Corona und Theologie - Gottes Werk und des Menschen Beitrag

Ist die Pandemie eine Strafe Gottes? Mit dem christlichen Glauben hat solch eine Vorstellung jedenfalls nichts zu tun. Denn Gott steht genau auf der anderen Seite, schreibt der Jesuit und Philosoph Michael Bordt.

Besucher eines Gottesdienstes unter Corona-Bedingungen / dpa
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Autoreninfo

Michael Bordt SJ ist Vorstand des Instituts für Philosophie und Leadership und arbeitet als Professor an der Hochschule für Philosophie in München. Seine neuste Publikation „Die Kunst unserer Sehnsucht zu folgen. Spiritualität in Zeiten des Umbruchs“ ist im Elisabeth Sandmann Verlag erschienen. 

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In einem war man sich schnell einig: Die Pandemie könne keine Strafe Gottes sein. Schon im Frühjahr letzten Jahres meldeten sich einige Theologen zu Wort und wiesen die Vorstellung ab, dass Gott uns strafen wolle und die Pandemie eine solche Strafe sei.

Ihnen kann man nur beipflichten. Der Gott, an den Jesus geglaubt, den er seinen Vater, ja sogar seinen Papa genannt hat, ist kein Gott, der Strafen verhängt. Gott bestraft uns nicht, so wie wir vielleicht als Kinder bestraft worden sind, wenn wir Unsinn getrieben haben. Genauso wenig belohnt uns Gott, wenn wir etwas besonders gut gemacht haben.

Wer von der Pandemie oder einem anderen Unglück verschont geblieben ist und nun meint, das sei eine Belohnung Gottes für seinen Glauben oder sein untadeliges Verhalten gewesen, irrt sich ebenso wie jemand, der ihn in der Pandemie strafend am Werk sieht. Mit dem christlichen Glauben hat solch eine Gottesbild jedenfalls nichts zu tun. Der Gott, an den Jesus geglaubt hat, ist kein überweltlicher Sarastro, von dem es in Mozarts Zauberflöte heißt, er lohne und strafe als göttlicher Weiser. 

Raubbau an der Natur

Es gibt allerdings noch eine andere, weniger unmittelbar anthropomorphe Weise, die Pandemie für eine Strafe Gottes zu halten. Freilich ist auch diese Art nicht weniger problematisch: Nehmen wir einmal an, es würde sich als richtig erweisen, dass der Ursprung der Pandemie auf dem Wildtiermarkt in Wuhan zu finden ist (eine Annahme, die nicht sicher ist) und das Virus über eine Fledermaus durch ein Wirtstier auf die Menschen übergegangen ist. Bei der Übertragung würde es sich also um einen Fall von Zoonose handeln, bei dem ein Virus von einem Tier auf den Menschen übertragen wird.

Diese Übertragung, so das Argument, hat der Mensch nun selbst zu verantworten, denn ohne den Raubbau an der Natur wäre es nie zu einer Übertragung des Virus gekommen. Weil der Mensch in einen Lebensraum eindringt, in dem er nichts zu suchen hat, kommt er in Kontakt mit Tieren, die für ihn gefährlich sind. Die Pandemie, so die fragwürdige Deutung, sei eine Konsequenz der Ausbeutung von Gottes Schöpfung. Dafür ist die Schöpfung nicht gemacht und rächt sich an dem Menschen. 

Gott straft das Verhalten des Menschen dieser Vorstellung zufolge also nicht direkt, wohl aber indirekt. Der Mensch überschreitet die durch die Schöpfungsordnung vorgegebenen natürlichen Grenzen, und das bleibt nicht ohne Konsequenzen für ihn. Die Konsequenzen kommen zwar nicht unmittelbar von Gott, wie die Plagen im Alten Testament, mit denen Gott die Ägypter schlägt; der Mensch hat sie durch sein eigenes Tun provoziert. Das Unrecht, das der Mensch an Gottes Schöpfung begangen hat, schlägt als Pandemie nun auf den Menschen zurück. 

Gefahr von Zoonosen

In Kreisen christlicher Globalisierungsgegner mag eine solche theologische Deutung der Pandemie vielleicht attraktiv sein. Die Beschreibung enthält ja auch einen wahren Kern. In der Tat wächst die Gefahr von Zoonosen, wenn Menschen in den Lebensraum von Tieren vordringen oder eng mit Tieren zusammenleben. Und dass wir mit der Natur nicht einfach tun und lassen können, was für uns kurzfristig wirtschaftlich vorteilhaft ist, ohne auf Dauer selbst erhebliche, wenn nicht sogar katastrophale Nachteile in Kauf nehmen zu müssen, macht die fortschreitende Erderwärmung hinlänglich deutlich. Dass beispielsweise die Vernichtung von Regenwäldern in Brasilien gefährliche Folgen für die Menschheit haben kann, sei keinesfalls bestritten.

Was ich bestreite ist, dass eine sinnvolle theologische Deutung der Pandemie an diesem Punkt ansetzen kann. Als strafe Gott indirekt den Menschen dafür, dass er sich an der Schöpfung vergeht, in dem er aus wirtschaftlichen Interessen in den Lebensraum von Wildtieren eindringt. Und nur nebenbei gesagt: Wer eine solche Deutung akzeptiert, hat kein gutes Argument mehr gegen die Auffassung, auch die HIV-Pandemie sei eine Strafe Gottes für einen Umgang mit der Sexualität, der nicht einer vermeintlichen Schöpfungsordnung entspricht. 

Aber was kann man dann theologisch über die Pandemie sagen? Welche Deutung könnte man ihr geben? 

Schauen wir auf Jesus! Was lässt sich von seinem Umgang mit Krankheiten für eine Deutung der Pandemie lernen? Dass Unglück und Krankheiten eine Strafe für menschliches Fehlverhalten sind, hat Jesus klar zurückgewiesen. Es wird berichtet, dass er einmal auf einen Mann traf, der von Geburt an blind war. Seine Jünger stellen gleich die Frage, wer denn nun schuld an seiner Blindheit gewesen ist – er selbst oder seine Eltern. Jesus antwortet klar: Weder er noch seine Eltern.

Isolation durchbrechen

Die Frage selbst, so könnte man es deuten, ist falsch gestellt. Gott straft einen Menschen nicht durch Blindheit, so dass man fragen könnte, wer denn da Unrecht begangen habe. Anstatt an Kranken und Aussätzigen herumzudeuteln, worin sie oder andere gefehlt haben, wendet er sich ihnen vielmehr zu. Anstatt sie auszusondern, sucht er Gemeinschaft und sogar körperliche Nähe zu ihnen. Die Isolation, unter der die Aussätzigen zu leiden hatten, weil sie zu Jesu Zeiten von dem „gesunden“ Teil der Gesellschaft weggesperrt wurden, bricht Jesus auf. An seinem Handeln zerbrechen deswegen alle Erklärungsversuche, die die Krankheiten in ein moralisches Schema von Richtig und Falsch einordnen möchten. 

Die Natur kann ein Ort tiefer spiritueller Erfahrung, eine Quelle von Trost und Hoffnung sein. Aber ebenso ein Ort, der unglaubliches Elend und Leid über Menschen bringt. Der Theologe Karl Barth hat es so ausgedrückt, dass eine Krankheit wie ein Aufstand des Chaos gegen Gottes Schöpfung ist. Die Natur ist nicht von sich aus einfach nur gut, so dass es am besten wäre, wenn der Mensch überhaupt nicht eingreifen würde.

Die Schöpfung, so heißt es bei Paulus im Römerbrief, soll von der Verlorenheit befreit werden und wartet auf die Erlösung. Naturkatastrophen, für die kein Mensch verantwortlich ist, Krankheiten oder eben auch die Pandemie bedrohen das Leben der Menschen und bringen großes Leid mit sich. Sie sind keine Strafen Gottes. In ihnen Gottes Wirken sehen zu wollen ist ganz widersinnig. Gott steht genau auf der anderen Seite. Er ist nicht Ursache der Krankheit, sondern steht den Leidenden bei. 

Den Leidenden beistehen

An diesem Punkt wird auch deutlich, wie unglücklich formuliert der christliche Appell einer „Bewahrung der Schöpfung“ ist. Als sei die Schöpfung, die kurzschlüssig mit der Natur, wie sie nun einmal ist, identifiziert wird, an sich gut und sakrosankt und dürfe nicht gestaltet und verändert werden. Als sei es gut, möglichst wenig in die Natur einzugreifen und sie so zu bewahren und erhalten, wie sie nun einmal ist.

Nur ein einfaches Beispiel: Wenn wir die Natur einfach erhalten und nicht in unseren Dienst stellen wollten, wäre die Entwicklung von Impfstoffen, die uns hoffentlich aus der Pandemie befreien werden, gar nicht möglich, weil ja in den Impfstoffen etwas Naturgegebenes in Laboren umgestaltet und in den Dienst von Heilung und Schutz gestellt wird. Die Frage ist nicht, ob wir die Schöpfung so bewahren sollten, wie sie ist, sondern mit welchem Ziel wir sie umwandeln.

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