Causa Kimmich - Ein Schlag ins Gesicht

Die „Causa Kimmich“ zeigt: Wer Impfstoffe unters Volk bringen will wie andere Leute Hering auf dem Hamburger Fischmarkt, der muss sich nicht wundern, wenn der skeptische Endverbraucher nicht anbeißen will. Besser also, wir machen uns als Gesellschaft wieder mal ein Stück locker und ehrlich: Ja, auch diese Impfung hat Wirkung und Nebenwirkung.

Fußballspieler Joshua Kimmich nach einem Spiel / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Es ist ein Schlag ins Gesicht. Joshua Kimmich, Fußballprofi beim deutschen Rekordmeister FC Bayern München, ist Falschinformationen aufgesessen. Das zumindest sagt Alena Buyx, Professorin für Ethik in der Medizin an der TU München und derzeit Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. Für Buyx ist die Sache sonnenklar: „Kimmich ist ganz schlecht beraten.“ Karl Lauterbach, derzeit Deutschlands bekannteste Ich-AG, die in das Dreispartenprogramm Talkshow, Medizin und Politik zerfällt, springt Buyx bei. Er sieht es ganz ähnlich: „Schwierig“ sei das, so Lauterbach gegenüber Sport1, was der Kimmich da derzeit mache.

Und das, was der laut Lauterbach ansonsten „ganz tolle Spieler“ Kimmich macht, ist das, was er zu offensichtlich nicht macht: Joshua Kimmich, 26 Jahre alt, Deutscher Meister, DFB-Pokalsieger und Champions-League-Gewinner von 2020, lässt sich nicht impfen: „Weil ich einfach für mich persönlich Bedenken habe, gerade was fehlende Langzeitstudien angeht“, begründete der Profi-Kicker seine Haltung am vergangenen Samstag in einem Interview mit dem TV-Sender Sky. Dabei betonte Kimmich aber ausdrücklich auch, dass er das Virus nicht leugne und auch kein Impfgegner sei. „Ich sage nicht kategorisch, dass ich mich nicht impfen lasse“, so seine vorauseilenden Besänftigungsversuche gegenüber einem Empörungssturm, der zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht aufgebraust war.

„Intellektuelles Eigentor“?

Doch Joshua Kimmich ist kein Naivling. Dass der Sturm kommen würde, wird dem medienerprobten Mittelfeldspieler mit Aussicht auf die Kapitänsbinde in der Nationalmannschaft von Anfang an klar gewesen sein. In Zeiten wie diesen läuft eben nichts mehr ohne anschließende moralische Meuterei ab. Ein „intellektuelles Eigentor“ sei das, meinte am Montag etwa der um abgestandene Fußballmetaphern nicht sonderlich verlegene Reutlinger General-Anzeiger, was Joshua Kimmich da mit seiner Skepsis geschossen habe: „Er begründet eine emotionale Entscheidung mit einer pseudowissenschaftlichen Argumentation.“ Und die Mitteldeutsche Zeitung schloss sich dem verbreiteten Mediengehuber vollumfänglich an: „Wäre es nicht ein Zeichen von Solidarität mit fast 60 Millionen Deutschen, sich wie sie trotz möglicher Restzweifel impfen zu lassen?“, fragte man auf der Meinungsseite der einstigen DDR-Regionalzeitung aus Halle, wo sich Solidaritätsargumente scheinbar auch noch heute besser verkaufen lassen als die Bedenken eines dissidentischen Dickkopfs.

Und dann war da eben noch Alena Buyx, Deutsche Oberethikrätin und Ehefrau eines Wiener Politikberaters, die schnell vor das Mikrofon eines Fernsehsenders getreten war, um darüber aufzuklären, dass es „diese Form von Langzeitwirkungen“, wie eben Kimmich sie befürchtet, gar nicht gibt.

Wie gesagt, ein Schlag ins Gesicht – nicht aber in das von Joshua Kimmich, dessen Impfneigung allen Berufsempörten zum Trotz, tatsächlich wohl einzig und allein seine Privatsache ist und die an dieser Stelle auch nicht weiter kommentiert werden soll. Nein, es ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die bereits im Hier und Jetzt unter schweren Folgewirkungen einer Impfung gegen Covid-19 leiden und die in der Öffentlichkeit kaum Gehör oder Beachtung finden. Laut Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts sind das nur wenige: 0,15 Personen pro 1000 Impfdosen. Ihre Erkrankungen aber haben es in sich: Sie leiden unter Anaphylaxie, Myokarditis, Perikarditis, Guillain-Barré-Syndrom, Thrombozytopenie, Thrombosen und weiteren schwerwiegenden Symptomen.

Flüssiggral einer überforderten Politik

Was diese Menschen aber zuweilen noch mehr quält: Es gibt sie, obwohl es sie offiziell gar nicht geben sollte. Seitdem Politik und Lobbyisten nämlich im Duett verkündet haben, dass allein eine Impfung den Weg aus der Krise bahnen würde – also seit dem Frühjahr 2020 – ist aus einer medizinischen Prophylaxe der Inhaltsstoff einer letzten politischen Ideologie geworden. Und so sind die Vakzine mit den mRNA-Impfstoffen Comirnaty aus dem Hause Biontech, Spikevax von Moderna sowie dem Vektorimpfstoff Vaxzevria von Astra-Zeneca zu einer Art Flüssiggral einer überforderten Politik geworden, dessen Erlöserqualität bereits festzustehen hatte, noch bevor das erste Wunder vollbracht war.

Vor dieser Logik tun die 156.360 bisher beim Paul-Ehrlich-Institut gemeldeten Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen vor allem eins: Sie stören. Wenn Hausärzte etwa davon berichten, dass sie noch nie so viele Nebenwirkungen bei einer Impfung beobachten konnten wie eben bei der derzeitigen Impfung gegen Covid-19, dann sind das Narreteien, ja gar Ketzereien, die äußerst unangenehm gegen die ausgegebene Eschathologie verstoßen.

Und es ist ja durchaus auch richtig: Das laut einer israelischen Studie beobachtete mehr als dreifach erhöhte Risiko für Myokarditis nach einer Corona-Impfung gegenüber nicht geimpften Personen ist nahezu nichts gegenüber dem weit höheren Risiko, an selbigem Störungsbild durch eine Corona-Infektion zu erkranken. Ebenso richtig ist aber auch dies: Es gibt generell eine erhebliche Unterberichterstattung über unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Auf diesen Sachverhalt hat bereits 2012 eine von Lorna Hazell und Saad AW Shakir veröffentlichte Metastudie hingewiesen, die sich 37 Einzelstudien aus insgesamt zwölf Ländern angeschaut hat. Das Ergebnis war vernichtend: „Die mediane Untermelderate in den 37 Studien betrug 94 Prozent“, so die Autoren, die damals auch keinerlei Unterschiede bei den Meldungen von Krankenhäusern im Vergleich zu Hausärzten feststellen konnten.

Kein Anreiz, dem offiziellen Narrativ entgegenzutreten

Für die aktuelle Meldetätigkeit bei Impfschäden im Zusammenhang mit einer Corona-Impfung könnten diese Ergebnisse noch einiges an Sprengstoff bergen. Dabei ist es nicht einmal so, dass die Fachleute unrecht hätten, die dieser Tage immer wieder darauf verweisen, dass man mögliche seltene Nebenwirkungen der Corona-Impfung ja allein schon durch die riesige Menge an verimpften Dosen gut kennen müsse. Das Problem liegt ganz woanders: Weder Patienten noch Haus- oder Fachärzte dürften in der derzeit angespannten Situation überhaupt irgendein Interesse oder Anreiz verspüren, dem offiziellen Narrativ in die Suppe zu spucken. Gepaart mit der von Hazell und Shakir festgestellten Meldeträgheit könnte sich das am Ende bitter rächen.

Die „Causa Kimmich“, die vor allem wieder mal darin besteht, wie hysterisch und reflexartig Öffentlichkeit wie Medien auf sie reagieren, unterstreicht somit ein weiteres Mal, dass der Sound der Debatte ihrem eigentlichen Ziel längst vollkommen abträglich geworden ist. Wer weiterhin Impfstoffe unters Volk bringen will wie andere Leute Hering auf dem Hamburger Fischmarkt, der muss sich am Ende nicht wundern, wenn der skeptische Endverbraucher noch immer nicht recht anbeißen will – und das trotz aller moralischen Vorkoster von Seiten des Deutschen Ethikrats. Besser also, wir machen uns als Gesellschaft wieder mal ein Stück locker und ehrlich: Ja, auch diese Impfung ist wie all die anderen auch. Sie hat Wirkung und Nebenwirkung. Und sie schützt zunächst und vor allem den Geimpften selbst. Vieles über seine Wirkung weiß die Forschung heute bereits, anderes wird die Zukunft zeigen. Genau aus dem Grund übrigens haben alle vier in Deutschland zugelassenen Impfstoffe auch nur eine bedingte Zulassung. Wer diesen Fakt unterschlägt, schadet am Ende nur der Debatte.

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