„Anne Will“ zu Missbrauch in Katholischer Kirche -  „Herr Bischof, vielleicht müssen Sie die Reformation nachholen“

Bei „Anne Will“ ging es um die Bilanz des Krisengipfels der Katholischen Kirche zum Thema sexueller Missbrauch. Opfer und Ankläger zeigten sich enttäuscht. Und sogar der Mann, der die Kirche verteidigen sollte, geriet in Erklärungsnot

Anne Will und Gäste / NDR (Wolfgang Bohrs)
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Sie war neun, als sie von dem Mann vergewaltigt wurde, der nicht nur ihr Lehrer und ihr Priester war, sondern der fleischgewordene liebe Gott. Das liegt jetzt schon 52 Jahre zurück, doch was das mit ihr gemacht hat, kann man erahnen, wenn man erlebt, wie Agnes Wich darüber redet. Am Sonntag war sie zu Gast bei „Anne Will“. „Wie entschlossen kämpft die Katholische Kirche gegen sexuellen Missbrauch?“, lautete das Thema nach dem viertägigen Krisengipfel im Vatikan, verharmlosend „Kinderschutzkonferenz“genannt. Die 61-jährige war die einzige Frau in einer illustren Männerrunde, die unter anderem mit dem Missbrauchsbeauftragten der Deutschen Bischofskonferenz, Stephan Ackermann, und mit Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung besetzt war.

Ein „Vorfall“, der das Leben prägt

Das, was Wich „den Vorfall“ nennt, hat ihr Leben geprägt. Sie ringt nach Worten, um auszusprechen, was noch immer unaussprechlich ist. Mit 18 tritt sie aus der Kirche aus – und mit 61 wieder ein. Als Sozialpädagogin klärt sie heute selber über sexuellen Missbrauch auf, „um Heilung zu bekommen“, wie sie sagt. Das Trauma  zu bewältigen, den Verlust dessen, was man Gottvertrauen oder Urvertrauen nennt, ist ein lebenslanger Prozess. Viele Opfer zerbrechen daran.

Dementsprechend groß dürften Wichs Erwartungen an den Krisengipfel in Rom gewesen sein. Dass Priester ihre gottgleiche Stellung ausnutzen, um sich an Kindern zu vergehen, ist seit mehr als 30 Jahren bekannt. Das Ausmaß dieses Skandals ist erschreckend. Allein für  Deutschland hat eine Studie der Deutschen Bischofskonferenz 3677 Fälle seit 1946 registriert.

Opfer müssen leider draußen bleiben

Das setzt die Kirche unter Druck. Es war jetzt das erste Mal in ihrer Geschichte,  dass der  Papst Bischöfe aus der ganzen Welt nach Rom einbestellt hat, um – ja, wofür eigentlich? Die ketzerische Frage stellte Heribert Prantl gleich zu Beginn der Sendung. Denn Missbrauchsopfer hatte der Vatikan nicht eingeladen. Sie mussten draußen bleiben. Ein befremdliches Szenario. Während der Papst drinnen in gesalbten Worten „von den Schreien der Kleinen“redete, die Gerechtigkeit forderten, standen die – inzwischen großgewordenen – Opfer vor der Tür.

Einer von ist Matthias Katsch. Als Schüler wurde er am Berliner Canisius-Kolleg von einem Jesuitenpater missbraucht. Heute ist er Sprecher der Opfer-Initiative „Eckiger Tisch“. Die Rede des Papstes sei der schamlose Versuch gewesen, sich an die Spitze einer Bewegung zu setzen, ohne sich der Schuld und dem Versagen zu stellen, kritisierte er bei „Anne Will“. Wo bleibe eine finanziellen Entschädigung für die Opfer? Wo blieben Regeln für die systematische Aufarbeitung der Verbrechen?

Ein Bischof mit undankbarer Aufgabe

Man sah da schon, wie es im Gesicht von Bischof Stephan Ackermann arbeitete. Als Missbrauchsbeauftrager der Katholischen Kirche hatte er die undankbare Aufgabe, die dürren Ergebnisse des Krisengipfels als Erfolg zu verkaufen. Das konnte nicht gut gehen. Da konnte Ackermann noch so pflichtschuldig behaupten, er sei insgesamt zufrieden mit dem Krisengipfel und der Papst habe das Fundament für eine Kultur der Aufarbeitung gelegt.  Wenn selbst er aber am Ende kleinlaut einräumen muss, er persönlich hätte sich auch eine To-do-Liste gewünscht, einen Plan, der genau auflistet, wie es jetzt weitergehen soll. Wenn er bestätigen muss, dass es in der Kirche immer noch erhebliche Widerstände dagegen gibt, ihre Archive für die Ermittlungsbehörden zu öffnen, dann ahnt man, dass dieser Krisengipfel nicht schon das Ende eines schon lange gärenden Prozesses war, sondern erst ein Anfang sein kann.

Von einer „Jahrtausendkrise“, die eine Jahrtausendreform erfordere, sprach Heribert Prantl, sich selbst zitierend. Prantl ist Jurist. Er hat als Staatsanwalt gearbeitet. Er sagt, er habe es erlebt, wie die Kirche mit Mitarbeitern umgegangen sei, die Kinder sexuell missbraucht hätten. Statt sie zur Rechenschaft zu ziehen, habe man sie in ein Kloster abgeschoben. Prantl forderte einen eigenen Straftatbestand für„Vertuschung.“

„Der Missbrauch steckt in der DNA der Kirche“

Was aber sagt die Bundesregierung zu dieser Form von Paralleljustiz, der es lange nicht um Gerechtigkeit ging, sondern in erster Linie darum, das Ansehen der Kirche zu retten? Mit Johannes-Wilhelm Rörig hat sie 2011 einen  eigenen Missbrauchsbeauftragten eingesetzt. Vor dem Krisengipfel hatte er gesagt, wenn die Veranstaltung kein Wendepunkt werde, werde sie ein Fiasko. Bei „Anne Will“ drückte er sich jetzt vor einer Verurteilung der Kirche. Die Straftaten müssten verfolgt werden, forderte er. Auch verjährtes Unrecht müsse anerkannt werden. Ein Forderungskatalog im Konjunktiv. Was man eben so sagt, wenn man weiß, dass der Staat die Kirche nicht zwingen kann, den Ermittlern Zugang zu den Akten der Täter zu verschaffen.

Der sexuelle Missbrauch, das war das Fazit dieser Sendung, ist ein strukturelles Problem der Kirche. „Er steckt in der DNA der Kirche“, so hatte  es der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer vor dem Krisengipfel formuliert – und damit eine Antwort auf die Frage vorweggenommen, warum sich die Kirche mit dem Thema so schwer tut.

Selbstherrliche Männerbünde

Es geht um Männerbünde, die sich im Licht der eigenen Selbstherrlichkeit sonnten und nicht bereit seien, von ihrem Sockel herunterzukommen. Doch der Missbrauchsskandal zwinge sie jetzt dazu, ihr Fundament in Frage zu stellen, auch das Zölibat und warum Frauen immer noch nicht zu Priesterinnen geweiht werden dürfen. Heribert Prantl bemerkte das süffisant grinsend mit Blick auf Stephan Ackermann. „Herr Bischof, vielleicht müssen Sie die Reformation nachholen.“

So weit würde Agnes Wich nicht gehen. Auch sie äußerte sich enttäuscht über den Ausgang des Krisengipfels. Aber Maximalforderungen zu stellen, dafür fehlt ihr das Selbstbewusstsein. Es ist vielleicht auch eine Folge „dieses Vorfalls“ vor 52 Jahren. Agnes Wich sagt, sie tue sich schwer mit der gesalbten Sprache des Papstes. Sie würde sich wünschen, dass er endlich Klartext spricht.

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