Wahlrechtsreform - Parlament der Frösche

Der Bundestag ist so groß wie nie – und könnte bei der nächsten Wahl sogar noch wachsen. Deshalb ist es Zeit, dem Parlament die Reform des Wahlrechts zu entziehen und an eine Instanz zu übertragen, die mehr Neutralität in dieser Sache verspricht

Wahllokal in Greifswald/picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Die Sache mit der Gewaltenteilung hatte sich Montesquieu ganz gut ausgedacht. Sie ist konstitutive Grundlage unserer liberalen Demokratie. Schwierig wird es nur dann, wenn eine der drei Gewalten die Verfügungshoheit über eigene Belange hat. Und damit sind wir beim Bundestag und seinen derzeit 709 Abgeordneten.

So teuer wie eine Kleinstadt

Seit nunmehr sieben Jahren versucht die Legislative in diesem Land, die Neigung zur Selbstaufblähung in den Griff zu bekommen. Das Verhältniswahlrecht, das Zweitstimmmensystem, die Direktmandate und die Listenplätze, vor allem aber die Überhangmandate und die Ausgleichsmandate machen aus dem Bundestag eine Art Hefeteig, der immer mehr aufquillt. Zu den mehr als 700 Volksrepräsentanten kommen noch einmal etwa 5000 Mitarbeiter. Die Kosten für den Betrieb dieses Gemeinwesens von der Größe einer deutschen Kleinstadt (sie beginnt bei 5000 Einwohnern) belaufen sich auf etwa eine Milliarde Euro. Und wenn nicht passiert, dann wird der nächste Bundestag noch größer. Und noch teurer.

Das große Klammern

Es ist hier nicht der Ort und der Raum, um ausführlich darzulegen, warum es nicht gelingt, diese Wucherung zu stoppen. Grob gesagt klammern sich die großen Parteien (beziehungsweise jene, die es einmal waren) an die Überhangmandate, die sie bekommen, wenn sie mehr direkte Kandidaten ins Parlament bekommen als die Zweitstimmen hergeben. Die kleinen Parteien wiederum klammern sich an die Ausgleichsmandate, die ihrerseits die Überhangmandate kompensieren sollen.

Es geht nun seit Jahren wie beim Kochen eines Linseneintopfs: Erst macht man zu viel Zucker dran, dann muss man wieder mit Essig ausgleichen.

Nichts geht voran

Um den Bundestag gesichert kleiner zu machen, könnte man Wahlkreise zusammenlegen oder Überhangmandate kappen oder zum Mehrheitswahlrecht übergehen. Weil aber bei jeder Methode diese oder jene Fraktion beziehungsweise die dahinterstehende Partei einen Nachteil erleiden könnte, geht nichts voran. Gar nichts. Der Spruch von den Fröschen und dem Sumpf ist zwar nicht mehr ganz neu, in diesem Fall trifft er die Sache aber auf den Kopf.

Wie könnte eine Lösung aussehen? An eine konstruktive Versammlung der Frösche zu glauben, ist naiv. In einem ähnlichen Fall der Gesetzgebung über sich selbst, in der Frage der Diätenhöhe, hat es das Parlament so gehalten, dass die Bezüge an jene einfacher Bundesrichter gekoppelt sind. In diese Richtung müsste man auch bei der Wahlrechtsreform denken, und eine kreative Anleihe beim Mindestlohn nehmen. Als sich bei dessen Einführung abzeichnete, dass es einen heiligen und permanenten Streit über dessen angemessene Höhe im Parlament und auch zwischen Koalitionsfraktionen geben könnte, hat man beschlossen, ihn von einer Kommission regelmäßig daraufhin überprüfen zu lassen, ob er noch angemessen ist.

Vorbild Mindestlohnregelung

Diätenlösung und Mindestlohnregelung übertragen auf die Wahlrechtsreform hieße: Entweder die Fraktionen schaffen eine Art Ältestenrat der Elder Statesmen aus ihren Reihen und geben diesem Rat die Prokura, eine Lösung zu finden. Franz Müntefering und Wolfgang Schäuble etwa als Entsandte von SPD und Union darf man die nötige Größe und Souveränität für ein Ergebnis im Sinne des Souveräns zutrauen. Oder man legt die Sache gleich in die Hände einer parteifernen Kommission, bei der sich vorher alle Fraktionen darauf verständigen, das Ergebnis anzuerkennen.

Reine Pfründesicherung

Was im Augenblick geschieht, ist reine Pfründesicherung eines Parlaments-Apparates. Das Interesse der Wählerinnen und Wähler, ihr Recht auf einen maßvollen Umgang mit Steuergeldern bleiben auf der Strecke. Wenn bis zur Bundestagswahl in nächsten Jahr keine Lösung da ist, werden die Wähler ihr Werk weiter verrichten wie seit Jahren schon: die Großen weiter klein machen und die Kleinen größer. Mit dem paradoxen Ergebnis, dass der nächste Bundestag noch einmal an Umfang zunimmt.

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