Digitalpakt Schule - Medienmündigkeit ist entscheidend

Mit dem „Digitalpakt Schule“ wollen Finanz- und Bildungsministerium die Digitalisierung an den Schulen vorantreiben. Dafür wollen sie viel Geld bereitstellen und sogar das Grundgesetz ändern. Wichtiger aber wären Konzepte, junge Menschen zu medienmündigen Bürgern zu erziehen

Schüler mit Tablets: bloß „digital natives“ oder souverän-mündige Medienbürger? / picture alliance
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Josef Kraus ist pensio­nierter Gymnasialdirektor und war von 1987 bis 2017 Präsident des Deutschen Lehrerverbands.

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Es war eine lange Schwangerschaft und eine schwierige Geburt: Beides hat der „Digitalpakt Schule“ nun womöglich bald hinter sich. Bereits im Herbst 2016 wollte die damalige Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) eine „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ starten. Lange wurde daraus nichts. Die von Wanka angepeilten fünf Milliarden Euro standen in keinem Haushaltsplan des damaligen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble (CDU). Vor allem aber gab es ein langes Hickhack um die Frage, ob für diese Offensive das Grundgesetz geändert werden müsse.

Das war der Haken. Denn das Grundgesetz erlaubte es dem Bund bislang nicht, in die Bildungshoheit der 16 deutschen Länder einzugreifen. Eingreifen würde er aber, wenn er eine Technologie finanzierte, die Auswirkungen auf pädagogische Konzepte hat – hier auf „digitales Lernen“. Vor allem CDU und CSU sprachen gerne vom Bildungsföderalismus als einem Kernstück des Föderalismus und verbaten sich jede Einmischung des Bundes. Wenn es allerdings um Geld ging, beziehungsweise geht, dann galten, beziehungsweise gelten diese hehren Grundsätze etwas weniger. Das war bereits von 2003 bis 2009 so, als der Bund das mit vier Milliarden Euro ausgestattete Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB) für einen Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen förderte.

Grundgesetzänderung für „digitalen Durchbruch“

Nun kommt er also doch, der „digitale Durchbruch“. Und das Grundgesetz soll doch geändert werden. Kein leichtes Unterfangen, das sich federführend Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hier vorgenommen haben. Denn für jede Änderung des Grundgesetzes bedarf es einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat. Weil Union und SPD allein schon im Bundestag weit von diesem Quorum entfernt sind und weil im Bundesrat eben auch Länderkoalitionen mit FDP und Grünen sitzen, mussten FDP und Grüne mit ins Boot geholt werden. Nun hat man sich zu viert (Union, SPD, FDP und Grüne) auf folgende Formulierung des neuen Grundgesetzartikels 104c geeinigt, der den Weg frei macht für den „Digitalpakt Schule“: „Der Bund kann den Ländern zur Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen sowie mit diesen verbundene besondere unmittelbare Kosten der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewähren. Artikel 104b Absatz 2 Satz 1 bis 5 und Absatz 3 gilt entsprechend." Bislang stand dort nur: „Der Bund kann den Ländern Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der finanzschwachen Gemeinden (Gemeindeverbände) im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewähren.“

Das heißt: Der Bund kann nun über fünf Jahre hinweg fünf Milliarden Euro in die Digitalisierung der Schulen fließen lassen. Die Länder sollen im Gegenzug wenigstens zehn Prozent Eigenanteil zuschießen. Damit können die Schulen unter anderem Laptops, Notebooks und Tablets anschaffen und WLAN, Lern- und Kommunikationsplattformen, Schulserver und so weiter ausbauen. Einzelheiten wollen Bund und Länder am 6. Dezember 2018 festlegen. Der Bundesrat will dann am 14. Dezember über die Grundgesetzänderung entscheiden. Offen scheint noch die Frage, ob sich FDP und Grüne in einer anderen Frage durchsetzen; beide wollen, dass der Bund auch das entsprechende Schulpersonal mitfinanzieren darf.

Trotz hoher Investitionen keine großen Sprünge möglich

So weit, so gut? Nun ja, Deutschlands Schulen vor allem in den finanziell schwächeren Ländern und Kommunen werden sich über den Geldregen freuen. Den Wermutstropfen freilich liefert eine simple Rechnung: 5 Milliarden in 5 Jahren für rund 42.000 Schulen in Deutschland – was bedeutet das? Nicht viel, nämlich pro Jahr und Schule etwa 24.000 Euro. Das ist zwar eine Milchmädchenrechnung, denn berufsbildende Schulen des gewerblichen und kaufmännischen Bereiches haben einen anderen Bedarf als Grundschulen. Die Größenordnung aber zeigt, dass – zumal wenn auch noch Personal mitfinanziert werden soll – hier keine großen Sprünge zu erwarten sind. 

Zumal der Digitalpakt auch schon wieder wackelt. Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein wollen die zur Abstimmung anstehende Vereinbarung zur Änderung des Grundgesetzes zumindest in der vorliegenden Form nicht akzeptieren. Das könnte den Zeitplan sprengen. Zudem wird in einer aktuellen Vorlage des Haushaltsausschuss des Bundestages folgende Fassung des Artikels 104b, Absatz 2, Satz 5, vorgeschlagen: „Die Mittel des Bundes sind in jeweils mindestens gleicher Höhe durch Landesmittel für den entsprechenden Investitionsbereich zu ergänzen; sie sind befristet zu gewähren und hinsichtlich ihrer Verwendung in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen.“

Entscheidender als Software sind pädagogische Konzepte

Wie dem auch sei, viel entscheidender ist etwas anderes, und da sind die Bundesländer am Zug. Es geht um die Frage, wie es das Bildungssystem hinbekommt, junge Menschen zu medienmündigen Bürgern zu erziehen. Das ist eher keine Frage der Ausstattung mit Hard- und Software, sondern eine Frage des richtigen Einsatzes digitaler Medien und entsprechender pädagogischer Konzepte. Die jungen Leute müssen nicht zu fertigen Programmierern ausgebildet werden, vielmehr muss ihnen vor allem folgendes vermittelt werden: Wie recherchiere ich richtig? Was sind wichtige Informationen, was ist „Junk“? Was sind Filterblasen, was sind Echokammern? Wie entlarve ich „Fake News“? Was ist „risk“, was ist „fun“ im Netz? Was soll/kann/darf ich über mich selbst preisgeben im Netz? Wo komme ich mit dem Strafgesetzbuch in Konflikt; zum Beispiel mit „Cybermobbing“? Wo droht mir die Gefahr, mich zu verschulden? Ab wann bin ich „digital“ süchtig? Vor allem aber: Was sind Algorithmen, und wer sind die Nutznießer meines Aufenthalts in den Netzen und in den sozialen oder  oft auch a-sozialen Medien, nämlich die IT-Branche und die Sammler von persönlichen Daten wie Google, Amazon, Facebook und so fort?

All dies zu leisten ist eine Aufgabe, der sich Schulen vermehrt stellen müssen, zumal die Elternhäuser, die beim Medienkonsum eigentlich die ersten Prägungen vornehmen, hier zu erheblichen Teilen überfordert sind und selbst der Aufklärung bedürften. Ob die Schulen das Bildungsziel „Medienmündigkeit“ dabei mit einem eigenen Fach „Medienkunde“ oder im fachübergreifenden Ansatz anstreben, ist nicht die entscheidende Frage, sondern dass sie es überhaupt anstreben und umsetzen.

Gefahren der Digitalisierung 

Eine Rundum-Digitalisierung des Unterrichts ist dafür nicht nötig, im Gegenteil, sie ist dem Lernen oft abträglich. Es gibt keinen neuen, diesmal digitalen Nürnberger Trichter. All die Versprechungen von „instant-/download-/just-in-time-knowledge“ sind Schaufenstersprüche. An Beweisen für einen pädagogischen Mehrwert eines rundum digitalen Lernens fehlt es bis zum heutigen Tag. Der klassische Unterricht im Lehrer-Schüler-Gespräch im personalen Bezug wird insofern auch zukünftig im Zentrum schulischen Lernens stehen (müssen). Warum? Weil neue Medien, vor allem das Internet, eine sprunghafte Wahrnehmung und die Haltung fördern, Lernen könne ständig Spaß und Animation sein. 

Nicht zu Unrecht hat Joseph Weizenbaum – Erfinder des Programms „Eliza“, das als Prototyp für moderne Chatbots gilt – gerade der Pädagogik ins Stammbuch geschrieben: Die bloße Informationsverarbeitung erleichtere das Durchwursteln, und sie verhindere wirkliche Innovationen. Weizenbaum nennt das „Stagnovation“. Und der Philosoph Günther Anders würde mit Blick auf die digitalen Medien zudem vor einer Ikonomanie, einer Bildsucht, warnen. Es würde damit zugleich etwas gefördert, was Anders lange vor der Digitalisierungswelle als das Dasein eines kollektiv vereinzelten Massen-Eremiten bezeichnet hatte. Der 2011 verstorbene Apple-Mitbegründer Chef Steve Jobs und Microsoft-Gründer Bill Gates wussten sehr wohl, warum sie ihren Kindern Ipads und Smartphones vorenthielten. Sie spürten zumindest, worum es bei Kindern geht: Sie sollen keine naiven „digital natives“ werden, sondern souverän-mündige Medienbürger.

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