Wer wird neuer Bundespräsident?

Die Unterstützung für Horst Köhler schwindet. Eine zweite Amtszeit wird immer unwahrscheinlicher.

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Der Druck wird weiter zunehmen. Zwei Jahre vor Ende seiner Amtszeit ist Host Köhler innerhalb der Union vom streitbaren zum umstrittenen Präsidenten geworden. Köhlers heikle Abwägung um die Begnadigung Christian Klars bot seinen Gegnern willkommenen Anlass, die Wiederwahl des Überraschungsmanns erstmals öffentlich infrage zu stellen. Der Tanz der Schattenkandidaten ist derweil in vollem Gange. Und die Chronologie der Wahlgänge – im Frühjahr 2009 wird der Präsident, im Herbst der neue Bundestag gewählt – verleiht diesem komplexen Schauspiel aus Zieren und Balzen besondere politische Brisanz. Denn wie auch immer sich die Mehrheitsverhältnisse der Bundesversammlung am Tag der Abstimmung darstellen mögen, auszuschließen ist, dass die Große Koalition einen gemeinsamen Kandidaten ins Rennen schickt. Nur ein halbes Jahr vor der wahren Machtfrage müssen CDU und SPD die Wahl des Staatsoberhaupts zur Konturierung des eigenen Profils nutzen. Umso mehr, als der Kür des Präsidenten traditionell die Funktion zukommt, Möglichkeiten neuer Regierungskonstellationen auszuloten. Vor diesem Hintergrund wittern die kleinen Bundesparteien eine seltene Chance. Insbesondere die mehr als ein Jahrzehnt amtslosen Liberalen hoffen auf einen imageträchtigen Coup. Klarer Favorit der FDP ist dabei Wolfgang Gerhardt. Groß gewachsenen und mit langem Schritt für Repräsentationszwecke wie geschaffen, konnte sich Gerhardt in dreißig Jahren Spitzenpolitik einen bedeutsamen Rest an Aufrichtigkeit und intellektueller Neugier bewahren. Als ehemaliger Parteichef und Fraktionsvorsitzender verkörperte er eine Mischung aus Haltungsstärke und Konsensgeschick, die ihm in der Rolle des Präsidenten ein glückliches Karriereende verspricht. Den Segen der Kanzlerin, heißt es, besitze Gerhardt bereits. Sein größter Konkurrent im bürgerlichen Lager bleibt Wolfgang Schäuble. Bei der letzten Präsidentenkür vom Duo Merkel-Westwerwelle noch taktisch geopfert, bestehen an Schäubles Willen zum höchsten Amt auch für das Jahr 2009 keine Zweifel. Fraglich nur, ob der Innenminister mit seiner ausgesprochen sicherheitsorientierten Interpretation bürgerlicher Grundrechte bei den Liberalen nicht bereits entscheidende Sympathien verspielt hat. Sollten sich diese beiden Anwärter im schwarz-gelben Ränkespiel erneut blockieren, steht mit Joachim Gauck ein einleuchtender Drittkandidat bereit. Als ehemaliger Bundesbeauftragter für die Unterlagen der Stasi vereinigt Gauck christliches Lebensethos glaubwürdig mit liberaler Streitkultur. Zudem ist ein Theologe aus dem Osten proporztheoretisch fast so gut wie eine Frau. Auch ohne Quotendruck bietet sich Antje Vollmer als aussichtsreichste Bewerberin an. Und zwar aus rot-grüner wie aus einer schwarz-grünen Perspektive. Wie man Macht wirkungsvoll zur Räson ruft, vermochte sie in langen Jahren als Vizepräsidentin des Bundestages vorzuführen. Aufgrund ihrer brüchigen Stimme und einem klug tastenden Reflexionsstil ließe sich die studierte Pädagogin und Theologin als perfekte Alternative zum forschen Pragmatismus Köhlers präsentieren. Nach Jahrzehnten an der Spitze grüner Bundespolitik hat sich Vollmer im Jahre 2005 freilich „selbst in die Freiheit entlassen“ und alle Ämter abgegeben. Die Dame lässt also bitten. Mit identischer Begründung trat auch Parteifreund Joschka Fischer von der politischen Bühne ab. Doch wird nur ein Kind glauben, der nicht einmal 60-jährige Weltpolitiker habe damit tatsächliche alle Ambitionen fahren lassen. Frisch aus den USA heimgekehrt, wird sich Deutschlands beliebtester Ex-Politiker diesen Sommer ganz der Vermarktung seiner Autobiografie widmen und damit in sein eigentliches politisches Element zurückfinden: den Wahlkampf für sich selbst. Das passende Amt findet sich dann schon. Das erste und letzte Wort in diesem Wahlkampf vor dem Wahlkampf liegt bei Horst Köhler. Mit spitzen Ohren wird man seine Reden in den kommenden Wochen auf Signalformulierungen wie „Freude an der Verantwortung“ oder aber „Gefahr der Routine“ belauschen. Dank der fleißig kolportierten Äußerung seiner Gattin, „fünf Jahre sind genug“, verfügt der Amtsinhaber bereits jetzt über eine gesichtswahrende Exit-Strategie. Enttäuschen würde es in der Union nur wenige, sollte sich der stets auf Autonomie bedachte Köhler im Frühjahr 2009 freiwillig gegen ein Leben im permanenten Konsensdruck entscheiden. Wie es die Ironie der Chronologie will, wird just zu diesem Zeitpunkt auch über Christian Klars Strafe entschieden. Wolfram Eilenberger ist Philosophischer Korrespondent bei Cicero. Er schrieb das Buch „Philosophie für alle, die noch etwas vorhaben“ (Berlin Verlag)
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