Älteste Familie der Welt lebt im Harz - In 3.000 Jahren nicht umgezogen

Seit unglaublichen 120 Generationen leben die Huchthausens in einem kleinen Ort im niedersächsischen Harz. Sie gelten als die älteste Familie der Welt.

(picture alliance) Manfred Huchthausen betrachtet in der Iberger Tropfsteinhöhle die Nachbildung eines seiner Vorfahren, der vor 3.000 Jahren hier gelebt hat..
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Im Urlaub war Manfred ­Huchthausen schon lange nicht mehr. „Wenn ich überhaupt mal die Koffer packe, dann nur meiner Frau zuliebe“, sagt der Berufsschullehrer, streicht sich zufrieden über den weißen Stoppelbart und faltet gemütlich die Hände auf dem Bauch. Der zweifache Familienvater will einfach nicht weg aus seinem kleinen Förste, einem beschaulichen Dörfchen an den Ausläufern des niedersächsischen Harzes. In den dunklen Wäldern des Tales hat er schon als Kind gespielt. Viele Fragen hat er sich seither in seinen 62 Lebensjahren gestellt. Aber nie die Frage, ob er jemals seinen Heimatort verlassen sollte.

So ging es auch seinem Vater. Und seinem Großvater. Und seinem Urgroßvater. Und vor ihnen mindestens 120 weiteren Generationen der Familie. Die Huchthausens leben nachweislich seit unglaublichen 3.000 Jahren in diesem Tal. Sie sind damit die älteste Familie der Welt.

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Als alteingesessene Familie ­galten die Huchthausens in ihrer Heimat schon immer. Dass aber ihre Wurzeln so weit in die Vergangenheit zurückreichen, erfuhren Manfred, seine Frau Friederike und die beiden Söhne erst vor ein paar Jahren durch einen Zufall. Archäologen hatten in der nahen Lichten­steinhöhle die Knochen von Menschen aus der Bronzezeit entdeckt – nur zwei Kilometer vom Wohnhaus der Huchthausens entfernt. Wenn nicht die mächtigen Bäume im Garten die Sicht verstellen würden, könnte man die Höhle sogar vom Wohnzimmerfenster sehen.

Die menschlichen Funde waren für die Forschung ein großer Glücksfall. Fast alle Toten aus der Bronzezeit wurden vor der Bestattung eingeäschert. Nur die Körper aus dieser kleinen Höhle im Harz blieben aus ungeklärten Gründen unversehrt. Die Analyse des Erbguts übernahmen Wissenschaftler vom Institut für Zoologie und Anthropologie der Universität Göttingen. Sie verglichen das Erbgut der Toten zudem mit den Ergebnissen der DNA-Proben von Familien aus der Region.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum das historische Erbe der Familie jetzt in Gefahr ist.

„Das Ergebnis hat mich umgehauen“, erinnert sich Manfred Huchthausen an das Schreiben per Post: Das Erbgut von rund 160 Einwohnern aus Förste lässt verwandtschaftliche ­Beziehungen zu den Menschen aus der Höhle vermuten. Aber nur bei zweien grenzt die Wahrscheinlichkeit an ­Sicherheit – einer davon ist Manfred Huchthausen. Bei keiner anderen Familie auf der Welt konnten bislang Beziehungen belegt werden, die so lange in die Vergangenheit reichen.

„Es war für mich ein sehr ergreifender Moment, den jahrtausendealten Schädel meines Urahns zu sehen.“ Dieser Vorfahre war vielleicht sogar der Herrscher des kleinen Tals. Denn die Forscher entdeckten an seinen ­Knochen keinerlei Spuren von Abnutzung oder Karies. Ein Zeichen dafür, dass diese Menschen vergleichsweise gut aßen und möglicherweise andere für sich arbeiten ließen. „Seither hat sich hier viel geändert“, sagt Manfred Huchthausen mit einem Lachen. Und noch etwas stellten die Archäologen anhand des Erbguts fest: Wirklich sesshaft waren nur die männlichen Vorfahren des 62-Jährigen. Die Frauen kamen stets von außerhalb ins Tal. „Das ist bis heute so“, sagt er, „meine Frau habe ich auch in Hannover kennengelernt.“

Warum die Huchthausens so lange an einem Ort blieben und damit zur ältesten Familie der Welt wurden, lässt sich nur vermuten. „Ein Grund könnten die Salzvorkommen in der Gegend sein. Der Name des Flüsschens Salza, das sich seit Jahrtausenden durch die Felder schlängelt, deutet auf ­reiche Vorkommen in der Region hin. „Wahrscheinlich hat dieses Handelsgut den Unterhalt meiner Vorfahren gesichert.“

Die unglaublich lange Verbindung der Huchthausens zu ihrem kleinen Tal ist allerdings in Gefahr. Den 22-jährigen Sohn Volker zieht es ebenso wie dessen Bruder in die Ferne. Die beiden jungen Männer lebten zwar gerne in Förste – „aber berufliches Weiterkommen ist ihnen wichtiger“, sagt Vater Manfred fast entschuldigend. „Salz könnte sie jedenfalls heute nicht mehr ernähren.“ Damit wäre der Mann mit dem grauen Stoppelbart und dem gemütlichen Wesen nach 3.000 Jahren der Letzte des Huchthausen-Clans im Harz.

Stefan Prinz ist Redakteur bei der Neuen Osnabrücker Zeitung

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