Wahlkampf - Mehr Pepp als 2013

Es wurde viel über diesen Wahlkampf geschrieben, dass der keiner sei. Zwar sind sich viele Wähler schon jetzt sicher, für wen sie stimmen werden. Aber im Vergleich zu 2013 gibt es auch mehr öffentliches Interesse an den Botschaften der Parteien

Ein guter Wahlkampf schafft es, ein interessantes Angebot mit starker Nachfrage zu verbinden / picture alliance
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Autoreninfo

Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft im Bereich „Methoden der empirischen Politikforschung“ an der Universität Mainz. Zu seinen Forschungsgebieten zählen Wahlen, Wahlumfragen und Wahlkämpfe. 

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Unsicherheit prägt die öffentliche Meinung: Was ist von diesem Wahlkampf zu halten? Ist die Sache eigentlich durch? Ist das Rennen gelaufen, der Ausgang klar? Gibt es überhaupt einen Wahlkampf? Und wenn ja, warum? Oder „geht da noch was“, wie Spiegel Online kürzlich fragte? Offenkundig lässt sich über die Natur des aktuellen Wahlkampfs trefflich orakeln. Alternativlos ist das aber nicht. Wir können uns stattdessen der Sache auch empirisch nähern.

Im Vorfeld der Bundestagswahl 2013 hat Cicero in Zusammenarbeit mit der Universität Mannheim und dem Meinungsforschungsinstitut YouGov den Cicero-Wahlkampfindex entwickelt, der Wahlkämpfe und ihre Qualität vermessen kann. Die Logik dahinter: Ein Wahlkampf soll die Wähler erreichen, auch berühren, sie mit Informationen versorgen, ihnen eine Entscheidungshilfe sein. Aber es reicht natürlich nicht, sich nur das Angebot der Parteien anzuschauen, das uns mittlerweile allerorten begegnet. Es reicht nicht, die Wähler nur zu erreichen. Die Menschen müssen zugleich offen sein für neue Impulse und Anregungen. Oder anders formuliert: Ein guter Wahlkampf schafft es, ein interessantes Angebot mit starker Nachfrage zu verbinden.

Methodik der Studie

In dieser Logik von Angebot und Nachfrage misst der Wahlkampfindex zwei Dimensionen. Die Angebotsseite bildet der Dynamikindex ab. Insgesamt acht Fragen fließen dort hinein: Kommt der Wahlkampf bei den Menschen an? Wie bewerten sie ihn? Werden die richtigen Themen angesprochen? Sind die Menschen interessiert an Inhalten? Reden sie über den Wahlkampf? Finden sie das alles hilfreich? Freuen sie sich auf die Wahl? Sind sie gespannt auf den Wahltag? 

Auf der Nachfrageseite zeigt der Volatilitäts-Index auf, wie (un-)entschlossen die Wähler sind. Wie sehr sind sie bereit, ihre Wahlentscheidung noch zu ändern, um zum Beispiel einer bestimmten Koalition zum Erfolg zu verhelfen? Insgesamt vier Fragen gehen in diesen Volatilitätsindex ein. Beide Dimensionen vermessen den Wahlkampf auf einer Skala von 0 bis 100 – und beide zusammen ergeben als Mittelwert den Wahlkampfindex. Und da wir den Index sowohl im Vorfeld der Wahl 2013 erhoben haben, als auch jetzt erheben, sind wir in der Lage, den aktuellen Wahlkampf einzuordnen – zumindest im Vergleich zu seinem Vorgänger.

Das Ergebnis: Im Juli 2017 – also rund zwei Monate vor der Wahl – lag der (angebotsseitige) Wahlkampfindex bei 45 Punkten, der (nachfrageseitige) Volatilitätsindex bei 28 Punkten; für den Wahlkampfindex ergibt sich so ein Wert von 36,5 Punkten. Ist das nun viel oder wenig? Ist das Wahlkampfglas halb voll oder halb leer?

Entscheidungsprozess ist weiter fortgeschritten

2013 lagen die Werte rund zwei Monate vor der Wahl bei 33 Punkten für den Volatilitätsindex, 43 Punkten für den Dynamikindex und damit bei 38 von 100 Punkten insgesamt. Das bedeutet, dass der Wahlkampf 2017 auf der Angebotsseite etwas lebhafter ist, er hat bereits mehr Menschen erreicht als 2013 und der Dynamikindex fällt im Vergleich etwas höher aus. Das wirkt sich auf den Volatilitätsindex aus, der mit 28 Punkten niedriger liegt als zum gleichen Zeitpunkt vor vier Jahren: Die Wähler sind in diesem Jahr demnach in ihrer Wahlentscheidung schon etwas gefestigter.

Wirft man einen Blick auf einige Ergebnisse im Detail, so erkennt man genauer, wo die Unterschiede zwischen den beiden Wahljahren liegen. 2013 waren sich rund zwei Monate vor der Wahl 58 Prozent der Wähler sicher, welche Partei sie schlussendlich wählen würden. 2017 sind es 64 Prozent. Sogar noch stärker gestiegen ist die Sicherheit, überhaupt an der Wahl teilzunehmen – zusammen führen diese beiden gestiegenen Sicherheitsfaktoren vor allem dazu, dass der Volatilitätsindex sinkt. Sie zeigen, dass der Entscheidungsprozess vieler Menschen schon weiter fortgeschritten ist als vor vier Jahren. Am Ende ist dieser Prozess aber keineswegs: 27 Prozent der Befragten können sich in diesem Wahljahr vorstellen, am Ende noch mal das Parteipferd zu wechseln, um die Koalitionsbildung am Ende zu beeinflussen. 2013 waren es 30 Prozent. 

Jetzt schon auf dem Endstand von 2013

Werfen wir einen Blick auf die Angebotsseite – wie wird der Wahlkampf 2017 bewertet? 69 Prozent der Menschen sind gespannt auf den Ausgang der Wahl, 37 Prozent freuen sich auf die Bundestagswahl, nur 30 Prozent tun das nicht, die anderen sind diesbezüglich unentschlossen. Allerdings sind auch 43 Prozent der Menschen vom Wahlkampf genervt. Das Niveau dieser Werte liegt ungefähr auf jenem von vier Jahren, der Index ist entsprechend auch nur leicht gestiegen.

Wenn wir noch einmal einen Blick zurückwerfen auf das Wahljahr 2013, dann konnte man dort im Zeitverlauf hin zum Wahltag erkennen, dass sich die beiden Index-Dimensionen in gegensätzlicher Richtung weiterbewegt haben: Mit steigendem Dynamikindex sank der Volatilitätsindex. Ein Wertepaar von 46 für den Wahlkampfindex und 27 für den Volatilitätsindex war damals 2013 erst kurz vor der Wahl zu verzeichnen. Das wiederum heißt aber: Schon im Juli 2017 war der aktuelle Wahlkampf in einem Stadium angekommen, das er 2013 erst kurz vor der Wahl erreicht hat. Es ist also durchaus mehr Pepp in diesem Wahlkampf als derzeit manchmal vermittelt wird, zumindest im Vergleich zu seinem Vorgänger. Und daher darf man auch gespannt sein, wo wir am Ende dieses Wahlkampfs 2017 landen werden.

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