Auf den Spuren Charles Bukowskis - Nachmittag mit Faun

Wie Charles Bukowski mich einmal nach Neukölln schickte und ich dort eine Kunigunde traf. Geschichte einer Entgleisung

Erschienen in Ausgabe
Angestachelt vom Furor des dirty old man, beschloss ich, mich auf den Weg nach Neukölln zu machen / Kati Szilágyi
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Gerhard Falkner: Der aus dem fränkischen Schwabach stammende, in Berlin lebende Lyriker und Essayist legte unlängst zwei wichtige Romane vor: „Apollokalypse“ (Piper) wurde für den Deutschen Buchpreis 2016 nominiert, der Nachfolger, „Romeo oder Julia“ (Berlin Verlag), stand auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2017. Unter dem Titel „Bekennerschreiben“ (Starfruit) erschienen „Essays, Reden, Kommentare, Interviews und Polemiken“. Foto: Alexander Paul Englert

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Vor ein paar Tagen bekam ich von einem Freund, der nun wirklich zu dem gehört, was wir einmal das „Establishment“ nannten – er ist vermögend, kultiviert und erfolgreich –, als Geschenk ein Taschenbuch von Charles Bukowski, „Das weingetränkte Notizbuch“. Der Titel ist sowohl schlecht gewählt als auch schlecht übersetzt. Es müsste heißen: „Ausschnitte aus einem weinbesudelten / (rot)weinfleckigen / weinverschmierten Notizbuch“, um zumindest annähernd im Sprachgebrauch Bukowskis zu bleiben. Weingetränkt wären allenfalls Wattebäusche oder Lappen.

Bis zu jenem Zeitpunkt, an dem die Literaten und Künstler weitgehend auf alle Rauschmittel verzichteten und begleitend dazu auch oft wenig berauschend sind, waren jedem Autor diese Art von Notizbüchern mit Rotweinflecken wohlbekannt. In jeder DDR-Künstlerwohnung galten sie als unübersehbares Requisit.

Ich war über dieses Buchgeschenk ziemlich überrascht, weil der Schenkende nicht gerade jemals ein Kind der Straße war und gewiss keinen Umgang mit Säufern oder Huren pflegte, außerdem eher eine gepflegte als eine vulgäre Ausdrucksweise bevorzugt. Und ich selbst bin auch nicht als Büchsenbier-Alkoholiker bekannt und werde vom sprachlichen Gestus eher den Apokalyptikern der ätherischen bis hermetischen Schulen zugeordnet.

Krasse Polemik gegen Softtöner, Arschkriecher, Heuchler und Heimwerker

Ich will aber nicht abstreiten, dass ich Bukowski in der Zeit seiner literarischen Relevanz in Deutschland wahrgenommen habe, im Umfeld der Beats und der amerikanischen Popular culture, die ich beide immer versuchte, im Auge zu behalten. Da mich alles interessiert, was über Gedichte geschrieben oder geäußert wird, auch wenn es nicht im Rahmen einer profunden Poetik geschieht, und fast alle Essays oder Storys in diesem Band irgendwann vor das hohe Gericht der Eternal Poetry gestellt werden, begann ich darin zu lesen; nicht ohne Amüsement und stellenweise auch Bewunderung für diesen Furor.

Auch wenn keine Zeile an keiner Stelle wirklich geistreich ist und alles erst einmal durchs Entwicklerbad der Gosse gezogen werden muss, überkam mich doch einige Male ein leiser, seichter Neid, dass hier jemand noch krasser polemisierte und urteilte als ich selbst, was Lyrik zu leisten hat. Letztlich kommt auch Bukowski zu dem Schluss, dass die Softtöner, die Arschkriecher, die Heuchler, Heimwerker und die Rampensäue ihren globalen Bedeutungsrückgang auf dem Gewissen haben.

Solchermaßen angestachelt vom Furor des dirty old man, inspiriert zu einer Gedankenwut der auf starke Bilder gerichteten Raubgier, beschloss ich, mich auf den Weg nach Neukölln zu machen und zu erkunden, ob es da hinsichtlich elektrisierenden poetischen Anstößen etwas zu holen gab. Dort wäre vielleicht am ehesten etwas von jenen Zutaten zu finden, die Bukowski in Los Angeles gesucht und gefunden hat, jedenfalls jede Menge Schmutz, Lärm und Suff. Zur Einstimmung hörte ich mir Claude Debussys „L’après-midi d’un faune“ in der Aufnahme mit Leonard Bernstein an und verließ mittags, um die Stunde des Pans, das Haus in der Pankower Florastraße. Wie durch ein Wunder geschah das tatsächlich am 15. Februar, am dies februatus, dem Tag, da im antiken Rom die Lupercalia begannen, die Sühnungs- und Reinigungsumzüge für den Herdengott Faun. Mal sehen, was die Herde von Kreuzkölln macht.

Ein infernalisches Gewühl, aufgepeitscht von Konsumgier und Vulgarität

Seit einer halben Ewigkeit waren die Tage in Berlin so öde und grau wie eine nasse Matratze im Nebel. Dies schlug sich sogar in den Schlagzeilen der Boulevardzeitung B.Z. nieder, die die Nachricht verbreitete, dass es sich gerade um den dunkelsten Winter seit 1951 handelte, jenen Winter, in dem ich das Licht der Welt erblickte, das anscheinend bis dahin gerade frisch zurück war. Ich nahm die U-Bahnlinie 2 bis zum Alexanderplatz und geisterte dann, umrudelt von telefonierenden Gespenstern, mit der U 8 bis zum Herrmannplatz.

In der Tat entspinnen sich die Herden, sobald man sich über die Treppen der U-Bahn zum kleinen Markt auf dem Herrmannplatz emporgearbeitet hat, als ein infernalisches und tobendes Gewühl, aufgepeitscht von Konsumgier und unschlagbarer Vulgarität, durchzogen von rasenden Mänaden und Satyrn. Alle sind Teil eines mysteriösen Strudels, der bis hinauf in den Wedding ausstrahlt. Viele sind in Fuchs- oder Lederimitate gehüllt und tragen Binden, Hauben, Becken und Handys. Sie gehen mit von Kopfhörern vermasselten Ohren und von den Displays verprellten Augen durch ihr stummes Meer von Taubheit und Aussichtslosigkeit.

Die Neuköllner Tiefebene wird durchzogen von zahllosen Straßen, die die Namen von Flüssen tragen, der Donau-, Weichsel-, Oder-, Elbe- oder Saalestraße, aber auch, zumindest eingerahmt, von Wasserstraßen wie der Spree und dem Landwehrkanal. An ihren Ufern brüten die skurrilsten ebenso wie die abwegigsten Exemplare grotesker Youngsters der digitalen Boheme. Männer mit zerbrechlichen Ärmchen, schwächlichen Nacken, die beim Gehen nicken und knicken, aber Junker-Jörg-Bärten, die den Kopf aus den übrigen Proportionszusammenhängen reißen, und daher oft wirken, als säße ein Büffelkopf auf einem Reh. Daneben vegane Frauen ohne erkennbare Triebstruktur in den aschenen Kleidern von Büßerinnen, jedenfalls zumeist in Textilien, die sogar unsere Mütter als uncool abgelehnt hätten.

Auf leisen Versfüßen tapsende Antispasten und syrische bombenflüchtige Jamben

Mir ist nie so wirklich klar geworden, weshalb Arno Schmidt das dritte Buch von „Nobodaddy’s Kinder“ einst „Aus dem Leben eines Fauns“ genannt hat. Es bleibt wenig überzeugend, dass ein französischer Deserteur im Wald eine Hütte findet und dort angeblich wie ein Faun lebt, ohne auch nur im Entferntesten den Geist eines solchen Wesens mitzuteilen oder zu erfassen. Mir scheint es viel glaubwürdiger, nach dem Erwachen in Pankow als Faun durch Neukölln zu streifen, gestärkt und erquickt von den erlesenen Zeilen Mallarmés und den abgespeicherten Bewegungen von Nurejews oder gar Nijinskys Erwachen auf einem Felsen und deren beider tänzerischer Begegnung mit den Nymphen zu Debussys Klängen – und im Kopf ersten poetischen Probeläufen im ithyphallischen Versmaß. Ich will als Seismograf den Fieberlinien des Bezirks folgen und eine Choreografie der tanzbaren Bewegungsabläufe erstellen.

„In Neukölln wäre etwas von jenen Zutaten zu finden, die Bukowski in Los Angeles gesucht und gefunden hat, Schmutz, Lärm und Suff.“

Auf den großen Straßen Neuköllns, der Sonnenallee, der Karl-Marx-Allee oder der Herrmannstraße, herrscht gewöhnlich ein Auftrieb, der sich durchaus mit der Müllerstraße im perplexen Wedding messen kann und der nicht selten der Anklänge an griechische Vasenmalerei entbehrt, außer eben in ästhetischer Hinsicht. Zackige Läufer, Korybanten, fliehende Nymphen, brodelnde Kessel, Randale, Rituale inmitten eines unüberschaubaren, rammdösigen Smartphone-Mobs.

Zwei schwarzfigurige Araberinnen und zwischen ihnen ein hüpfendes rotfiguriges Mädchen eröffnen die Szene vor den Arabesken der Zapfschläuche an der Esso-Tankstelle Hobrechtstraße. Auf den Trottoirs die dröhnenden Chöre der auf leisen Versfüßen tapsenden Antispasten, syrische bombenflüchtige Jamben, gefolgt von türkischen verfolgten und eingebuchteten Trochäen, münden entweder in den echten Ithyphallus oder den Chorgesang. Überlagert von den Rhythmen des Orients. Trotzdem verlor ich die Generationshymne der nach 1980 Geborenen nicht aus den Ohren, „Fitter Happier“ von Radiohead: „Eat well!“ „Fond, but not in love!“ „Be nice to animals.“

Marx und der dialektische Materialismus

Das Anschwellen der Sounds vertont den genius urbis, der im Februar noch etwas frostig daherkommt. Aber er massiert sich in meinen Schritt. Eine Lärmlache schwappt aus einer umgeworfenen Hausfassade. Die Sonne hetzt gegen Vermummte. Nach dem Motto „Geist schafft Realität“ entfalten sich vor meinen Augen immer neue Tableaus der hirnrissigen Menschheit im Kiez. Die Kommunikationsüberschüsse komponieren immer neue Leerläufe und Langstreckenödeme. Wer eine Stadt lesen will, muss seine Assoziationssprünge aus der zuträglichen und vernünftigen Zielweite befreien, in interkontinentale Reichweiten führen, was natürlich oft zu surrealistischen Ergebnissen führt. Aber gerade diese sind der Beleg für ihre fantastische Vehemenz.

Nun hat Marx behauptet, das Sein präge das Bewusstsein. Als Skeptiker, was den dialektischen Materialismus angeht, würde ich behaupten, dass es sich umgekehrt verhält. Das Bewusstsein ist gewissermaßen meine Bildbearbeitungssoftware, welche die genuine urbane Szene erst herausarbeitet, mit allen ihren öffentlichen Platzwunden und Schnittstellen. Die Weserstraße: ein einziges Schaufenster für die neue Mentalität dieses zusammengeschusterten, überklebten und zugeschmierten, mit Parolen und Tags beschrifteten Plädoyers für eine instabile Gesellschaft.

Die Bar Silver Future, ausdrücklich für „Kings and Queens and Criminal Queers“ gedacht, steht für die Pseudoradikalität aller derzeitigen Retrorevolten. Das Kuschlowski für den totalen Geheimnisverlust der schwulen Szene. Vegetarische und vegane Burger liefern das Pendant für harte, alkoholfreie Drinks. Zu den eh bereits existierenden Milliarden Asialäden und Vietnamküchen in Berlin hat sich eine weitere halbe Milliarde hier bereits angesiedelt. Eine erstickende Massenhaftigkeit: Eat well. Der Geräuscheladen Ohren hoch wirkt da glatt wie ein Remedium.

Die Kunigunde im taubenblauen Gewand

Die Weser- kreuzt die Reuterstraße – nicht den roten, analogen Fotoautomat übersehen mit dem Aufkleber „Wann singt dein Herz?“ –, sie kreuzt die Panier-, kreuzt die Weichselstraße und heißt auch aufgrund der zahllosen Bars „watering hole“: Wasserstelle, um Drinks zu tanken. Ich erreiche mein heutiges Ziel, die Bar Nathanja & Heinrich, um dort einen Cortado zu trinken. Wie so oft wird Paolo Conte gespielt, „Via con me“, gefolgt von einem seichten Swing und amerikanischer Minimal Music, was mich wieder etwas faunischer stimmt, da es ein bisschen Richtung Debussy sprudelt.

„Zackige Läufer, Korybanten, fliehende Nymphen, brodelnde inmitten von rammdösigen Smartphone-Mobs.“

Während ich sitze und mir ein paar Notizen mache, erscheint eine junge Frau. Sie entledigt sich eines riesigen Mantels, und zum Vorschein kommt ein jeglicher Beschreibung spottendes blaues Kleid, ein richtiges kreideblaues Wunder, mit sehr langen, geknöpften Manschetten und ebenso langen, spitzen Kragenecken. Sie setzt sich an den Nebentisch mir gegenüber und nimmt ostentativ von mir keine Notiz, obwohl ich mit den Augen aus dem Stand doppelte Saltos rückwärts vollführe und auf anstößige Weise mit keiner Wimper zucke. Auch der Mathematik des Atems strenge Maßstäbe setze.

Es sieht aus, als hätte sich dieses blassblaue oder taubenblaue Gewand aus irgendeinem Retroladen diesen Körper erträumt, um ihn zu verbergen, so wie sich ein Weizenfeld einen wolkenlosen Sommerhimmel erträumt. Sie könnte tatsächlich Kunigunde heißen. Das helle, leichte Tuch bildet einen imaginären Raum, in dem nur der Duft eines Körpers zurückgelassen wurde.

Sie nimmt einen Suhrkamp-Band von John Dewey aus ihrer Tasche und hält ihn eine Weile so, dass ich den Titel lesen kann, „Kunst als Erfahrung“. Nicht gerade einer meiner Lieblingsphilosophen. Obwohl ich mich an seine Aussage erinnere: „Durch eine jener ironischen Verkehrungen der Geschichte ist die Existenz der Kunstwerke zur Behinderung einer Theorie über sie geworden.“ Ein doppelter Rittberger. Gekonnter logischer Schleifensprung.

Mit Bukowski hat das alles nichts mehr zu tun

Wieder habe ich den erwachenden lüsternen Faun vor Augen, die Hirtenflöte steil am Mund, die prallen Trauben von hoch oben über die Lippen schleifend. Sehr überspannt das alles. Aber vielleicht ist es ja genau das, was ich suche: Einen gescheckten Faun, der bocksbeinig, in 110 Takten sich der impressionistischen Inspiration einer scheuen Nymphe im blauen Schleierkleid hingibt, dabei Nijinskys Gesichtsausdruck vollendeter Begierde, die irren Augen eines Ziegenbocks, die Choreografie von „L’après-midi“.

„Kaum ist der Gedanke angestoßen, schon geht er über mich und meine Einwände hinweg wie ein Aprilgewitter.“

Da fällt mir plötzlich ein, dass ich in meiner Bag von einer gestrigen Reparaturarbeit noch ein Tapetenmesser stecken habe, und kaum ist der Gedanke angestoßen, schon geht er über mich und meine Einwände hinweg wie ein Aprilgewitter. Ich will ein Stück von diesem Stoff. Meine innere Empörung über dieses Ansinnen wird fortgewaschen von der Verrücktheit der Idee. Es gehört auf einmal zu diesem Gedicht, das ich schreiben will, und die Ausführung wäre keine Sachbeschädigung, sondern die Erfüllung eines hohen Anspruchs, ein poetischer Vollzug. Mit Bukowski hat das alles nichts mehr zu tun, der nahm sich nie den Fetisch, sondern immer nur das direkte Futter, wie seine Storys um Nina und Karyn belegen.

Ich ziehe um und setze mich an den Tisch hinter ihr, so natürlich und unauffällig, wie ein Kojote sich von seinem Ruheplatz erhebt und einige Meter weiter sich wieder niederlässt. Wie das Wandern eines Reisigbüschels im Wind. Eine Weile sitze ich so Rücken an Rücken zu der jungen Frau, die sehr schnell das Interesse an meinem Umzug verliert. Dann drehe ich meinen Stuhl seitwärts, bis ich das Kleid entlang des Stuhlbeins zu beiden Seiten der Sitzfläche niederfallen sehe.

Ich entschuldige mich: undenkbar bei Bukowski

Ich beuge mich zu meiner auf dem Boden stehenden Bag, nehme das Tapetenmesser aus der Tasche und fixiere den Stoff mit meinem Daumen am Stuhlbein, damit kein körperlich fühlbarer Zug entstehen kann. Dann vollziehe ich mit dem sehr scharfen Messer einen Schnitt bis zum Boden. Richte mich auf und hebe meine Tasche auf meinen Tisch, wühle kurz, und der Anfang ist geschafft. Gleich danach kommt mir der Zufall zu Hilfe.

Der Kellner, vermutlich ein Marokkaner, der sie offenbar kennt, kommt an ihren Tisch und fragt, ob sie noch einen Wunsch habe. Sie lehnt sich stärker zurück und richtet ihre ganze Aufmerksamkeit nach vorne. Ich lasse meinen Stift fallen, gehe in die Knie, schiebe den Stoff ab dem Schlitz eine Handbreite weiter, fixiere ihn erneut mit dem Daumen am Stuhlbein und vollziehe den zweiten Schnitt. Beim Aufstehen stoße ich leicht an ihren Stuhl und entschuldige mich: undenkbar bei Charles Bukowski.

Sie bestellt noch einen Cocktail. Als der kommt, nutze ich die Gelegenheit ihrer Abgelenktheit und verbinde die beiden langen senkrechten Schnitte mit einem schnellen kurzen waagrechten. Der blaue Schal fällt zu Boden. Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Ich tauche noch mal hinunter und raffe das Schleierstück in meine Hand. Da dreht sie sich um und fragt: „Suchen Sie etwas?“

Wie das Gedicht „Ganymed“ entstand

„Nur die Kappe von meinem Faserschreiber“, sage ich, stehe auf und schiebe den Stoff in meine Hosentasche. Sie blickt wieder nach vorne und wirft ihren Blick einem kompakten, hellbraunen Pitbull zu, der auf das breite Fensterbrett neben ihrem Tisch gesprungen ist und da Platz genommen hat. Ich gehe an die Bar, bezahle meinen Cortado und gehe zur Toilette über den rückwärtigen Raum des Cafés. Dort nehme ich den Stoff. Mich überkommt ein wollüstiges Frösteln über meine unfassbare Entgleisung. Ich verlasse die Toilette, um weiter im Uhrzeigersinn durch das Lokal an meinen Tisch zurückzukehren.

In der Ecke vor einem Fenster steht ein riesiger, grün bezogener Polstersessel, in dem ein junger, leicht bekleideter Mann sitzt, der den linken Arm über die breite, wulstige Rückenlehne geworfen hat und sich mit der Hand des rechten, der als Dreieck spitz nach oben gerichtet war, durch die Lockenmähne fährt. Sein Körper ist so nach vorne gerutscht, dass die Beine weit auseinandergefahren sind. Das ist exakt der barberinische Faun, den ich so gut aus der Münchner Glyptothek kenne. Jetzt aber nichts wie raus hier.

Zu Hause schrieb ich das Gedicht „Ganymed“ um und schickte es nach Athen.

Illustrationen: Kati Szilágyi

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.











 

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