#allesdichtmachen - Eine wunderbar mutige Aktion

Der Streit wegen der satirischen Corona-Videos deutscher Schauspieler wird immer unversöhnlicher. Dabei berührt die Aktion durchaus mehrere wunde Punkte, schreibt der Pianist Martin Stadtfeld.

Der Schauspieler Richy Müller in seinem Video-Beitrag / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Martin Stadtfeld (Foto dpa) ist einer der bekanntesten deutschen Pianisten. Er konzertierte mit Orchestern wie den Münchner Philharmonikern, der Academy of St Martin in the Fields, dem Leipziger Gewandhausorchester, der Staatskapelle Dresden und den Wiener Symphonikern. Stadtfeld, 1980 in Koblenz geboren, wurde viermal mit dem Echo Klassik Preis ausgezeichnet.

So erreichen Sie Martin Stadtfeld:

Anzeige

Die Kultur hat – vertreten durch den deutschen Kulturrat und andere Institutionen – um Konzepte gerungen, unter jedweden noch so begegnungsfeindlichen Bedingungen Veranstaltungen durchzuführen.
Dieses Ringen jedoch ist nicht nur grandios gescheitert, sondern spielte – wie ich der Debatte zur Novelle des Infektionsschutzgesetzes entnommen habe – bei der parlamentarischen Entscheidungsfindung überhaupt keine Rolle, sieht man von der des Statisten ab.

Es war somit eine wunderbar mutige Aktion der besten deutschen Schauspieler, etwas wirkliches Leben in die Debatte zu bringen und Fragen jenseits von „Lockdown hart oder light?“ aufzuwerfen. Auf viele Traurigkeiten dieses momentanen „Lebens“ einzugehen, die jeden Menschen mit Empathie und dem Gefühl für ein erfüllendes Miteinander allmählich zermürben.

Es wäre ein Hoffnungsschimmer

Ministerpräsident Armin Laschet hat in einer Fernsehsendung in schon fast bemerkenswerter Weise darauf hingewiesen, dass nicht nur eine Krankheit ihre Opfer fordert, sondern auch die Maßnahmen dagegen, wohlgemerkt: Todesopfer. Für diese Aussage gebührt ihm in der gegenwärtigen Situation durchaus Anerkennung. Er riskiert als Kanzlerkandidat damit ein Abweichen vom politisch-medialen Mainstream: Tut sich hier womöglich noch so etwas wie eine Wahl im September darüber auf, in welcher Welt wir leben wollen? Das wäre ein Hoffnungsschimmer.

Denn wir erfahren ja momentan, was geschieht, wenn ein einziges Thema und dessen einseitige Betrachtung nahezu ausschließlich die Öffentlichkeit beherrscht: Es bildet einen unversöhnlichen Spalt der moralischen Bewertung aus. Jan Josef Liefers Medienkritik setzt vollkommen berechtigt an diesem Punkt an.

Wer sich hinter der Aussage, jeder Lockdown rette Leben, verschanzt, offenbart einen technokratischen Blick auf eine Gesellschaft, die doch aus so vielen verschiedenen Lebenswelten zusammengesetzt ist. Er kostet auch Leben, er kostet Lebensjahre der krankmachenden Sorge, der verbauten Chancen, der nicht ausgeschöpften Möglichkeiten. Er kostet letzte Momente eines würdevollen und teilhabenden Daseins.

Gesellschaft ohne Möglichkeit

Einer parlamentarischen Demokratie sollte es Aufgabe sein, diese Dinge abzuwägen. Die Entscheidungen, zu denen man gelangt, werden nie jedem gefallen können. Aber wenn man nicht mehr abwägen, nachdenken, sinnieren, darf? Dann hat nicht nur ein einziges Thema die Oberhand gewonnen, sondern tatsächlich eine einzige zulässige Betrachtung. Es ist aber dann keine Demokratie mehr, sondern eine Gesellschaft ohne jede Möglichkeit.

Aus der Kultur kritisiert man die Aktion von Liefers & Co. auch. Die muss wohl erst endgültig abgeschafft sein, bis man dort zu der Ansicht gelangt, sich etwas kritischer äußern zu dürfen.

Anzeige