Deutschland nach der Bundestagswahl - Aller guten Dinge sind drei?

Am Anfang des Wahlkampfs klang „Triell“ ungewöhnlich. Es verweist auf die Zahl Drei, die für Konflikt, Streit und Unvollkommenheit steht. Wenn dann das erwartete „Durchstechen“ nicht stattfindet, ist die Bewunderung groß. „Unter drei“ sollen Informationen schließlich vertraulich behandelt werden. Die Zukunft indes ist mit drei Fragezeichen behaftet.

FDP-Vorsitzender Christian Lindner, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und Grünen-Bundesvorsitzende Annalena Baerbock / dpa
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Autoreninfo

Michael Jäckel ist Professor für Soziologie an der Universität Trier. Zu seinen Schwerpunkten gehören die Konsum- und die Mediensoziologie. Er ist Verfasser mehrerer Einführungs- und Lehrbücher. Seit 2011 ist er Präsident der Universität Trier und aktives Mitglied der Hochschulrektorenkonferenz.

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„Aller guten Dinge sind drei“ geht uns oft über die Lippen. Eine amüsante Ballade trägt diesen Titel. In der Zahl steckt positive Hoffnung, die Aussicht auf eine weitere Chance, grundsätzlich also ein Symbol für Zuversicht, aber auch der Verweis auf juristische und diplomatische Traditionen. Am Anfang klang der Begriff „Triell“ (auch: Trielle) während des jüngsten bundesrepublikanischen Wahlkampfs ungewöhnlich. Die Geschichte dieses Debattenformats ist meistens davon bestimmt, dass zwei politische Repräsentanten gegeneinander antreten.

Dass zwei sich streiten und ein dritter sich freut, kennen wir als Sprichwort und Lebensweisheit. Für „Wenn drei sich streiten …“ fehlt gegenwärtig noch der passende Zusatz. Aktuell gilt auch hier: Keiner möchte als Störenfried gelten. Harmonische Formen eines distanzierten Umwerbens werden regelmäßig eingesetzt. Jeder möchte Kontrollbewusstsein signalisieren. Die Frage, von welcher „politischen Dreifaltigkeit“ der Zukunftssegen ausgehen wird, bestimmt die politische Agenda unvermindert.

Nicht immer sind es gegenwärtig drei, die vor den Kameras agieren. Aber die politische Arithmetik hat sich auf diese Konstellation eingespielt. An die Stelle des roten Teppichs sind in den Abendnachrichten typische Mikrofonarrangements getreten. Stets pendeln die Äußerungen zwischen Konsens, ungelösten Fragen und Distanzen. Das Immergleiche wird allgemein umschrieben. Das konkrete Ziel lässt auf sich warten. Alles wirkt wie das Schönreden des Tagwerks am Abend. Man habe ein „fortschrittsfreundliches Zentrum“ entdeckt, heißt es hier, der „Keks sei noch nicht gegessen“ da. Irgendwann wird auch der „Drops gelutscht“ sein. Das Semantische überlagert das Konkrete. In der Beschreibung von Annäherungen spiegelt sich die Phantasie, auf die als Brückenbauer gesetzt wird. Man habe sich ja vorher nicht gesucht, also dürfe man sich auch länger finden.

These, Antithese, Synthese

Dabei soll stets gelten: Wenn kleine Gruppen zusammenkommen und zusammenarbeiten wollen, werden alle vorhandenen Kräfte in Anspruch genommen. Diese Beobachtung verdanken wir unter anderem dem deutschen Soziologen Georg Simmel (1858 - 1918), der in seiner Soziologie den Formen und Relationen, die unser gesellschaftliches Leben hervorbringt, besondere Aufmerksamkeit widmete. In „Die quantitative Bestimmtheit der Gruppe“, ein wichtiger Abschnitt seines Grundlagenwerks, beschreibt er Wirkungen, die sich alleine aus der Tatsache einer bestimmten Größe ableiten lassen. Eine Gruppe lassen wir in der Regel bei drei beginnen und erwarten im Fall einer positiven Stimmung effiziente Ergebnisse. Fast könnte man meinen, dass der Begriff „Dreiklang“ aus dieser erwarteten Harmonie hervorgegangen ist. Historiker können ebenfalls zahlreiche Beispiele benennen, in denen sich drei zusammenfanden, um Stabilität oder Harmonie zu gewährleisten. Man denke etwa an das Dreikaiserabkommen des Jahres 1873, das gleichwohl nicht lange hielt, 1881 im Dreikaiserbund seine Fortsetzung fand und weitere Allianzen herausforderte.

Jedenfalls ist es auch der quantitative Sachverhalt, der mögliche soziale Gestalten zulässt. Die Zahl Drei ist ebenso für die Musik zentral, nicht minder für den Sport – man denke an den Dreisprung; in der Welt des Sozialen steht die Zahl wiederum gelegentlich für Begebenheiten, in denen die dritte Person zuweilen neben den beiden anderen stehen muss. Drei kann also einen Konfliktmodus einleiten und für eine Unvollkommenheit stehen, die in Kontroversen ohne gute Lösungen oder in einem heftigen Streit endet. Denn zum Zusammenfinden gehört immer auch das Auseinandergehen und das Nachdenken über vermeintlich unumstößliche Grundsätze. Von Dialektik ist selten die Rede. Letztlich wird es ein Dreisprung sein, der gelingen muss: These, Antithese, Synthese.

Eins, zwei, drei im Sauseschritt

Auf die „Verletzungen der guten Sitte“ (Simmel) reagiert ein kleiner Kreis, der sich auf geschlossene Beziehungen verständigt hat, weitaus sensibler, gerade weil die Spekulation über die mögliche Quelle der Indiskretion an anderer Stelle mit ausgeprägtem Spürsinn zusätzlich verfolgt wird. Die Verletzung der Vertraulichkeit wirkt in solchen Situationen gelegentlich wie die Einsicht in eine Konsensfiktion. Findet das, was mit dem Begriff „Durchstechen“ bereits etwas Verletzliches vermittelt, nicht statt, steigt fast automatisch auch die Bewunderung des perfekten Verhandlungsstils.

Ebenso wird irgendwann die damit verbundene Disziplin mit Verwunderung umschrieben. Der Journalismus selbst bezieht die Zahl Drei in seine Arbeitspraxis ein. Denn mit der Formulierung „Unter drei“ wird einer Information Vertraulichkeit mitgegeben in der Erwartung, dass sie als solche behandelt wird. Dieses aus Interaktionen hervorgegangene „Urheberrecht“ lebt in gewisser Weise auch davon, dass durch Verfehlungen an diese Regel erinnert wird.

Ob es in den aktuellen Vorgesprächen und Verhandlungen nach dem Motto „Eins, zwei, drei im Sauseschritt“ zu einem dauerhaften „Dreigestirn“ kommen wird, also Dreieinigkeit auch weltlich gelingen kann, ist zumindest aus arithmetischen Gründen eigentlich geboten. Zugleich wird jede Vorwegnahme von Personal- und Sachentscheidungen in einer zukünftigen Koalition als Übergriff wahrgenommen. Das Solo vor dem Mikrofon macht mutiger. Zu dritt spielt man eher Pässe in den freien Raum. Aber wo, wenn nicht in der Politik, wird häufig der Satz bemüht: Jetzt wollen wir mal „fünf gerade sein lassen“. Sicher kein Fall für Detektive, die an dieser Stelle wohl mindestens drei Fragezeichen setzen würden.

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