Kopftuch-Streit - Für das Recht auf Wind in den Haaren

Die österreichische Regierung möchte an Kitas und Grundschulen das Tragen von Kopftüchern verbieten. Die Sozialwissenschaftlerin und Autorin Necla Kelek findet das einen richtigen und längst überfälligen Schritt. Denn es gehe dabei um Emanzipation und ein Recht auf Kindheit

Schülerin mit Kopftuch: Stigmatisiert als potenzielle Verführerin / picture alliance
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Autoreninfo

Necla Kelek, 1957 in Istanbul geboren, kam mit zehn Jahren nach Deutschland. Die promovierte Sozialwissenschaftlerin ist Autorin zahlreicher Bücher zum Islam und Vorstandsfrau von Terre des Femmes

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Es sollte in der Verfassung ein „Recht auf Kindheit“ geben. Dieses Recht sollte unter anderem jedem Mädchen und jedem Jungen die Möglichkeit geben, Freiheit zu lernen und zu erfahren. Dazu gehört es unter anderem, sich frei zu bewegen, seinen Körper zu erfahren, auszuprobieren, den Wind in den Haaren spüren zu können. Ein Kind sollte schwimmen lernen, Feuer machen und auf Bäume klettern dürfen. Das sollte es tun können, ohne auf sein Geschlecht oder religiöse Normen reduziert zu werden. Es sollte auch erfahren dürfen, dass ein Leben ohne Allah oder Gott möglich ist. 

Deshalb ist der Vorschlag der österreichischen Regierung, in Kindergärten und Grundschulen das Kopftuch bei Kindern zu verbieten, allein schon aus Gründen der Gleichheit und Nichtdiskriminierung von Mädchen zu begrüßen.  

Dass die österreichischen Sozialdemokraten mit ihrer Zustimmung hadern, liegt wohl zum einen daran, dass sie in der Opposition sind, und zum anderen an der indifferenten Haltung gegenüber dem Islam, wie sie auch bei der SPD in Deutschland zu beobachten ist. Die deutsche Sozialdemokratie meint offenbar immer noch, dass die muslimische Arbeiterschaft ihr Verbündeter gegen wen oder für was auch immer sei. Zumindest sind die von SPD-Funktionären initiierten Staatsverträge mit Islamverbänden kaum anders zu verstehen. 

Verbannung des Kopftuchs war eine Befreiung

Als ich Mitte der sechziger Jahre in Istanbul und dann für ein Jahr in Zentralanatolien zur Schule ging, trug niemand ein Kopftuch. Weder unsere Lehrerin, noch eines der Mädchen. Das Kopftuch war in der laizistischen, sich aber zum Islam bekennenden Republik aus den Schulen, den Universitäten, der Öffentlichkeit verbannt worden. Nur noch alte und konservativ religiöse Frauen in den Dörfern trugen den Schleier aus traditionellen Gründen. Und die Mehrheit empfand diese Entwicklung als ersten Schritt zur Befreiung vom Patriarchat und von der Apartheid. 

Der „Hijab-Vers“ war vom Propheten Mohammed selbst nicht als religiöses Zeichen, sondern als Zeichen des Respekts vor seinen Frauen und als Schutz vor der Zudringlichkeit fremder Männer gedacht gewesen. In der Folge entstand in der muslimischen Gemeinde ein Innen und Außen, eine Apartheid von Frauen und Männern. Frauen wurden als Verführerinnen gesehen und sollten als Besitz ihrer Männer für fremde Männer unsichtbar werden. Der Schleier wurde das besitzanzeigende Zeichen der Männerherrschaft. Der Schleier stigmatisiert Frauen als Sexualwesen, als potenzielle Verführerin. Und nichts anderes bedeutet es, wenn Kinder angehalten werden, mit dem Kopftuch ihr Haar zu verbergen.

Eine Fahne des politischen Islam

Das Kopftuch wurde zum Symbol der Unterdrückung der Frau und vor allem im Zuge der Re-Islamisierung der Welt zur Fahne des politischen Islam. Die westliche Gesellschaft hat das Problem der Belästigung  von Frauen durch Männer (und umgekehrt) anders gelöst: Nicht die Frau gilt per se als Verführerin, sondern Männern und Frauen sind eigenverantwortlich für ihr Handeln. Der Mann (die Frau) muss sich beherrschen, sich zurückhalten – sonst erwartet ihn (sie) eine Sanktion.

Das Kopftuch bei kleinen Mädchen ist nicht religiös begründet, sondern folgt der Auffassung, dass auch das Mädchen ein Sexualwesen ist, das vor fremden Blicken zu schützen ist. Es ist zudem eine Maßnahme der (Selbst-)Ausgrenzung von konservativen muslimischen Eltern, die offenbar Probleme mit einer offenen demokratischen Gesellschaft haben. Sie leben nicht als Bürgerinnen und Bürger muslimischen Glaubens bei uns, sondern wollen als Gläubige mit entsprechenden Sonderrechten wahrgenommen werden. Es geht also auch darum, ob wir den Wettstreit um die Idee der Freiheit aufnehmen und für freie Köpfe streiten.

Allein aus Gründen der Fürsorge sollten wir uns wünschen, dass das „Recht auf Kindheit“ und offenes Haar auch in deutschen Kindergärten und Grundschulen und darüber hinaus in Schulen, an Ausbildungsstätten ganz allgemein Einzug hält. Österreich könnte hier zum Vorbild werden.

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