Bernd Ulrich - Neues vom Klima-Goethe

Der stellvertretende Chefredakteur der „Zeit“, Bernd Ulrich, hat ein Buch über Ökologie geschrieben. Es ist ein fesselndes Klima-Drama geworden. Wie die Welt allerdings ihre Umweltprobleme in den Griff bekommen soll, diese Frage beantwortet er nicht. Aber das ist nicht sein größtes Problem

Sätze aus dem Klima-Kindergarten: Die Zeit gilt als Zentralorgan der Bewegung „Fridays for Future“ / picture alliance
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Autoreninfo

Nils Heisterhagen ist Sozialdemokrat und Publizist. Zuletzt sind von ihm im Dietz-Verlag erschienen: „Das Streben nach Freiheit“ und  „Die liberale Illusion“.

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Bernd Ulrich, stellvertretender Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, hat ein neues Buch geschrieben. „Alles wird anders. Das Zeitalter der Ökologie“ heißt das Buch. Ich darf Bernd Ulrich erst einmal ein Kompliment machen, bevor ich zur Kritik übergehen muss. Ich las sein Buch nahezu in einem Rutsch – bis tief in die Nacht hinein. Er hat ein Klimadrama geschrieben. Es packt und fesselt. Es ist wie ein Klimathriller. Es saugt dich ein. 

Aber genau das Drama ist auch das Problem. Deutschland braucht keine Klima-Goethes. Keine Öko-Prosa. Es braucht kluge Antworten auf eine der Existenzfragen der Zukunft. Und eigentlich dachte man, dass Ulrich diese Antworten vielleicht geben kann. Nachdem man seiner aufrüttelnd geschriebenen Öko-Prosa nämlich bis Seite 197 gefolgt war, kam nun das Kapitel „Auswege“. Nun dachte man: Ulrich liefert jetzt eine Agenda, detailliert, präzise und zum Kopieren für die Bundesregierung empfohlen. Aber nichts von dem liefert er da. Das Kapitel „Auswege“ ist auch nur ein weiterer Klima-Essay, den er in den letzten Jahren in der Zeit schon zu Hauf geschrieben hat.

Dinner versprochen, Schnittchen geliefert

Ulrich kann sich von seiner kryptischen Sprache, von der philosophischen Rede über das Klima einfach nicht trennen. Stattdessen hört man selbst im Kapitel über die Auswege eher nur diffuses Gerede über nötigen „Verzicht“. Von allem bösen Konsum einfach ein bisschen weniger. 

Man könnte Ulrich vielleicht zu Gute halten, dass individueller Verzicht nur ein Sinnbild dafür sein soll, dass man nicht glauben soll, dass alles so weiter läuft wie bisher und weiter laufen kann wie bisher. Aber man weiß das auch nicht, weil Ulrich einfach so kryptisch ist, dass man nie weiß, was er wirklich will. Er hat die Kunst, im Diffusen und Ungefähren Botschaften zu setzen, von denen am Ende aber neue Orientierungslosigkeit entsteht. Ulrich schafft gerne Bewusstsein und sensibilisiert Menschen, aber er lässt sie, nach dem er sie angetriggert hat, hungernd zurück. Er verspricht ein großes Dinner und liefert dann doch nur Schnittchen. 

So ist auch sein neues Buch geworden. Beginnen wir von vorn. Bevor ich das Buch gelesen habe, habe ich mir zwei Fragen unter den Titel „Alles wird anders“ notiert: Warum und Wie? Das „Warum?“ beantwortet Ulrich – und das „Wie?“ nicht. 

Sätze aus dem Klima-Kindergarten

Das „Warum?“ ist auch einfach erzählt. Der Klimawandel ist halt real. Die physikalische Wirklichkeit, die Ulrich auch immer wieder betont, sie ist nicht zu leugnen. Und natürlich kann die Menschheit nicht einfach weitermachen wie bisher. Insofern stimmt die Intuition, auf diese physikalische Wirklichkeit mit einem neuen radikalen Realismus zu antworten. Aber man hätte halt gerne gewusst: WIE?

Immer wieder fordert er eine „radikale ökologische Wende“, um ein „ökologisches Desaster“ zu verhindern. Er will ständig „radikale Maßnahmen“. Aber wie denn genau? Wenn er Öko-Tacheles reden will, dann kann man nichts dagegen haben. Aber die Frage muss eben auch beantwortet werden: WIE? Der Leser will doch nicht nur auf 200 Seiten soziologisiert und psychologisiert werden. Er will doch eine Idee bekommen, wie dieser Weg in das „Zeitalter der Ökologie“ nun zu „realisieren“ ist. Warum Ulrich zum WIE nicht kommt, mögen solche Sätze wie dieser illustrieren: „Der Klimawandel ist eine Herausforderung nicht nur des Problem-Lösens, sondern des Problem-Fühlens.“ Das sind wirklich Sätze aus dem Klima-Kindergarten. 

Moderner Öko-Rousseau

Ein paar Seiten weiter darf man dann lesen: „Insgesamt werden die Veränderungen so umfassend, dass sich die ökonomische und soziale Struktur Deutschlands verändern wird, und das immerhin so drastisch, dass die Deutschen einander und ihrer Heimat fremder werden. Es sei denn, sie wählen doch noch die andere Alternative, indem sie es sich zur gemeinsamen Aufgabe machen, den Klimawandel zu bremsen und die Naturzerstörung insgesamt zu beenden.“ Auf der nächsten Seite heißt es, was kommen muss: „der völlige Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft, das Ende des anthropogenen Kohlendioxidausstoßes binnen weniger Jahrzehnte.“ Beide Male habe ich mir dabei „Wie denn?“ an den Rand geschrieben. So ging es mir das ganze Buch hindurch. Immer wieder holt Ulrich die großen Worte und auch Behauptungen raus,  und dann liefert er nichts, was dem Leser einen Weg gibt. 

Zuweilen erinnert Ulrich an ein romantisches „Zurück zur Natur“, wie man es von dem Philosophen Jean-Jacques Rousseau etwa hören durfte. Ulrich kommt mir vor wie ein moderner Öko-Rousseau. Er leidet auch an dem gleichen Pessimismus, an dem Rousseau schon litt. Der folgende Satz über den Klimawandel untermauert das schön: „In diesen letzten 30 bis 40 Jahren der ständig wachsenden Bewusstwerdung haben die Menschen mehr Emissionen verursacht als in der gesamten Menschheitsgeschichte zuvor, als sie noch nicht wussten, was sie taten. Das wirft nicht zuletzt einen beunruhigenden Zweifel am Wert der Aufklärung auf.“

Das Politische ist intim

Bernd Ulrich ist ein Pessimist, der seinen Mitmenschen nicht vollends traut. Er ist wie der Händler, der erst das Geld sehen will, bevor er die Ware rausgibt. Deswegen drängt es ihn so sehr zur Öko-Pädagogik, auch wenn er immer wieder versucht, sich vom Öko-Moralismus zu distanzieren. Aber ihm fehlt selbst die Distanz zu seiner Ökologie, weil er nun mal selbst ein Ökologe ist – und zuweilen dadurch auch ein Ideologe, aber hier durchaus auch in einem positiven Sinne. 

Ulrich kann nicht  zwischen seinem eigenen privaten Engagement und Aktivismus und seiner Rolle als Journalist trennen. Das hängt auch theoretisch damit zusammen, dass er den Wahlspruch des Feminismus auf die Öko-Frage überträgt: Das Private ist politisch. Ja, das Politische sei sogar intim. Ulrich erzählt viel Persönliches im Buch. Von seiner Jugend im Ruhrpott, wie er zu den Grünen kam, wie er dann Journalist wurde, und wie er das Thema seines Lebens, die Ökologie, entdeckte. 

Er macht deutlich, wie er mit seinem eigenen ökologischen Verhalten hadert und eine lange fehlende eigene Radikalität heute bedauert. Er will sich vom „schlechten Gewissen“ befreien. Aber er tut dann so, als gelte das „schlechte Gewissen“ notwendig für alle – und als müsse er nun die Gesellschaft vom „schlechten Gewissen“ freischreiben, indem er aufzeigt, wo die Gesellschaft sich vielleicht doch selbst belügt. Ihm fehlt die Distanz. Denn es gibt auch noch andere Wege, sogar ökologische. Zum Beispiel ökologische Wege, die Technik ins Zentrum rücken. Doch die macht er zuweilen sogar lächerlich. Behauptet aber zugleich vollmundig, dass wir den „Kontakt zu weiten Teilen der Wirklichkeit da draußen verloren“ hätten – und meint natürlich erstmal Journalisten und Politiker. 

Anzeichen für Realitätsverlust

Aber dieser Realitätsverlust gilt für Ulrich selbstredend eher nur für die Ökologie. Bei der inneren Sicherheit, Migration, Integration, und Wirtschaftspolitik könnte man den Realitätsverlust der Elite genauso beklagen. Das tut Bernd Ulrich selbstverständlich nicht. Besonders dreist wird es da, wo er meint, dass Klima und Ökologie in den Medien kaum Aufmerksamkeit bekämen. Es würde immer wieder gelingen die „Größe der Gefahr an die Peripherie der Aufmerksamkeit zu drängen.“ Man fragt sich, ob er das wirklich ernst meint. 

Hat Herr Ulrich in letzter Zeit mal seine eigene Zeitung gelesen? Die Zeit hatte seit der Europawahl zweimal die Grünen auf dem Cover, dreimal ein Klimapolitikcover und dann noch Alexander von Humboldt als Naturschützer. Zwischendurch durfte auch Luisa Neubauer von „Fridays for Future“ in einem langen Text dramatisch vor dem Klimawandel warnen. Und wenn Klima mal nicht das Cover ist, dann findet sich meist auch irgendein Ökologie-Text im Politik-Ressort prominent platziert. Also meint Ulrich das eigentlich alles noch wirklich ernst?

Irgendwie Verzicht

Ulrich ist so meinungsstark, dass er darüber vergisst, auch mal Dinge von der anderen Seite zu sehen. Er hält sich nicht an die als journalistische Ethik bekannte Formel: „Audiatur et altera pars“ (Man höre auch die andere Seite). Nirgends zeigt sich das deutlicher als bei seiner Herabschätzung, die Klimafrage technologisch zu adressieren. So schreibt er: „Wer also auffällig oft Technologie sagt, der will in Wahrheit die zentralen Forderungen des Pariser Abkommens außer Kraft setzen“. Das ist eine schlimme Polemik. Ja, das ist unverschämt so etwas zu sagen. Auch Grüne wie Ralf Fücks glauben an einen ökonomischen und technischen Ansatz. Sie werden so alle heruntergeputzt auf das Niveau von Schuljungen.

Die konkreten Antworten darauf, wie der Klimawandel denn nun zu stoppen sei, bleibt Ulrich aber selbst schuldig. Außer irgendwie Verzicht und raus aus der Kohlenstoffökonomie fällt ihm nichts ein. Es sind wohlklingende Allgemeinplätze, mit denen er mittlerweile Mainstream ist. Man hätte jedoch eine Agenda von ihm erwarten dürfen. Sich herauszureden, und zu sagen, ich bin doch nur ein Journalist, die Politiker sollen machen, ist etwa das Niveau von „Fridays of Future“. Und selbst die sind konkreter als Ulrich. 

Journalist oder Aktivist? 

Bernd Ulrich wird sich entscheiden müssen. Will er weiter Journalist sein oder nun vollends zum Aktivisten werden? Doch, und das ist gewiss, er ist in Wirklichkeit kein Radikaler. Bernd Ulrich wird nie als Mikrofoneinpeitscher bei „Extinction Rebellion“ auflaufen. Es könnte darauf hinauslaufen, dass er erst Pressesprecher von Robert Habeck und später eventuell stellvertretender Regierungssprecher wird. Denn die Grünen an der Macht zu sehen, ist doch sein eindeutiges Ziel. 

Es ist keine Schande, als Journalist Parteipolitik zu machen oder ein Aktivist zu sein. Aber man muss es dann offenlegen. Kryptische Essays und diffuse Botschaften sind einfach nicht sehr konsequent. Sie machen nur deutlich, dass man sich selbst nicht ganz traut, offenzulegen, was man wirklich denkt. Für Bernd Ulrich gilt diese Kryptik insbesondere. Aus dem Jargon des Ungefähren muss er nun raus und zugleich zu einem neuen Pluralismus kommen, wenn er denn überhaupt Journalist bleiben will. 

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