Die letzten 24 Stunden von David Schalko - Gehen mit der vertrauten Stimme im Ohr

David Schalko lässt es in seinen letzen 24 Stunden nicht krachen. Worauf er sich an seinem letzen Tag besonders konzentrieren würde und wie er sich den idealen Abgang vorstellt.

David Schalko möchte nicht vom Tod überrascht werden / Regina Hügli
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Autoreninfo

Nadine Emmerich ist freie Journalistin.

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Der 48 Jahre alte Österreicher David Schalko ist Regisseur, Autor und Entwickler von Fernsehsendungen („Altes Geld“, „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“). Jüngst veröffentlichte er – vom verfallenden Bad Gastein inspiriert – den Roman „Bad Regina“.

Ich habe das Gefühl, dass man jeden Tag auf eine gewisse Art ein bisschen stirbt. Mit dieser Einstellung ist es auch gar nicht so wichtig, wie man seine letzten 24 Stunden genau verbringt. Es stellt sich aber die Frage, ob es besser ist, vom Tod überrascht zu werden oder vorher davon zu wissen. Ich bin zum Beispiel ein Mensch, der Überraschungen nicht so mag. Wenn man weiß, dass man stirbt, kann man den Tod auch bewusst erfahren. 

An meinem letzten Tag wache ich von allein und ohne Wecker auf. Ich möchte ganz simple Dinge, die man täglich tut, noch mal ganz bewusst erleben: aufstehen, sich anziehen, etwas essen. Einen Baum anschauen, die Sonne oder den Wind spüren, den Atem wahrnehmen. Ich stopfe meine letzten Stunden nicht mit Programm voll, es wird ein ruhiger Tag, den ich genieße und inhaliere. Verpflichtungen habe ich keine mehr, ich bin innerlich frei. Vielleicht verschwende ich sogar ein bisschen Zeit. 
Ich finde es schön, am Meer zu sterben – vielleicht in Italien oder auf einer griechischen Insel. Ich liege in einem Garten auf einer Terrasse, blicke von oben auf das Wasser und höre das Meer rauschen. Es ist ein warmer Sommertag, ich spüre die Sonne im Gesicht und habe ein dickes Buch in der Hand, vielleicht etwas von Dostojewski oder Tolstoi. 

Langsames Verwelken

Es geht aber gar nicht um die Geschichte, sondern darum, etwas zu lesen und dabei zu ermüden. Ich nicke immer wieder weg, wache wieder auf – und irgendwann wache ich dann nicht mehr auf. Ein Sterben, das wie ein langsames Verwelken ist, finde ich das schönste Sterben. 

Meine Liege verlasse ich an diesem Tag nur für einen Strandspaziergang und um noch mal im Meer zu schwimmen. Das Essen bringt man mir: meine Henkersmahlzeit. Da ich am Mittelmeer bin, gibt es frischen Fisch. Dazu trinke ich Weißwein, ein Glas Chardonnay ist ein guter Abschluss.

Ich glaube, dass Sterben ein sehr intimer, stiller Prozess ist – es sei denn, es ist ein schmerzvoller Überlebenskampf. Wenn es aber ein friedliches Sterben ist, in dem man langsam hinüberdämmert, dann ist das alleine schön. Man ist bei sich und kann besser loslassen. 

Heute habe ich keine Zeit, weil ich sterbe

Ich möchte mich zwar von allen Menschen, die mir wichtig sind, verabschieden. Aber das muss nicht am Sterbebett sein. Wenn ich weiß, dass ich bald sterbe, mache ich es an den Tagen davor. Ich möchte nicht den Einladungsstress haben, den man eh das ganze Leben hat. Und wenn man sagen kann: Heute habe ich keine Zeit, weil ich sterbe, dann ist das eine gute Entschuldigung.
Zwei Liegen in dem Garten am Meer wären andererseits auch eine schöne Vorstellung – den Tag mit dem dann wichtigsten Menschen zu verbringen, mit dem man durchs Leben gegangen ist.

Wir erzählen uns die vergangenen Jahre noch mal, und wer was wie empfunden hat. Erinnerungen, die einem so einfallen. Alles Tiefgründige haben wir zu diesem Zeitpunkt längst besprochen. Unsere Unterhaltung hat etwas Fragmentarisches, was ich sehr schön finde. Es sollen auch nicht die gesamten 24 Stunden unter dem Schmerz des Abschieds stehen. Darum fände ich es schön, wenn ich mitten im Gespräch wegdämmere. Und mit der vertrauten Stimme im Ohr gehe.

 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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