Digitalforensiker Jens Kriese - Tatort Bild

Die digitale Realität ist voller Fakes und Fälschungen. Der Bildforensiker Jens Kriese weiß, wann Fotos lügen. Er ist angetreten, Schein und Sein fein säuberlich voneinander zu trennen. Mit Computer-Software entlarvt er Retuschen, Montagen und Manipulationen.

Jens Kriese geht als Bildforensiker digitalen Bildfälschungen auf den Grund / Heinrich Holtgreve
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Bilder lügen. Die Realität tut es auch. Zumindest manchmal. In jenen Momenten, in denen man nicht genau hinschaut. Vielleicht, weil man nicht hinschauen will. Vielleicht auch, weil die Illusion oft schöner ist als die gewöhnliche Wahrheit. Wer wüsste das besser als Jens Kriese. Mit der Differenz von Fake und Fakten bestreitet der Hamburger sein tägliches Brot: Kriese ist Bildforensiker. Einer, der sich auf manipulierte Fotos und Bildbeweise spezialisiert hat. Einer, der die Spreu vom Weizen trennt. Als solcher kennt er sich aus mit der geschönten Wahrheit und mit all dem, was nicht zur Wirklichkeit passt. 

Vielleicht ist diese Kennerschaft mit ein Grund dafür, dass auch bei Kriese selbst manches so aussieht, als wäre es ein bisschen hinzugeschwindelt – ganz liebevoll versteht sich. Ganz apart. Da ist die kleine schwarze Brille, da ist der zu lange und aus der Zeit gefallen wirkende Rauschebart. Zusammen lassen sie ihn aussehen wie jemanden aus einem anderen Jahrhundert – wie Otto Modersohn oder Anton Tschechow. Jemand, der mit der digitalen Realität auch mal zu hadern versteht. 

Das Geschäft mit gefälschten Pixeln

Dabei ist Jens Kriese eigentlich vollkommen heutig. Seine Arbeitsmaterialien sind Datensätze, seine Werkzeuge sind Algorithmen. Mit ihnen vollbringt der studierte Biologe Dinge mit sehr heutigen Namen: „Source Identification“ zum Beispiel, „Reverse Projektion“ oder „Projektive Geometrie“. Es sind Dinge, die auf Krieses Computermonitoren merkwürdige Amplituden erzeugen, manchmal auch nur fotoähnliche Flächen mit verdrehten Farben. Zuweilen lassen die selbst den eigenen Sohn etwas ratlos zurück: „Mein Papi macht etwas, was nicht so viele Papis machen“, soll der einmal in der Schule auf die Frage geantwortet haben, was der Vater denn von Beruf ist.

Hätte man Jens Kriese selbst gefragt, man hätte sicher eine klarere Antwort bekommen. Drei Worte: „Digital Image Forensic“. Vermutlich wäre das Gespräch danach zu Ende gewesen. „Bildforensiker sind keine gern gesehenen Partygäste“, sagt Kriese, lacht und rührt sich Zucker in den Espresso. Sein Hausarzt habe einmal gemutmaßt, er würde irgendwas mit „gefakten Ölschinken“ machen. Vermutlich, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass digitale Fälschungen zuweilen mehr Geld einbringen als ein falscher Klimt oder Picasso. Vorausgesetzt natürlich, man wird als Fälscher nicht erwischt. Festgenagelt von einem wie Kriese. Der nämlich weiß: „Die meisten Fehler entstehen unter Zeitdruck.“

Wie viel Geld und Macht mittlerweile hinter veränderten Pixelfeldern stecken, das lässt sich auch für einen Experten wohl nur erahnen. Jens Kriese schätzt die Zahl der schwarzen Schafe auf gut 10 Prozent. In der Wissenschaft, sagt er, seien vermutlich sogar 25 Prozent aller Bilder nachbearbeitet. Nicht immer geschehe das aus böser Absicht. Und dennoch: Die Geschichte der Bildfälschungen fließt längst über vor krimineller Energie.

Deepwater Horizon

Beispiel BP: Nach dem Untergang der Bohrplattform Deepwater Horizon 2010 sah sich der britische Ölkonzern mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe Bildaufnahmen aus dem Krisenzentrum im Nachhinein mittels Photoshop schönfärben lassen. Während sich im Golf von Mexiko eine der bis dahin größten Umweltkatastrophen des 21. Jahrhunderts ereignete, versuchte der Konzern mittels gezielter Kopierretusche, das eigene Image wieder grünzuwaschen.

Das sind dann die Momente, wo Menschen wie Jens Kriese ins Spiel kommen. Im Auftrag von Versicherungen, Behörden oder Regierungen und mittels komplizierter Computerprogramme rekonstruieren sie die Ursprünge solcher Bilder – egal ob Foto oder Video. Mit kleinen Software-Tools entlarven sie Retuschen, Montagen, Transformationen. Nichts bleibt ihrem detektivischen Spürsinn verborgen. Mal werden Bildinformationen extrahiert, dann wieder spezielle Ausschnitte „scharfgerechnet“. 

Leidenschaft in der Biologie geweckt

Kriese macht die Jagd nach solchen Fälschungen immensen Spaß. „Jeder Fall ist enorm spannend.“ Angefangen habe diese Leidenschaft schon während des Biologiestudiums. Damals stieß er bei einer Literaturrecherche auf die manipulierte Darstellung wandernder Moleküle. „Das war so geschickt gemacht, dass niemand zuvor über die Verfahrensfehler gestolpert war.“ Kriese hatte es sofort gemerkt. Als Hobbyfotograf kannte er schon damals die besten Tricks der Manipulation.

Also hat er sich von der Biologie, von der Lehre des Lebens, auf die Nachbearbeitung des Lebens verlegt. Im virtuellen Raum geht schließlich viel mehr als in der allzu statischen Realität. Egal ob beim Kriegsbild oder beim schnöden Versicherungsbetrug. Das Leben ist eben in der Regel recht langweilig. Und wo es einmal spannend wird, da sollte man besser genau hinschauen.

 

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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