28-Stunden-Woche - „Viele sind stolz darauf, für eine Sache besonders lange zu brauchen“

Die IG Metall fordert eine mögliche Verkürzung der Arbeitszeit auf bis zu 28 Stunden pro Woche. Nicht nur die Arbeitgeber reagieren mit Unverständnis. Gute Arbeit bedeutet lange Arbeitszeit, dieses Denken ist immer noch weit verbreitet. Ein Irrtum, sagt Autor Volker Kitz im Gespräch

Auch spät abends leuchten in vielen deutschen Büros noch Lichter / picture alliance
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Herr Kitz, wie lange arbeiten Sie täglich?
Das ist sehr unterschiedlich. Oft arbeite ich lange, aber manchmal nehme ich mir auch Tage frei. Wenn es zum Beispiel im Sommer sehr heiß ist, nehme ich es mir auch raus, einen Tag einfach am Badesee zu verbringen.

Haben Sie dabei kein schlechtes Gewissen? 
Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht. Für mich ist wichtig, dass ich die Dinge, die zu erledigen sind, erledige. Dass ich mich an Absprachen und Termine halte. Aber wenn gerade nichts ansteht, nehme ich mir eben auch frei. Es gibt ja eigentlich immer etwas zu tun. Wenn man da nicht einmal sagt, ich nehme mir auch mal Zeit für mich, dann kommt man da nie raus.

Als Sie noch fest angestellt waren, haben Sie da auch mal gedacht, jetzt könnte man das Büro auch verlassen, das würde gar keinen Unterschied machen?
Ich habe fast immer pünktlich Feierabend gemacht. Das habe ich mir herausgenommen, weil alle mit meiner Arbeit zufrieden waren. Deshalb habe ich keinen Sinn darin gesehen, noch länger im Büro zu sitzen, auch wenn einen mancher Kollege komisch angeschaut hat. Ich habe immer versucht, die Chefs damit zu beeindrucken, dass ich die Dinge zuverlässig und gut erledige und nicht damit, dass ich lange daran sitze.

Was halten Sie in diesem Zusammenhang von der Forderung der IG-Metall, die 28-Stunden-Woche einzuführen?
Ich halte es immer für schwierig, solche Dinge generell regeln zu wollen. Es gibt ja auch genug Leute, die gar nicht weniger arbeiten wollen. Aber: Für viele wäre Teilzeitarbeit eine große Erleichterung und würde viele ihrer Probleme lösten. Teilzeitarbeit ist noch immer mit einem Makel behaftet. Davon wegzukommen und die Vorstellung normaler zu machen, dass man auch in Teilzeit gute Arbeit leistet, das wäre ein großer Schritt.

Autor Volker Kitz / Foto: Andreas Labes

Warum wird man dann trotzdem schief angeguckt, wie Sie es beschrieben haben?
Es ist offenbar für viele Menschen schwer zu verstehen, dass man seine Arbeit auch in kürzerer Zeit gut erledigen kann. Gute Arbeit ist im Denken der Leute immer mit viel, viel Zeit verbunden. Effizienz wird dagegen viel zu wenig geschätzt. Dabei lebt jedes Unternehmen davon, dass sich Aufwand und Ertrag rechnen. Wenn aber die Mitarbeiter und die Chefs selbst nicht so denken, ist das sehr schwierig. Viele sind stolz darauf, für eine Sache besonders lange gebraucht zu haben.  

Hand aufs Herz: Dabei lassen wir uns aber auch gern ablenken, oder? 
Ja, die Mitarbeiter müssen auch ehrlich sein. Wie viel Zeit hat man bei der Arbeit tatsächlich mit Arbeit verbracht und nicht bei Facebook, bei Ebay und beim Online-Schuhkauf?

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass wir unseren Beruf zu wichtig nehmen. Nun haben uns Motivationsgurus aber seit Jahrzehnten eingeimpft: Wenn du deinen Job leidenschaftlich machst, dann macht er nicht nur mehr Spaß, sondern du machst ihn auch besser. Stimmt das nicht? 
Das ist ein Mythos. Dann könnten ja alle Leute alles gut, was sie gerne machen. Da muss man nur eine Folge „Deutschland sucht den Superstar“ schauen, um zu sehen, dass das nicht stimmt. Da singen ganz viele Leute mit ganz großer Leidenschaft, aber sehr schlecht. Wer das sieht, kann nicht ernsthaft daran glauben, dass Leidenschaft und Können etwas miteinander zu tun haben. Ich kann nur staunen, wie wir daran festhalten. Ein Anwalt vertritt sich in wichtigen Dingen niemals selbst und auch ein Arzt operiert ungern Angehörige. Einfach, weil da zu viel Nähe ist. Mit ein bisschen Distanz und Nüchternheit macht man seine Arbeit oft besser.

Wenn ich aber zurück an meine Schulzeit denke, dann erinnere ich mich doch hauptsächlich an die leidenschaftlichen Lehrer. Von denen, die nur stumpf den Lehrplan heruntergebetet haben, blieb fast nichts hängen. 
Natürlich wirkt sich das im Zwischenmenschlichen aus, ob ich etwas gern oder ungern mache. Aber ich kenne auch Lehrer, die ihren Job ganz toll fanden und trotzdem zwei Monate gebraucht haben, um eine Klassenarbeit zu korrigieren. Bei ihnen hat man nichts gelernt, die sind dem Lehrplan hinterhergehinkt. Ich plädiere aber auch nicht dafür, seine Arbeit möglichst schlecht gelaunt zu machen und seinen Job zu hassen. Eine engagierte Gelassenheit ist ideal. 

Woher kommt denn diese Überhöhung der Arbeit hierzulande? 
Das Phänomen gibt es noch gar nicht so lange. Den größten Teil der Menschheitsgeschichte war Arbeit etwas Verpöntes. Adam und Eva sind aus dem Paradies vertrieben worden und die Strafe war, dass sie arbeiten mussten. Im Mittelalter hat man mit Arbeit Sünden verbüßt. Dass die Arbeit der Sinn des Lebens sein soll, ist erst seit Kurzem der Fall. Das hängt auch damit zusammen, dass die Introspektion sich immer weiter verbreitet hat. 

Also, dass jeder ständig selbst fragt, wie’s ihm gerade geht?
Genau. Die Menschen kreisen zunehmend um den eigenen Bauchnabel und fragen sich, ob das, was sie tun, sie auch glücklich macht. Im Grundsatz ist das ja richtig, aber oft nimmt es überhand. Da spielen auch die Medien eine Rolle. Die normale Routinearbeit kommt dort nicht vor. Wir lesen immer nur von Leuten, die ihren Bürojob gekündigt haben, jetzt etwas ganz anderes machen und so den Sinn des Lebens gefunden haben. Jeder, der das liest, denkt sich sich doch: Ich bin der letzte Depp, wenn ich weiter jeden Tag ins Büro oder in die Fabrik gehe, mein Leben ist völlig verpfuscht. 

Aber all diese Phänomene gibt es überall in der entwickelten Welt. Dennoch scheint es diese Überhöhung der Arbeit besonders bei uns zu geben. Ein Bekannter, frisch verheiratet mit kleinem Kind, hat einen Job in Schweden angefangen. Um zu zeigen, wie engagiert er ist, ist er immer länger als die anderen geblieben. Irgendwann hat ihn dann sein Chef beiseite genommen und ihn gefragt, ob in seiner Beziehung alles in Ordnung sei, weil er anscheinend die Zeit lieber im Büro als bei seiner Familie verbringt. In Deutschland undenkbar, oder? 
Ja, hier ist es umgekehrt. Mir hat ein Chef gesagt, er hätte ein Problem mit einer Mitarbeiterin, weil die immer pünktlich nach Hause geht. Dann habe ich ihn gefragt, ob sie ihre Arbeit gut mache. Das musste er zugeben und dann ist ihm selber aufgegangen, dass es eigentlich keinen Grund dafür gibt, dass die Frau nicht pünktlich Feierabend macht. 

Woher kommt diese Haltung?
Viele Leute, die heute in Führungspositionen sind, haben einen großen Teil ihres Lebens dafür geopfert. Die haben ihre Kinder nicht aufwachsen sehen, manche haben ihre Ehe zerstört und kaum ein Privatleben. Das war früher nötig, um Karriere zu machen. Und so einem fällt es schwer, einer neuen Generation zuzugestehen, es ohne diese Opfer zu schaffen. Deshalb hält sich diese Auffassung von Arbeit sehr hartnäckig.

Braucht es also andere Regeln, um das Verhältnis von Arbeit und Beruf in Einklang zu bringen? 
Es bringt schon viel, wenn wir den Fokus ändern. Die Leute müssen ihre Arbeit nicht gut finden, sondern gut machen. Dazu kann auch der Mitarbeiter beitragen, indem er selbstbewusst schaut, was er geleistet hat und dann auch einfach pünktlich nach Hause geht. Ob jemand seine Arbeit gut macht, ist leider weniger leicht nachzuvollziehen, als ob jemand lange arbeitet. Da sind die Mitarbeiter gefordert, was sie tun, auch darzustellen. Aber auch die Chefs könnten mehr darauf achten. Die, die ihre Arbeit „nur“ gut machen und nicht so viel Theaternebel drumherum, das sind die Leute, die die Wirtschaft wirklich am Laufen halten. 

Nun gibt es aber auch viele Menschen, die sich bei der Arbeit schlicht langweilen. Viele leiden dann an einem so genannten „Bore-out“. Würde es denen nicht helfen, eine Arbeit zu machen, für die sie mehr Leidenschaft empfinden? 
Besser wäre es, wenn sie diese Leidenschaft dafür entwickeln könnten, ihre Arbeit gut zu machen. Wenn man sich anschaut, was beim Berliner Flughafen oder bei Sicherheitsbehörden rund um den Anschlag auf den Breitscheidplatz alles schief gelaufen ist, dann scheint mir auch das ganz normale, alltägliche Arbeitsleben noch genügend Herausforderungen bereitzuhalten. Die Herausforderung ist so ein Schlagwort, aber eigentlich wollen wir nicht mit Menschen zu tun haben, die von ihrer Arbeit herausgefordert sind. Niemand möchte mit einem Piloten fliegen, der aus dem Cockpit sagt, „dieser Flug ist für mich eine große Herausforderung“. Da sind uns Leute lieber, die ihren Job routiniert machen. Seine Arbeit gut zu machen, kann Sinn und Herausforderung gleichzeitig bieten. 

Viele Manager aber wollen, dass ihre Mitarbeiter „intrinsisch“ motiviert sind, also von innen heraus, weil diese Art der Motivation tiefer geht als „extrinsische“ Faktoren wie zum Beispiel das Gehalt. Was sagen Sie denen? 
Wirklich intrinsisch motiviert sind doch, wenn wir ehrlich sind, nur die Leute, die ohne Gehalt arbeiten. Sobald ich für die Arbeit Geld bekomme, überlagert sich das. Was ist falsch an einem ehrlichen Austausch Zeit gegen Geld? Wir tun immer so, als wäre die Arbeit erfunden worden, um die Leute glücklich zu machen. Das stimmt aber nicht. Die Bäckerei wurde ja nicht erfunden, um dem Bäcker einen Lebenssinn zu schenken, sondern damit die Mitmenschen zu essen haben. Ich habe oft den Eindruck, dass die Unternehmen, die immer davon sprechen, wie toll es ist, für sie zu arbeiten, aber eher ungern über eine gerechte Bezahlung reden.

Ist da aber nicht auch bei den Arbeitnehmern etwas schief gelaufen? Die suchen doch auch immer öfter einen möglichst „sinnvollen“ Job. 
Ja, diese Sinnschraube ist völlig überdreht. Sinnvoll ist heute für viele nur noch, wenn man im großen Stil die Welt verändert. Viele träumen davon, in Afrika eine Schule zu gründen. Wir brauchen aber auch Menschen, die den Kindern in Braunschweig rechnen und schreiben beibringen. Tatsächlich ist das sinnvoll, was ein Bedürfnis der Gesellschaft befriedigt. Und das tun die meisten Tätigkeiten, für die es einen Markt gibt. Das reicht weit über Essen und Trinken hinaus. Auch wer Computerspiele entwickelt oder Make-Up verkauft, befriedigt damit menschliche Bedürfnisse.

Volker Kitz ist promovierter Jurist, Autor und international gefragter Redner.

Sein jüngstes Buch „Feierabend! Warum man für seinen Job nicht brennen muss“ stand in den Top 10 der Spiegel-Bestsellerliste.

 

 

 

 

 

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