9/11 - „Der Staat hat das Feld für islamistische Organisationen bereitet“

Heute vor 18 Jahren haben Islamisten mit dem Anschlag aufs World Trade Center ein Fanal gesetzt. Das Attentat hätte Behörden auch hierzulande die Augen für die Gefahren des Islamismus öffnen können, sagt die Ethnologin Susanne Schröter. Doch viele seien auf diesem Auge immer noch blind

Außen hui, innen Hassprediger: Das Islamische Zentrum München gehört zu den Orten, die als Wiege des politischen Islamismus gelten / picture alliancee
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Susanne Schröter leitet das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam /FFGI). Sie ist Direktorin des Instituts für Ethnologie  an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt. Gerade ist ihr neues Buch erschienen: „Politischer Islam, Stresstest für Deutschland.“

Frau Schröter, nach den Anschlägen vom 11. September hat sich die Terror-Gruppe Al Quaida zu dem Attentat bekannt hat. Was bedeutete das für den politischen Islamismus?
9/11 war eine Zäsur. Das politische und wirtschaftliche Zentrum der westlichen Welt ist getroffen worden von einer kleinen Gruppe von Hasardeuren, die im Namen der muslimischen Umma den Erzfeind angegriffen hat. Man wollte ein Signal senden. Darum geht es bis heute im Dschihadismus. Man kämpft auf der Ebene des Symbolischen – in der Hoffnung, dass das Symbolische eine mobilisierende Wirkung entfaltet und die Muslime aufstehen. 

Ist dieses Kalkül aufgegangen?
Nein, nicht wirklich. Im Segment des politischen Islam gibt es unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichen Strategien. Es gibt solche, die dschihadistisch orientiert sind. Die sagen: Wir greifen an. Aber die Mehrheit sagt, der besser Weg sei, über andere Verfahren in Nationalstaaten Fuß zu fassen oder sich möglicherweise sogar an Wahlen zu beteiligen. Und das ist in der Tat die viel erfolgreichere Strategie. Dschihadismus ruft sofort militärische Gegenreaktionen auf den Plan. Und solche Kriege können Dschihadisten nicht gewinnen. 

Wäre die Gründung des Islamischen Staates möglich gewesen ohne 9/11? 
Nein, dieser Kampf gegen den fernen Feind ist eine neue Richtung, die sich vor dem 11. September aber schon abzeichnete. Vorher gab es immer das Ziel, eine nationale Regierung zu stürzen, die man für unislamisch hielt. Nehmen Sie den Iran. Der war für die Sunniten immer ein positives Beispiel, wie das laufen kann. Dieses Modell war Ansporn für Islamisten weltweit. 

Die Dschihadisten haben einen anderen Weg gewählt.
Die wollten das viel schneller machen – und haben ihre Macht komplett überschätzt. Das ist schief gegangen. Die Strategie aber wurde nicht aufgegeben. 

Hat es Sie überrascht, dass der IS auch Jugendliche aus Deutschland als Kämpfer rekrutieren konnte?
Nein, das hat es vorher auch schon gegeben, wenn auch nicht in diesem Ausmaß. Es gab Konvertiten, die sich Al.Quaida-Gruppen angeschlosen hatten und nach Wasiristan gegangen sind, in die Grenzregion zwischen Pakistan und Afghanistan. Nur ist es kompliziert gewesen, dorthin zu kommen. Nach Syrien über die Türkei einzureisen, das war ganz einfach. Dort konnte man in großem Ausmaß Kämpfer aus dem Ausland rekrutieren. Die Videos des IS waren ein guter Köder. Sie sehen zum Teil aus wie Computerspiele. 

Aber was hat in einer westlichen Demokratie sozialisierte Jugendliche gereizt, ihr Leben für einen Krieg zu opfern, der völlig sinnlos war?
Sinnlos war der in den Augen der Kämpfer ja nicht. Die Propaganda besagte, dass Gott hinter ihnen stehe und ihnen versprochen habe, dass die ganze Welt islamisch wird und dass man jetzt sozusagen zum Sturm ansetzt. Es gab tatsächlich solche Parolen wie: „Willst Du am Spielfeldrand stehen – oder willst Du dabei sein und den Lohn kassieren?“

Klingt surreal. 
Mir kommt das auch merkwürdig vor, aber wenn man indoktriniert ist, hält man es wahrscheinlich für möglich, dass es real ist, dass die Welt gewaltsam islamisiert werden kann. Junge Männer waren auch immer davon fasziniert, dass es um Krieg geht. Deshalb spielen diese Videos auch eine große Rolle. Viele zeigten junge Kerle, die gutgelaunt mit dicken Waffen durch die Gegend ballerten. Dieses schräge Element von Spaß war wichtig. Man konnte Krieger oder Held werden und irgendetwas sein, was man in Deutschland nicht sein konnte. 

Aber das hat doch nichts mit dem Islam zu tun. 
Doch, natürlich, Die Religion hat das gerahmt, sie hat dem einen Sinn verliehen. Nach muslimischem Glauben tritt man ja mit dem Tod erst ins eigentliche Leben über. 

Aber was reizt im Westen sozialisierte Jugendliche, ihre Grundrechte freiwillig abzugeben, um sich verklaven zu lassen?
Für viele bedeutet Freiheit auch Überforderung. Es gibt Leute, für die ist es gerade attraktiv, in einem überschaubaren normativen Rahmen zu landen. Das heißt, genau zu wissen, was man tun muss, damit man Anerkennung und Frauen bekommt. 

Mittlerweile ist islamistischer Terror weltweit präsent – auch hierzulande. Ihr neues Buch heißt „Politischer Islam – Stresstest für Deutschland." Ist das nicht ein bisschen übertrieben? 
Nein, ich gehe ja nicht nur auf den Dschihadismus ein. Ich gebe in meinem Buch auch einen Überblick über organisierte Akteure, die häufig Partner der Politik sind und versuchen, ihre eigene Agenda zu verankern und Sonderrechte zu fordern. Es geht um Organisationen, die unter dem Dach des Zentralrats der Muslime versammelt sind. Es geht um die Muslim-Bruderschaft, das Islamische Zentrum Hamburg oder die Nachfolge-Organisation der Grauen Wölfe. 

Warum setzen diese Akteure die Gesellschaft unter Stress?
Nehmen Sie die Schulen. Da werden Eltern muslimischer Mädchen unter Druck gesetzt, ihre Töchter vom Sportunterricht abzumelden. Es werden Anwälte gestellt, die ihnen helfen, sich da durchzuklagen. An vielen Schulen gibt es religiöses Mobbing gegen Kinder, die nicht-muslimisch sind oder gegen die Regeln verstoßen, weil sie zum Beispiel kein Kopftuch tragen. Mir haben Schulleiterinnen erzählt, dass es Kinder gibt, die auf die Toilette gehen, um zu kontrollieren, ob jemand heimlich Wasser trinkt. 

Gibt es an den Universitäten auch Probleme?
Ja, an vielen Unis sind Gebetsräume für Muslime eingerichtet worden. In einigen Fällen wurden sie dann aber genutzt, um salafistische Propaganda zu verbreiten. In einem anderen Fall wurden Nicht-Muslime plötzlich nicht mehr auf die Etage mit dem Gebetsraum gelassen. Man hat also diese Gebetsräume missbraucht für eine ganz andere Agenda. Dann wurden die Räume wieder geschlossen, und dagegen gab es Demonstrationen. An der TU Berlin gab es auch Protestgebete auf dem Campus.  

Aber das sind alles Einzelfälle. Für wie gefährlich halten Sie diese Organisationen?
Ich halte die für immens gefährlich, weil sie oft unterschätzt werden. Sie spielen ein übles Spiel und hoffen darauf, dass die tolerante Bevölkerung ihnen alles durchgehen lässt. Es geht ihnen darum, immer mehr islamistische Normen zu verankern. 

Warum hat 9/11 den Politikern dafür nicht die Augen geöffnet?
Na ja, diese Verbände gelten ja nicht als dschihadistisch. Man hat geglaubt, dass man mit denen die Guten an einen Tisch geholt hat. Man hat gehofft, dass man dem Dschihadismus etwas entgegensetzen kann, wenn man mit ihnen zusammenarbeitet. Ich halte das für Unsinn, weil diese Organisationen die Grenze zum gewalttätigen Islam nicht klar definieren. 

Woran machen Sie das fest?
In Moschee-Gemeinden, mit denen der Staat angeblich gut zusammenarbeitet, tauchen plötzlich salaftistische Hassprediger auf. Dann wird der Imam darauf angesprochen. Und dann heißt es immer: Ach, das haben wir ja gar nicht gewusst. 

In Berlin durfte neulich die vom Verfassungsschutz beobachtete  Neuköllner Begegnungsstätte zum „Gebet unter freiem Himmel“ auf dem Tempelhofer Feld einladen – mit der Genehmigung des Landes Berlin.  Wie ist das möglich?
So etwas ist nur möglich, wenn man alles ausblendet, was kritisch sein kann. Diese Begegnungsstätte hat wiederholt Hassprediger eingeladen und mit Dschihadisten zusammengearbeitet. Das ist alles aktenkundig. Politiker sagen mir dann immer: Aber wir müssen doch mit einer Organsation zusammenarbeiten. Die haben die Kirchenbrille auf. 

Was heißt das?
Sie suchen die muslimische Kirche. Es gibt aber keine muslimische Kirche. Man arbeitet mit Gruppen zusammen, die eher Landsmannschaften sind. Man muss sich grundsätzlich fragen: Warum privilegiert man den Islam dadurch, dass man solchen Verbänden ganz besondere Teilhabe zugesteht? Seit der ersten Islam-Konferenz werden die ganz stark auf ihre Religion reduziert. Dabei ist die Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime gar nicht religiös. 

Heißt das, erst der Staat hat den Islam aufgewertet?
Ja, er  hat den Islam überbewertet gegenüber anderen Religionen. Es gibt keine vergleichbaren Formate für Jesiden oder Juden. Damit hat der Staat das Feld für islamistische Organisationen bereitet. Und damit hat er denen einen Bärendienst erwiesen, die hier bestens integriert sind. Die keine Sonderrechte als Muslime brauchen, weil sie mit ihren Bürgerrechten vollkommen zufrieden sind. 

So ist der Islam zum Feindbild der Rechten geworden, die  oft gar nicht mehr unterscheiden zwischen Islam und Islamismus. Sie verbreiten das Narrativ vom „Bevölkerungsaustausch“. Muslime würden mit ihrer höheren Geburtenrate angeblich die Herrschaft in Deutschland übernehmen wollen. Was entgegen Sie denen?
Solche Phantasien gibt es durchaus im radikalislamistischen Lager. Wenn der türkische Präsident Erdogan sagt, jeder türkisch-stämmige Deutsche solle jetzt 5 Kinder bekommen, damit die Muslime in Deutschland mehr werden, dann nährt er solche Ängste. Aber das ist keineswegs das Ziel der Muslime in Deutschland. Das sind kleine, radikale Kreise, die damit den Rechten in die Hände spielen. 

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