eine erste Vorform der Strukturgeschichte und macht dabei mehrere Kriegsursachen aus: einen nur vorgelagerten Konfessionalismus, hinter dem hegemoniale und ökonomische Interessen stehen. Kaum jemand sonst untersuchte so früh die wirtschaftliche Dimension des Krieges. Und zeigte derart intensiv, wie Ereignisse andere Ereignisse auslösen, Gewalt Gegengewalt hervorruft. Zudem neigen bei Schiller alle Charaktere zur Überschätzung ihrer Möglichkeiten. Hybris kann einen Krieg verstetigen, gerade weil sich in ihm die Mechanik der Macht manifestiert.

Herfried Münkler: „Wallenstein begriff das Nichtstun als entscheidende Form des Handelns“

Münkler: Das Bild vom Schicksalsrad der Fortuna war Schiller geläufig. Das Glück dreht die Akteure nach oben, bis sie vom Pech ergriffen werden. Dann geht es nach unten. Die Fortschrittsunfähigkeit der Politik wird so beschrieben. Eigentlich waren die Klassiker von der Frage motiviert, ob es einen Fortschritt in der Humanität gebe. Der politischste Kopf unter den Idealisten, Schiller, wahrt nun im „Wallenstein“ Distanz zur Politik. Daraus spricht die Frustration darüber, dass die Französische Revolution in die Hände der Politiker gefallen ist.

Alt: Hinzu kommt, dass der Historiker Schiller sich am Dramatiker Schiller und dessen psychologischen Erkenntnissen orientiert. Bei Herder lernte er die Denkfigur der Nemesis kennen, der strafenden Gerechtigkeit. Schiller verwandelte diese metaphysische in eine psychologische und damit weltliche Kategorie: Wer seine Möglichkeiten überspannt, der wird von der Kraft der Ereignisse überrollt.

Für die wirtschaftliche Dimension des Krieges interessieren auch Sie sich stark, Herr Münkler.
Münkler: Jeder Krieg ist ein beschleunigter und besonders unproduktiver Ressourcenverbrauch. Wallenstein achtete immerhin darauf, das Land nicht völlig zu ruinieren, sodass es auch im kommenden Jahr Steuern zahlen konnte. Gustav Adolf bereitete den Krieg systematisch vor, indem er sich etwa die Kontrolle über sämtliche Flussmündungen in die Ostsee sicherte, um dort Zölle erheben zu können. So bekam er die Hälfte des Geldes zusammen, das er für sein Heer benötigte. Die andere Hälfte steuerten die Franzosen bei. Preußen nimmt sich dann im 18. Jahrhundert Schweden für seine Staats- und Armeereform zum Vorbild – ein anderer Langzeiteffekt des Dreißigjährigen Krieges.

Schiller zeigt im „Wallenstein“ die beklemmende Totalität eines Krieges, der alle Personen „in den Sog der Ereignisse“ zieht, auch jene, die sich ihr privates Leben bewahren wollen. Demnach, Herr Alt, haben wir in der Bühnentrilogie einen gegenwärtigen Befund vorgebildet: Dass die Politik alle und alles verschlingt. Dass auch die Liebe und der Alltag politisiert sind.
Alt: Das ist die entscheidende Botschaft des „Wallenstein“. Napoleons berühmtes Wort zu Goethe von 1808, „die Politik ist das Schicksal“, lässt sich rückübertragen auf das Drama. Im Schatten der Kriegsereignisse ist nirgends Platz für ein Idyll. Die Politik beherrscht alles.

Münkler: Da hat Schiller einen wichtigen Punkt getroffen. Das ist das Spezifikum des Dreißigjährigen Krieges gewesen: Dass es keine Dimension des Privaten außerhalb des Politischen gibt. Das religiöse Bekenntnis, das mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 zumindest teilprivatisiert wurde, gerät nun wieder ins Zentrum des Politischen.

Gustav Adolf starb bald nach seinem Kriegseintritt 1632, Tilly im selben Jahr, Wallenstein wurde 1634 ermordet. Dann erst begann der für Deutschland so katastrophale Französisch-Schwedische Krieg, über den Andreas Gryphius dichtete: „Wir sind doch nunmehr ganz / ja mehr denn ganz verheeret!“ Wäre der Tod der drei zentralen Akteure keine Gelegenheit gewesen zum Innehalten?
Münkler: Geschichte ordnet sich häufig erst im Rückblick. Zwischen 1631 und 1634 wurde letztmals versucht, den Krieg durch eine Schlacht zu entscheiden. Nachdem jene, die auf diese Option setzten, tot waren, wurde der Krieg zwangsläufig zu einem Erschöpfungskrieg. Seine vier Konfliktursachen – der Verfassungskonflikt zwischen Reichsständen und Kaiser, die konfessionellen Frontlinien, der Streit um den Landbesitz, schließlich der Hegemonialkonflikt – konnten nur in ihrer Gesamtheit gelöst werden. Daran war noch der Prager Friede von 1635 gescheitert, als der Kaiser Frieden schaffen wollte, ohne die Hegemonialfrage zu klären. Erst der Architekt des Westfälischen Friedens, Maximilian von und zu Trauttmansdorff, hielt Kompromissvorschläge für alle vier Streitpunkte bereit.

Mit welcher Erkenntnis beendete Schiller seine Forschungen? Die letzten Jahre behandelt er im fünften Band seiner „Geschichte des Dreyßigjährigen Kriegs“ sehr knapp.
Alt: Eigentlich schrieb Schiller eine Geschichte des 17-jährigen Krieges. Die letzten 13 Jahre handelte er rasch ab. Er war bei der Niederschrift schwer krank, am Rande des Todes. Zwischen 1789 und 1793 war er kaum arbeitsfähig. Aber auch in der Sache ist dieses Missverhältnis begründet. Er schaut auf die großen Schlachten, während ihn der Französisch-Schwedische Krieg kaum interessiert. Zunehmend gewinnt er den Eindruck, die großen Fragen seien nicht beantwortet und dennoch schleppe sich der Krieg dahin. Den Westfälischen Frieden bezeichnet er als „Riesenwerk“, das aufgrund seiner aufgeklärten Ideen 100 Jahre lang einen weiteren großen Krieg verhinderte, bis zum Siebenjährigen Krieg von 1756 bis 1763. Er rühmte den Ausgleich der Interessen, wie er 1648 in Münster und Osnabrück im Rahmen eines ebenso umfangreichen wie intellektuell anspruchsvollen Vertragswerks gelungen sei. Die hobbessche Idee, dass Verträge das friedliche Zusammenleben von Menschen garantieren, sah er verwirklicht. Dennoch kehrte er erleichtert zum Dramatischen zurück.

Ohne einen Vertrag mit dem Verleger wäre sein eigenes Riesenwerk gar nicht entstanden. Da trafen sich Theorie und Praxis. „Bewundernswürdig verflochten ist der Faden der Weltgeschichte“, resümierte Schiller. Das gilt erst recht für die Nachwirkung des Dreißigjährigen Krieges in der deutschen Geschichte. Sie dauert an bis heute.
Münkler: Betrachten wir den Dreißigjährigen Krieg wesentlich als Konfessionskrieg, dann ist er eine deutsche Angelegenheit, die die Reichsverfassung betrifft. Betrachten wir ihn auch als europäischen Hegemonialkrieg, dann hat Generalfeldmarschall Moltke, der Sieger von Königgrätz und Sedan, recht, wenn er 1890 in seiner letzten Reichstagsrede sagt: Künftige Kriege würden wieder Sieben- oder Dreißigjährige Kriege sein. Moltke warnt vor Kriegspolitik, weil diese vor dem Hintergrund europäischer Verflochtenheit zu langen, erschöpfenden Kriegen führen werde. Den unseligen Schlieffen-Plan im Ersten Weltkrieg verstanden die Generäle aber ebenfalls als eine Lehre aus dem Dreißigjährigen Krieg. Unter dem Eindruck der Verheerung Deutschlands meinte man, der Krieg müsse außerhalb Deutschlands ausgetragen werden. Insofern haben die Deutschen aus dem Krieg gelernt, aber dummerweise das Falsche.

Blieb Friedrich Schiller ein politisch denkender Künstler auch nach seiner Abkehr von der Historie, die er „überhaupt nur ein Magazin für meine Phantasie“ genannt hatte?
Alt: Unbedingt. Seine Idee einer autonomen Schönheit war eingebunden ins Politische. Er plädierte für die ästhetische Erziehung des Menschen, damit die politische Erziehung nicht scheitert und alte Gewaltverhältnisse überwunden werden können. Nur über Kopf und Herz lässt der Mensch sich aufklären. Dazu bedarf es der Kunst.

Münkler: In der politischen Ideengeschichte kommt man an Schiller nicht vorbei. Wer über Macht nachdenkt und die Frage, was die Macht mit Menschen macht, muss den „Wallenstein“ studieren. Aus dem Besitzstand der Literaturwissenschaft ragt Schiller am weitesten in die Politikwissenschaft hinüber.

Fotos: Thomas Meyer

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.











 

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