Anschlag auf Salman Rushdie - Der Terror ist zurück

In den zwei Jahrzehnten nach den Anschlägen des 11. September fühlten sich die Amerikaner relativ sicher vor islamistischem Terror. Mit dem Mordanschlag auf Salman Rushdie wird klar, wie real die Bedrohung noch immer ist.

Hadi Matar, der Salman Rushdie mit einem Messer angriff, bei einer Gerichtsanhörung in New York am Samstag / dpa
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Eva C. Schweitzer arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen in New York und Berlin. Ihr neuestes Buch ist „Links blinken, Rechts abbiegen“.

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Salman Rushdie, der Erfolgsautor mit dem weißen Bart und dem freundlichen Lächeln, war in den letzten Jahren ein Fixpunkt der New Yorker Literaturszene. Er trat beim PEN World Festival als Gastredner auf, signierte seine Werke in Buchläden, schüttelte Hände, sprach beim Brooklyn Book Festival und war oft bei der alljährlichen Book Expo America zu Gast. Er plauderte auf Empfängen und Partys und gab gerne Interviews. Erst diese Woche erzählte er dem Stern, sei Leben sei nun praktisch wieder normal. Eine erstaunliche Entwicklung für den meistgehassten Schriftsteller der Welt.

1989 hatte Ayatollah Khomeini, der damalige iranische Obergeistliche, über Rushdie eine Fatwa verhängt, einen Aufruf an alle gläubigen Muslime, den Schriftsteller zu töten, da er mit seinem blasphemischen Buch Satanische Verse alle Muslims beleidigt habe. Ein Kopfgeld wurde ausgesetzt, das der Iran zuletzt, 2016, auf drei Millionen Dollar erhöht hat.

Es gab Krawalle, bei denen fast fünfzig Menschen umkamen, Buchläden wurden in Brand gesteckt, das Buch verbrannt und in mehreren Staaten, wo viele Muslims leben verboten, darunter auch Rushdies alte Heimat Indien, die ihm die Einreise verbat. Rushdies italienischer Übersetzer wurde niedergestochen und sein japanischer Übersetzer Hitoshi Igarashi ermordet. Auf Rushdies norwegischen Verleger wurde geschossen, und auch Rushdies US-Verleger Peter Mayer, Verlagsleiter von Penguin, wurde bedroht — Mayers Eltern waren vor den Nazis nach London geflüchtet.

Rushdie hatte sich gegen Polizeischutz ausgesprochen

Auch Rushdie lebte damals in London — die britische Regierung brach über die Fatwa die diplomatischen Beziehungen mit dem Iran ab —, und versteckte sich mehrere Jahre. 2000 zog er nach New York, wo er sich sicherer fühlte. Dazu kam, dass britische Politiker ihn angegriffen hatten; außerdem hatte es ein Bombenattentat auf ein Hotel gegeben, in dem er abgestiegen war. Auch in den USA stand Rushdie unter Polizeischutz. Schließlich reichte es ihm und er beschloss, ein normales Leben zu führen, zumal in New York seit dem 11. September die Polizei ohnehin ein scharfes Auge auf muslimische Extremisten hat. Am vergangenen Freitag wurde er auf offener Bühne niedergestochen.

Das Attentat geschah in der Chautauqua Institution, in einem Städtchen weit im Nordwesten von New York City am Lake Erie, wo Rushdie vor Publikum interviewt wurde. Der Attentäter, Hadi Matar, konnte auf die Bühne rennen, ohne aufgehalten zu werden. Er wurde noch an Ort und Stelle festgenommen, aber erst nachdem es ihm gelungen war, zehn bis 15 Mal auf Rushdie einzustechen und auch den Interviewer, Henry Reese, zu verletzen. Der 75-Jährige wurde sofort in ein Krankenhaus geflogen und an ein Beatmungsgerät gehängt; er hat wohl ein Auge verloren und schwere Verletzungen davongetragen, auch an der Leber. Der Täter wurde inhaftiert, er plädiert auf nicht schuldig.

Warum gab es in Chautauqua keine Sicherheitskontrollen?

Rushdie hatte sich schon vor Jahren gegen Polizeischutz ausgesprochen, aber auf der Veranstaltung gab es, ungewöhnlich für Amerika, überhaupt keine Sicherheit, auch keine Security Checks im Vorfeld; erstaunlich, da einem in New York sonst bei jedem Museum und jeder Bücherei vor dem Betreten in die Tasche geguckt wird. Chautauqua habe, so wurde kolportiert, die freundliche und offene Atmosphäre nicht stören wollen. Der Attentäter hatte sich einfach eine Karte gekauft und das Messer in die Tasche gesteckt.

Nicht nur die Zuschauer in Chautauqua, die mit den Blutlachen und dem Schrecken zurückgelassen wurden, sind entsetzt, auch die Literatenwelt. Viele Schriftsteller zeigten sich schockiert, darunter Neil Geiman, Ian McEwan und Margaret Atwood. Die New York Times rätselt, welches Motiv Hadi Matar wohl gehabt haben könnte, und auch die New Yorker Polizei konnte erst einmal keines erkennen. Wirklich? Der Sender NBC berichtet, dass Matars Social-Media-Accounts Sympathie für extremen schiitischen Islam zeigten und für die iranischen revolutionären Garden. Der 24-Jährige, der in Fairview, New Jersey lebte und aus Kalifornien stammte, soll einem ehemaligen Klassenkameraden zufolge ein gläubiger Muslim gewesen sein, schreibt das Internetblatt Daily Beast. Matar wurde in den USA geboren, seine Eltern sind laut dem Bürgermeister von Fairview Immigranten aus Yaroun, einer Stadt in Süd-Libanon.

Rückkehr des islamistischen Terrors

Seit dem Anschlag vom 11. September haben die USA weniger islamistische Attentate als Frankreich oder England erlebt, einige gab es aber durchaus. 2013 hatten zwei Brüder aus dem Kaukasus eine Bombe auf dem Boston Marathon hochgehen lassen, drei Menschen starben. 2014 griff ein Konvertit New Yorker Polizisten mit einer Axt an; im kalifornischen San Bernadino brachte 2015 ein muslimisches Paar 14 Menschen um. Im Jahr darauf erschoss der Veteran Omar Mir Seddique Mateen 49 schwule Männer in einem Nachtclub in Florida. Und 2017 fuhr ein Islamist mit einem Lastwagen auf einen Fahrradstreifen in Manhattan und tötete acht Menschen. Danach wurde es still.

Der Anschlag auf Rushdie schreckte nun viele in Amerika auf, die geglaubt hatten, mit dem amerikanischen Abzug aus Afghanistan bleibe der Terror nun vor den Toren. Nun berichtete CNN, dass Teheran einen Preis von 300.000 Dollar auf den Kopf von John Bolton versprochen haben soll. Bolton ist ein führender Neokonservativer, dessen wichtigstes Ziel als Trumps Sicherheitsberater war, den Atomdeal mit dem Iran zu kippen. Den Zorn der Mullahs zog er sich zu, weil er als Planer des Anschlags auf Qassem Soleimani gilt, der Kommandant der iranischen Revolutionsgarde für Auslandseinsätze, den Trump im Januar 2020 töten ließ.

Bolton auf der Liste?

Auch Matar soll Fotos von Soleimani auf seinem Handy gehabt haben. Bolton warnte Biden auch davor, mit dem iranischen Regime einen neuen Atomdeal zu vereinbaren. Dem Iran kommt gerade jetzt Ärger mit den USA nicht gelegen, aber trotzdem verfielen einige Medien ins Jubeln. Das regierungsnahe Blatt Kayhan erklärte "tausend Bravos für die tapfere und pflichtbewusste Person, die den ungläubigen, bösen Salman Rushdie in New York angegriffen hat". Die Nachrichtenseite Asr Iran bezog sich auf Khomeini und schrieb, ein Pfeil, von dem Führer abgeschossen, werde eines Tages das Ziel treffen. Und der Khorasan Daily schlagzeilte: “Satan auf dem Weg zur Hölle”.

Der Hass der Extremisten beschränkt sich aber nicht auf Rushdie. Die britische Autorin JK Rowling, die einen Unterstützungstweet für Rushdie abgesetzt hat, wurde auf Twitter von einem Islamisten namens Meer Asif Aziz gedroht, sie sei die nächste. Normalerweise bekommt Rowling Morddrohungen eher von Transaktivisten.

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