Wahlkampf - Warum Sicherheit und Verteidigung eine größere Rolle spielen sollten

Im Wahlkampf dominieren Themen wie die Zukunft des Diesels, sichere Renten und noch mehr soziale Gerechtigkeit. Dabei gibt es weltweit genug Konfliktherde, die es lohnen würden, die Sicherheitspolitik mehr in den Blick zu nehmen 

Dass sich die Bundeswehr in letzter Zeit lediglich mit Skandalen zu Wort meldet, stört offenbar niemanden / picture alliance
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Erich Vad war General der Bundeswehr, langjähriger militärpolitischer Berater der Bundeskanzlerin und ist jetzt Unternehmensberater und Dozent an mehreren Universitäten im In- und Ausland.

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Nach manchen Gesprächen in Berlin, aber auch angesichts eines Wahlkampfes, der eigentlich keiner ist, gewinnt man den Eindruck, dass regierungsseitig der Bundestagswahl am 24. September sehr entspannt entgegengesehen wird. Während viele Beamte mit Blick auf die Wahl die wegen möglicher Personalveränderungen nicht ganz unberechtigte Frage bewegt „Was wird aus mir?“, wird die Bundeskanzlerin – wenn überhaupt - wohl eher die Frage beschäftigen „Mit wem mach ich weiter?“.

Angela Merkel hat einige ganz passable strategische Optionen: Weiter mit der SPD? Das wollen nicht wenige führende Sozialdemokraten zwar eher nicht, verspräche aber politische Stabilität und Kontinuität. Mit der FDP? Das wünschen sich viele Bürgerliche und die verbliebenen Konservativen in der Union, hätte aber den Nachteil, dass sich die politische Linke in der Opposition zusammenfinden könnte. „Jamaika“, also Schwarz-Gelb-Grün? Das hätte den machtpolitischen Vorteil, ein gemeinsames oppositionelles Linksbündnis zu verhindern und zwei kleinere, nicht gerade homogene Partner in die Regierung zu holen, um sie nach dem Prinzip „divide et impera“ gegenseitig zu neutralisieren.

Merkel steht für Stabilität in unsicheren Zeiten

Wir wissen nicht, welche politischen Konstellationen sich letztlich nach der Wahl ergeben. Nur eines scheint sicher: Die Bundeskanzlerin bleibt mit hoher Wahrscheinlichkeit im Amt. Und gerade das stimmt nachdenklich, denn selten können sich Politiker quasi kampflos an der Macht halten. Das ist schon fast einmalig.

Hilfreich beim eigenen Machterhalt sind Angela Merkel sicherlich mit viel Testosteron ausgestattete Männer wie Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan, Donald Trump oder auch neuerdings Kim Jong-un. Mit Fug und Recht kann man in diesem Kontext Angela Merkel als die bessere Wahl ansehen. Wir Deutsche lieben eben Verlässlichkeit, Berechenbarkeit, Ordnung und Stabilität. Angesichts der Unsicherheiten dieser Welt, die mit den oben genannten Männernamen verbunden sind, setzen wir lieber auf Bewährtes. Aber wir laufen damit auch Gefahr, den rationalen Blick und Sinn für Gefahren und Risiken zu verlieren.

Sicherheitspolitik spielt keine Rolle

Uns Deutsche bewegt in diesem Wahlkampf die Zukunft des Diesels, sichere Renten und noch mehr soziale Gerechtigkeit in einem der sozialsten Länder der Welt und nicht wenige freuen sich über den historischen Durchbruch der „Ehe für alle“.  

Das hat alles sicherlich seinen Wert. Aber dass wir in der Nordkorea-Krise am Rande eines Weltbrandes stehen, Israel sich auf einen neuen Waffengang gegen den Libanon einstellt, das Atomabkommen mit dem Iran zur Disposition steht, wir Europäer noch keinen gemeinsamen Plan haben zur nachhaltigen Bewältigung der Flüchtlingskrise und zur Sicherung der EU-Außengrenzen und Terrorismus und Kriminalität in Europa weiter zunehmen, diese existenziellen Fragen unserer Sicherheit bleiben eher im Hintergrund.

Auch die gerade für den Schutz unseres Landes unumgängliche Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, die nach Aussetzung der Wehrpflicht weiter personell auszehrt und sich lediglich mit Skandalen in der Öffentlichkeit meldet, stört hierzulande niemanden ernsthaft. Im Gegenteil: Sicherheits- und Verteidigungspolitik spielt schon seit langem keine Rolle mehr bei deutschen Wahlen, trotz aller sicherheitspolitischen Unwägbarkeiten.  

Es brodelt und brennt gewaltig

Niemand vermag mehr valide Prognosen in der Sicherheitspolitik zu geben. Drängende Fragen stellen sich, aber sie interessieren in Deutschland eher die Fachleute: Steuert die Nato mit Russland auf einen Konflikt an seiner Ostgrenze oder eher in Syrien oder Libyen zu? Könnte sich die Türkei unter Erdogan zu einem noch ernsthafteren Problem für die Nato entwickeln als es Russland unter Putin ist? Kann die Türkei unter Erdogan überhaupt noch Mitglied der Nato bleiben? Wie gehen wir mit der inkonsistenten Politik der neuen starken Männer wie Erdogan, Putin, Xi Jingping um? Wie mit dem sprunghaft wirkenden neuen US-Präsidenten Donald Trump, der beinahe zeitgleich mit Militärschlägen in Syrien Russland provoziert und durch das realitätsfremde Gerede von „militärischen Optionen“ mit „wunderschönen Waffen“ gegenüber Nordkorea nicht nur die Chinesen irritiert?

Gleichzeitig boomen unsere Rüstungsexporte und die Verteidigungsetats gehen hoch. Und weltweit streben immer mehr Staaten nach nuklearen Waffen, nicht nur der Iran oder Nordkorea, die gerade im Fokus der Weltöffentlichkeit stehen. Nicht nur Länder wie Russland sind unsichere, sicherheitspolitische Kantonisten. Die paar Nato-Bataillone unter deutscher Beteiligung werden sie im Falle eines Falles nicht aufhalten. In Libyen, an der südlichen Gegenküste Europas und unweit Siziliens, haben sich tausende Kämpfer des Islamischen Staats eingenistet und forcieren die Migration tausender Menschen nach Europa und Deutschland.

An der Nato-Südgrenze und im Nahen und Mittleren Osten brodelt und brennt es gewaltig. Offene Kampfhandlungen zwischen Israel und dem Libanon sind wahrscheinlich. Man kann nur hoffen, dass wir die viel beschworene Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson, die die Bundeskanzlerin in ihrer berühmten Knesset-Rede im Jahre 2008 beschwor, niemals mit Leben füllen müssen. Und vor allem, dass wir angesichts des Zustandes der Bundeswehr in nächster Zeit keine einsatzbereiten Streitkräfte brauchen werden.

Keine Antworten auf drängende Fragen

Aber danach sieht es mit Blick auf die internationale Sicherheitslage nicht wirklich aus. Dennoch ist im Weißbuch der Bundesregierung aus dem Jahre 2016 keine Rede vom originären und zentralen Auftrag der Streitkräfte, dem Kampfauftrag. Wer den anspricht, verdächtigt sich hierzulande schnell. Das eigentliche wofür, wie, warum und wozu von Streitkräften kann man bestenfalls zwischen den Zeilen einer am Konsens und der politischen Korrektheit orientierten Sprache erraten. Stattdessen spricht sich das zentrale Dokument der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik angesichts der Demografie und der massiven Nachwuchsprobleme der Bundeswehr sehr klar und eindeutig für die Inklusion älterer, behinderter und sexuell anders orientierter Menschen aus.     

Und wo sind – abgesehen von deklaratorischen Absichtserklärungen – die zukunftweisenden sicherheitspolitischen Initiativen Deutschlands zur Fortentwicklung von Nato und EU? Zur Beilegung der Nordkorea-Krise? Zur Beendigung der Krise mit Russland und der Türkei? Und vor allem zu einer gemeinsamen, nachhaltigen und europäischen Sicherung der EU-Außengrenzen? Stimmen unsere sicherheitspolitischen Entscheidungsprozesse und -strukturen und unser Grundgesetz noch mit den realen inneren und äußeren Sicherheitsherausforderungen überein? Zweifel sind angebracht. Die Große Koalition hätte sie anpassen können, aber sie hat es nicht gewollt und verpasst.

Merkel als Verteidigerin der freien Welt?

Es wäre wirklich gut, wenn die Bundeskanzlerin in der kommenden Legislaturperiode die Sicherheitspolitik zur Chefsache machte und sich im nächsten Koalitionsvertrag nicht nur allseits unkritische und gefällige, sondern auch wegweisende, substanzielle Aussagen zur Ausgestaltung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik finden.  

Es stellt sich die Frage: Kann die deutsche Bundeskanzlerin wirklich die letzte Verteidigerin der freien Welt sein, wie die New York Times schrieb? Angesichts der pazifistischen Leitkultur unseres Landes und einer strukturell sehr eingeschränkten Handlungsfähigkeit Deutschlands in der weltweiten Sicherheitspolitik sind Zweifel angebracht. Man kann nur hoffen, dass sich diese Frage für unser Land in der nächsten Legislaturperiode nicht ernsthaft stellen wird.

Wie wird der Wähler entscheiden?

Vor der Bundestagswahl verstärkt sich der Eindruck, dass Themen wie die Flüchtlingskrise und die nicht erst seit dem G20-Gipfel in Hamburg augenfällig angeschlagene innere Sicherheit und der Terrorismus symptomatisch für die sicherheitspolitischen Unwägbarkeiten in der Welt angesehen werden. Und das, obwohl diese Themen im Wahlkampf – nicht zuletzt mit Hilfe volkspädagogisch wohlmeinender Medien – beinahe ausgeblendet wurden.

Aber: Nicht wenige Wähler haben sich noch nicht entschieden. Nicht wenige werden aus ihrer momentanen, ambivalenten Gefühlslage heraus wählen und der Wähler kann für Überraschungen gut sein, wie wir bei den letzten Wahlen in den USA gesehen haben.

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