Fall Kevin Spacey - Guter Künstler, böser Mensch?

Kevin Spacey soll Mitarbeiter sexuell belästigt haben. Ein Sender stellte die Zusammenarbeit mit dem Schauspieler ein, aus einem Film wird er herausgeschnitten. Dabei waren viele große Künstler keine Sympathen, einige sogar kriminell. Haben wir verlernt, zwischen Werk und Person zu trennen?

Kevin Spacey: Über die Personen, die er darstellt, wissen wir alles, über ihn selbst nicht viel / picture alliance
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Autoreninfo

Manuel Scheidegger studierte Philosophie und Szenische Künste in Berlin und Hildesheim. Er arbeitete u.a. in der Werbung, am Theater und war Co-Gründer eines Startups für digital storytelling. Mit seinem Unternehmen Argumented Reality inszeniert und moderiert er zu aktuellen Themen wie Artificial Intelligence, Zukünfte, Neue Arbeit, Nachhaltigkeit oder Diversity Events und Workshops für Unternehmen, Organisationen und die Öffentlichkeit.

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„Eigentlich dreht sich alles nur um Sex. Außer Sex. Sex dreht sich um Macht.“ Diese Worte kamen vor nicht allzu langer Zeit ausgerechnet aus Kevin Spaceys Mund. Nach den gravierenden Vorwürfen sexuellen Missbrauchs und sexueller Belästigung, die vergangene Woche gegen ihn publik wurden, klingen sie wie Hohn. Es scheint, als ob sich hier ein Mann seiner Position und deren Unantastbarkeit so sicher war, dass er sich die Anmaßung erlaubte, vor den Augen der Öffentlichkeit über seine perversen Neigungen zu sprechen. Dem ist auch so. Nur dass es sich bei diesem Mann nicht um Kevin Spacey handelte, sondern um den von ihm dargestellten Frank Underwood.

Verlorene Trennschärfe zwischen Figur und Werk

Die Serie „House of Cards“ erzählt die Geschichte von Underwoods Aufstieg als Politiker, der ihn über zahlreiche echte und sprichwörtliche Leichen bis ins Oval Office führt. Die Figur von Frank Underwood ist der personifizierte Ekel, eine der bösartigsten, zugleich faszinierendsten Versionen des Willens zur Macht, die die Kunstgeschichte bisher gesehen hat. Zweifellos heißt dies aber: Frank Underwood und seine Gattin Claire, die ihm in diabolischer Kühle und machtpolitischer Raffinesse in nichts nachsteht, sind Kunstfiguren, Fiktionen, sie entstammen der Feder und der Fantasie von Drehbuchschreibern. Spacey und Underwood hatten bisher so viel miteinander zu tun wie jeder andere Künstler mit seinem Werk: Goethe ist nicht Faust, Pablo Picassos Gesichtszüge sind nicht kubistisch, Quentin Tarantino hat nie ein Blutbad angerichtet und Elfriede Jelinek spricht kaum in vertrackten Sprachkollagen, wenn sie Brötchen holt.

Nun ist alles anders. Seit Ende Oktober überschlagen sich die Nachrichten über Kevin Spaceys übergriffiges, moralisch verwerfliches und womöglich gesetzeswidriges Verhalten gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Mitarbeitern, Kollegen und Bekannten. Wie in jedem Rechtsfall herrscht die Unschuldsvermutung und jede Vorverurteilung wäre fehl am Platz. Gleichwohl gilt es, auch die mutmaßlichen Opfer ernst zu nehmen, deren schiere Zahl die Glaubwürdigkeit ihrer Vorwürfe untermauert. Es sieht so aus, als hätte der Unterschied zwischen Kevin Spacey und Frank Underwood an Trennschärfe verloren. Wir sehen das Bild eines despotischen, übergriffigen und möglicherweise straffälligen Egomanen vor uns, und meinen damit nicht länger nur Frank Underwood. Wie sollen wir mit diesem Zusammenfall von Werk und Person umgehen?

Uns gruselt vor so viel anrüchigen Parallelen. Heißt es nicht zu Beginn von Filmen und Serien stets: Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig? Als ob es keine sexgeilen, gierigen und machtbesessenen Menschen gäbe und nie ein schwerreicher, sexistischer und narzisstisch gestörter Mann Herr des Weißen Hauses werden könnte. War die Wahl Trumps für die Macher der Serie Ansporn, ihre scharfsinniges Politdrama noch weiter auf die Spitze zu treiben, scheint der Fall Spacey Netflix Anlass zu sein, die Figur Frank Underwood zu streichen, womöglich sogar die Serie vorzeitig zu beschließen. Aus dem Film „Alles Geld der Welt“, der im kommenden Monat in den US-amerikanischen Kinos anläuft, wurde die von Spacey verkörperte Figur komplett herausgeschnitten. Diese Schnitte sind radikal. Ein gutes Werk wird zerstört, weil es von einem bösen Menschen gemacht wurde. Ist diese Maßnahme gerechtfertigt und sollten wir, wie derzeit vielfach in Feuilletons und Leserforen gefordert wird, nicht mehr ansehen, was Bill Cosby, Dustin Hoffmann, Roman Polanski, Klaus Kinski, Harvey Weinstein und eine nicht bekannte Dunkelziffer gedreht und produziert haben?

Der entscheidende Unterschied

Die Geschichte der Kunst ist voll von mehr oder weniger prominenten Künstlern, die kriminell waren. Das Buch „Schlimme Finger“ von Gudrun Schury und Rolf-Bernhard Essig nennt zahlreiche Beispiele: François Villon rühmte sich seiner Verbrechen; Karl May wurde wegen Betrugs, Diebstahl und Hochstapelei verurteilt; Norio Nagayama war ein Mörder, aber auch ein in Japan bekannter Bestsellerautor. Erinnern wir uns zuletzt an Otto Mühl, einen der prägenden Köpfe des Wiener Aktionismus. Obwohl er wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden war, wurden ihm auch nach seiner Haftentlassung mehrere größere Werkschauen zuteil. Jedes Mal gab es Proteste, genauso wie sie jetzt die Werkschau Roman Polanskis in Paris begleiten. Es wird zu recht darüber gestritten, wie man mit den unheilvollen Allianzen von Kriminalität und Kunst umgehen soll. Stets gab es Fälle, in denen Kunstwerke selbst kriminalisiert wurden. Das Folkwang Museum in Essen hat 2014 eine Balthus-Ausstellung gestoppt, als eine heftige Diskussion darüber entbrannt war, ob bestimmte seiner Bilder nicht als kinderpornographisch anzusehen seien. Aber um solche Fälle geht es hier nicht. Wir sprechen vom Moralbruch und möglichen Gesetzesverstoß eines Künstlers, nicht seines Werks. Genau dieser Unterschied ist es, den die Verfechter denn auch betonen, wenn sie weiter für die Werke eintreten.

Auch die Kunstphilosophie beharrt auf der Relevanz dieses Unterschieds: Kunstwerke werden zwar von Menschen geschaffen, und es kann gut sein, dass ein Künstler in einem Werk bestimmte Ideen darstellen oder Gefühle ausdrücken möchte. Im schlimmsten Fall gelingt ihm dabei aber nichts weiter als eine subjektive Äußerung: Statt Poesie entsteht ein Pamphlet, statt eines Romans ein Therapietagebuch. Sofern ein Kunstwerk gelingt, hängt dieses Gelingen allein davon ab, ob in seiner Gestalt, den in ihr verarbeiteten Bezügen und Diskursen (zu denen Aspekte des Künstlerlebens gehören können) etwas hergestellt wird, was andere der Auseinandersetzung wert finden. Diese Unabhängigkeit der Gestaltung von den Absichten der Künstler macht es überhaupt möglich, dass wir Werke auch lange nach deren Ableben interessant finden, dass wir sie (anders als ihre Schöpfer) interpretieren können und dass wir nicht davon ausgehen, dass alles, was das Werk von sich gibt, die Meinung des Künstlers wiederspiegelt. Goethe war eben nicht „der Geist, der stets verneint“, sondern der Autor eines Buchs, in dem Figuren mitunter teuflische Dinge tun.

Was, wenn böse Menschen Gutes vollbringen?

Warum sollten wir also nicht Werke für sich stehen lassen, genauso wie wir Kinder nicht aufgrund ihrer Eltern verurteilen? Gewiss sollten wir die Frage stellen, ob man einem Künstler wie Otto Mühl eine Werkschau zugestehen soll. Aber diese Frage hat mehr mit unserem gesellschaftlichen Umgang mit dem Bürger Otto Mühl zu tun, als mit der Frage nach der Qualität seiner Werke. Sie ist zweifellos nicht einfach zu beantworten. Man kann ihre philosophische Schwere illustrieren, wenn man sie in einem Vergleich zuspitzt: Was wäre, wenn eine kriminelle und abgrundtief böse Wissenschaftlerin ein Medikament gegen Krebs entwickeln könnte? Würden wir sie nicht daran arbeiten lassen? Wie wir auch antworten: Wesentlich ist, dass dieses Szenario keinen Zusammenhang zwischen der Bösartigkeit der Wissenschaftlerin und dem Medikament herstellt. Genau das sind wir aber geneigt bei Kevin Spacey zu tun.

Wir haben das Gefühl, betrogen worden zu sein. So als hätte sich herausgestellt, dass nicht Goethe, sondern Mephisto den Faust geschrieben hätte. War alles denn gar keine Kunst, sondern nur ein Offenbarungseid darüber, nicht wer Frank Underwood, sondern wer Kevin Spacey ist? Im Rahmen der Debatten um die Relevanz von Kunst im Angesicht krimineller Urheber wiegt die Schauspielerei besonders schwer. Das hat mit einer uralten Frage zu tun: Inwiefern muss ein Schauspieler das, was er spielt, selbst erlebt haben? Wie viel echte Gefühle muss er investieren, um andere Figuren darzustellen? Theoretische Schriften um Schauspielerei debattieren darüber seit Jahrhunderten: Verfechter der „heißen“ Schauspielkunst gehen davon aus, dass echte Gefühle im Spiel sein müssen. Ihre Opponenten betonen im Namen „kalter“ Schauspielkunst, dass es primär um die rationale Distanz zum eigenen Körper geht, der als Instrument bestmöglich in Szene gesetzt werden muss. Kevin Spacey offenbart sich als schauspielerisches Rätsel: Ist er denn nun ein heißer Schauspieler, der in House of Cards ganz zu sich selbst findet, oder ein kalter Darsteller, der uns jahrelang getäuscht hat, wer er eigentlich ist: kein virtuoser Darsteller, sondern ein Sexverbrecher?

Spielen wir alle nur Theater?

Wie keine andere Kunst steht Schauspielerei für eine unauflösliche Verbindung von Realität und Fiktion. Spielen wir alle Theater, wie der Soziologe Erving Goffman gesagt hat? Wie unterscheiden wir den perfekten Hochstapler, der sich als Arzt ausgibt, von einem echten Arzt, wenn beide ihre Kunst perfekt beherrschen? Das Problem der Schauspielerei ist, dass sie im „Material der eigenen Existenz“ stattfindet, wie der Anthropologe Helmuth Plessner schrieb. Ein Schauspieler investiert sich selbst – mit Haut und Haar. Misslingt sein Werk „(streift) die Verachtung immer zugleich die Person“, wie schon 1785 Johann Jakob Engel beklagte. Und das scheint eben auch umgekehrt der Fall: Misslingt sein Leben, streift die Verachtung seiner Person unweigerlich auch das Werk. Wer heute den fiktiven Gynäkologen Cliff Huxtable in der Cosby Show sieht, wird daran denken, dass zahlreiche Frauen den Darsteller Bill Cosby sexueller Übergriffe bezichtigt haben. Die sinnbildliche Unschuld des freundlichen, liebenswerten Huxtable bricht sich am schlechten Image ihres Darstellers. Wer diese Ambivalenz nicht sieht, gehört zu denen, die glauben, dass etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen tatsächlich Zufall seien. Nein. Sie sind der Stoff, aus dem Filme und Serien gemacht werden. Keine Grenze zwischen Kunst und Leben ist fragiler als diejenige der Schauspielkunst.

Gleichwohl bleibt eine Grenze. Nehmen wir einmal an, Kevin Spacey sei das Ekel, das Frank Underwood in der Fiktion der Autoren ist. Selbst dann wäre Spacey immer noch ein begnadeter Darsteller, der sich darauf versteht, das Ekelhafte in Szene zu setzen. Es ist eine Sache, privat ein mieser Charakter zu sein, eine ganz andere aber, zum begnadeten Charakterdarsteller zu reifen. Man braucht höchste Virtuosität, um seine Stimme auf einem Set vor Kälte klirren zu lassen und seinen Blick so zu führen, dass für uns der Eindruck entsteht, zwei gefühlslose Augen schauen uns an, obwohl es nur Pixel auf einem Bildschirm sind.

Die Entscheidung von Netflix ist falsch

Was wissen wir denn über Kevin Spacey? Eigentlich wenig. Wir haben davon Notiz genommen, dass er bestimmte Taten begangen haben soll. Aber wir wissen nichts über seine Person, seine Beweg- und Hintergründe. Genau das ist anders bei Frank Underwood: Eine Figur ist so angelegt, dass wir sie bis ins Detail interpretieren können. Wir kennen sie oft besser als uns selbst, schrieb der Drehbuchexperte Robert McKee. Underwood ist ein Psychogramm der Bösartigkeit. Das Bild eines Psychopathen ohne Gewissen. Auf keinen Fall dürfen wir aber von Underwood wieder auf Spacey rückschließen und Bild mit Wirklichkeit verwechseln. Deren Unterschied besteht nicht in den Handlungen, die wir beiden zuschreiben. Er besteht darin, dass Kevin Spacey ein Mensch ist. Einem Menschen müssen wir unbedingt zugestehen, dass er sich verändern kann. Frank Underwood aber wird immer das Scheusal bleiben, das er ist – und gerade darum in die Filmgeschichte eingehen. Kevin Spacey hingegen soll für seine Taten gerade stehen; wenn er straffällig geworden sein sollte, auch juristisch. Das heißt aber auch: Er muss sich bessern können.

Nur allzu schnell überlagern sich in dieser Debatte das Bild Frank Underwoods mit dem Image des Starschauspielers und beide wiederum mit der Person Kevin Spacey. Netflix hat ebenso schnell reagiert. Aber falsch: Mit der Entlassung Spaceys übernimmt der Filmdienst nicht Verantwortung; er rettet bloß das eigene Image. Netflix, groß geworden im Netz, fürchtet die Wut der Sozialen Medien. Besser hätte es den Fall aber da geklärt, wo er zu klären ist: im Medium des Sozialen, mit den Leuten, die es betrifft, konkret und privat. Das will nicht heißen, dass die öffentliche Auseinandersetzung mit Spacey und all den anderen Prominenten schlecht war. Im Gegenteil: Sie regt sie eine wichtige Debatte an. Von den grellen Scheinwerfern der Medienwelt richtet sie hoffentlich auch Licht auf den Alltag anderer Menschen, die in einem Klima des Sexismus und allzu oft der sexuellen Gewalt leben müssen.

Das Zitat zu Beginn dieses Texts stammt übrigens von Oscar Wilde. Er wurde seiner Zeit wegen Homosexualität zu Zuchthaus verurteilt und als Autor geächtet. Auch Spacey hat sich im Zuge der Vorwürfe zu seiner Homosexualität bekannt. Es scheint allerdings, als vetrsuche er mit seinem Coming Out, sich der drohenden gesellschaftlichen Ächtung gerade zu entziehen. Als ob sein Image als homosexueller Filmstar noch einmal das böse Bild überblenden könnte, das die Enthüllungen von ihm zeichnen. Eine unschöne Instrumentalisierung der LGBT-Bewegung. Sie wird in Erinnerung bleiben. Geächtet werden muss deswegen trotzdem kein Film von Spacey. Auch braucht es kein Arbeitsverbot oder überstürzte Filmschnitte. Kevin Spacey soll weiter Bösewichte spielen und Frank Underwood bitte nie in Therapie gehen. Die größte Strafe für Spacey wird es sein, dass viele nun nicht mehr recht glauben mögen, dass er ein großer Verwandlungskünstler ist. Das mag für ihn bedauerlich sein. Sein Werk wird deswegen nicht schlechter.

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