Wahlkampf der SPD - Professionalität sieht anders aus

Die SPD ist mit dem missglückten Wahlprogramm „Mehr Zeit für Gerechtigkeit“ zur Karikatur ihrer selbst geworden. Und auch ihr Kanzlerkandidat macht bei seinen Wahlkampfauftritten alles andere als eine gute Figur

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Am 17. Februar 2017, Martin Schulz war damals knapp drei Wochen Kanzlerkandidat der SPD, diagnostizierte der Wahlkampfberater Frank Stauss auf seiner Homepage die „völlige Hilflosigkeit der CDU-Kampagnenführung angesichts der ersten wirklichen Herausforderung seit 2005“. Stauss ist ein Profi auf seinem Gebiet und hat schon einigen sozialdemokratischen Spitzenpolitikern den Weg zum Sieg geebnet (wenngleich er jüngst mit seiner Kampagne für Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft spektakulär scheiterte). An Erfahrung mangelt es ihm jedenfalls nicht.

Und es stimmt ja auch: Die Union hatte dem Schulz-Hype nichts entgegenzusetzen. Aber es klang schon Mitte Februar etwas seltsam, was Stauss noch so alles einfiel. Dass nämlich „ziemlich viele Menschen da draußen“ vor allem „mehr Gerechtigkeit, mehr Europa, mehr sozialen Ausgleich und mehr Zusammenhalt“ wollten und sie gerne jemanden an der Spitze hätten, „der sich dafür den Arsch aufreißt“.

Sorgen haben andere Ursachen

Seither ist einiges geschehen, unter anderem drei für die SPD verlorene Landtagswahlen sowie ein ziemlich bemerkenswerter Verlust an Zustimmungswerten für Martin Schulz. Es kann kaum daran liegen, dass Deutschland in den vergangenen vier Monaten plötzlich gerechter, europäischer, sozial ausgeglichener und zusammenhaltender geworden wäre – und die Agenda des Spitzenkandidaten mithin obsolet. Vielmehr war der Schulzsche Themenmix bereits im Februar kein fancy Cocktail, sondern roch einigermaßen muffig nach einer bloßen Rückabwicklung der Agenda 2010.

Die SPD hatte nicht begriffen oder begreifen wollen, dass die Sorgen „vieler Menschen da draußen“ ganz andere Ursachen haben. Zum Beispiel Massenmigration und den damit verbundenen Kriminalitätsanstieg. Als Hannelore Kraft in letzter Verzweiflung auf diese Themen setzte, war es zu spät. Ähnlich könnte es jetzt Martin Schulz ergehen, der am Montagabend in einem äußerst verkorksten Tagesthemen-Interview zu wissen glaubte: „Viele Menschen im Land fühlen sich nicht mehr sicher.“ Woran dieses Gefühl wohl liegt, und ob es dafür womöglich sogar eine handfeste Grundlage (etwa in Form der Kriminalstatistik) gibt, dazu schwieg der Kandidat.

Vertrauen in Merkel nach wie vor groß

Die anfängliche Begeisterung für Martin Schulz war nichts anderes als ein vorübergehender Liebesentzug für die Bundeskanzlerin. Aber ein paar markige Worte zur inneren Sicherheit aus den Reihen der Union – und schon bricht das Kartenhaus der SPD und ihres Wunderkandidaten in sich zusammen. Vergessen dürfte die auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise aus dem Munde Merkels vernommene Bemerkung, Grenzen ließen sich ohnehin nicht schützen, zwar bei den allerwenigsten sein. Allerdings wird ihrer Partei noch am ehesten zugetraut, den damals angerichteten Schaden schon irgendwie selbst wieder in den Griff zu bekommen. In der aktuellen Ausgabe von Cicero bezeichnet Gerhard Schröder, der wohl auch bis auf Weiteres der vorerst letzte SPD-Bundeskanzler bleiben wird, die Flüchtlingspolitik als „Achillesferse“ der Amtsinhaberin. Nur scheinen die Sozialdemokraten grimmig dazu entschlossen zu sein, diese verwundbare Stelle möglichst zu schonen. Das Ergebnis ist erwartbar.

SPD macht CDU-Wahlkampfhilfe

Und es ist bedrückend, weil dieses Ergebnis nicht aus einer Souveränität der CDU heraus erwachsen sein wird, sondern aus der geradezu jämmerlichen Überzeugungsarbeit der SPD. Volker Kauder, dieser Onkel Bräsig der Unionsfraktion, braucht tatsächlich nicht viel mehr zu tun, als in Ruhe abzuwarten. Nach einer desaströsen Performance der sozialdemokratischen Programmkommission am Montag mit einer halb abgesagten und dann doch abgehaltenen Pressekonferenz zu einem unfertigen Wahlprogramm bleibt festzuhalten: Der beste Wahlkampfhelfer für die Union ist eben immer noch das Willy-Brandt-Haus.

Will man wirklich einer Partei zum Sieg verhelfen, die nicht einmal ihren eigenen Wahlkampfslogan korrekt auf die Titelseite ihres Entwurfs setzen kann? Oder steckt vielleicht doch ein tieferer Sinn dahinter, wenn aus „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ mit einem Mal „Mehr Zeit für Gerechtigkeit“ wird? Das muntere Durcheinanderwirbeln von Schlagworten lässt jedenfalls eine gewisse Beliebigkeit bei den eigenen Prioritäten erkennen. Professionalität sieht anders aus.

Zurück zu Frank Stauss, dem Spin-Doctor der SPD. In seinem Tagebucheintrag vom 17. Februar notierte er ein bisschen selbstgefällig das Folgende: „Heute muss man sich fragen, ob die Leute im Adenauer-Haus in den letzten Jahren nicht einfach maßlos überschätzt wurden. Vielleicht so, wie die ganze Partei hinter Angela Merkel maßlos überschätzt wird. Denn die Qualität einer Kampagnenzentrale erweist sich unter Feuer und nicht, wenn die eigene Stärke hauptsächlich aus der Schwäche der anderen resultiert.“ Da kann man dem Autor nur beipflichten. Auch wenn er damals wohl dachte, dass sich das von nun an ändern werde.

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