Wahl-Analyse Niedersachsen - Die SPD kann doch noch gewinnen

Mit seinem pragmatischen Regierungsstil konnte Ministerpräsident Stephan Weil offenbar die Wähler überzeugen und verschaffte der gebeutelten SPD einen dringend benötigten Sieg. Für eine Jamaika-Koalition im Bund gibt es starken Gegenwind. Die Krise der CDU verstärkt sich

Strahlender Sieger bei den Landtagswahlen in Niedersachsen: Ministerpräsident Stephan Weil / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Der Wahlausgang in Niedersachsen ist für die CDU gleich in mehrfacher Hinsicht bitter. Noch vor wenigen Wochen sah es so aus, als könne sie sich mit ihrem Spitzenkandidaten Bernd Althusmann berechtigte Hoffnungen auf einen Regierungswechsel unter dessen Führung machen. Und jetzt wurde sie sogar noch von der SPD überflügelt. Nach ersten Prognosen sind die Sozialdemokraten mit ihrem Ministerpräsidenten Stephan Weil stärkste Kraft geworden: Sie liegen mit 37,5 Prozent klar vor der Union (35 Prozent) und gewinnen im Vergleich zur Landtagswahl von 2013 sogar knapp fünf Prozentpunkte hinzu. Die CDU dagegen büßt einen Prozentpunkt ein und erreicht das schlechteste Ergebnis seit 1959. Es ist noch nicht lange her, 2008 war das, da kam die Union auf 48,3 Prozent der abgegebenen Stimmen. Goldene Zeiten, die nicht zurückkommen werden.

Auch die CDU keine Volkspartei mehr?

Denn inzwischen zeichnet sich immer deutlicher ab, dass nach der Marginalisierung der Bundes-SPD auch die CDU ihren Nimbus als letzte Volkspartei zu verlieren droht. Das Ergebnis der Bundestagswahl mit 32,9 Prozent sprach da Bände. Und die Erfolgsmeldung von wegen es könne gegen CDU und CSU keine Regierung gebildet werden, sollte lediglich die unübersehbare Tatsache verschleiern, dass eine „bürgerliche Mehrheit“ außerhalb jeder Reichweite liegt. Sollte bei der Union noch ein eigener bürgerlich-konservativer Gestaltungswille vorhanden sein, dann wäre eine Koalition zusammen mit den Grünen jedenfalls wenig verheißungsvoll. Aber so ist die CDU des Jahres 2017: Hauptsache Merkel regiert.

In Niedersachsen sieht die Welt da schon anders aus: Schließt man einmal gesundheitsgefährdende politische Verrenkungen aus, dann wird die dortige CDU eben nicht den Ministerpräsidenten stellen, sondern sich allenfalls mit der Rolle des Juniorpartners in einer Großen Koalition zufriedengeben müssen.

Twesten-Affäre schadet der SPD nicht

Amtsinhaber Stephan Weil hatte mit seiner ruhigen Art zu jeder Zeit höhere persönliche Zustimmungswerte als sein Herausforderer, und die Affäre um die Grünen-Abtrünnige Elke Twesten, ohne die es keine vorgezogenen Wahlen gegeben hätte, hat daran nichts geändert. Im Gegenteil: Dass Twesten ohne viel Federlesens Mitglied der CDU-Fraktion im Landtag werden konnte, hat bei den Wählern offenbar überhaupt erst den Verdacht entstehen lassen, hier sei es nicht ganz mit rechten Dingen zugegangen. Dass Althusmann als früherer Kultusminister die Gymnasialzeit auf acht Jahre verkürzt und Studiengebühren eingeführt hatte, nun aber von alledem nichts mehr wissen wollte, dürfte auch nicht für einen Vertrauensvorsprung gesorgt haben.

Schwache Siegerin AfD

Gemessen an den Zuwächsen ist in Niedersachsen zwar nicht die SPD mit ihrem Zuwachs von knapp 5 Prozentpunkten die Siegerin des Tages, sondern die AfD, welche aus dem Stand 5,5 Prozent geholt hat und erstmals in den Landtag kommt. Aber verglichen mit dem Ergebnis bei der Bundestagswahl ist dieses Ergebnis äußerst schwach. Von einem Lauf kann für diese Partei keine Rede sein, was nicht zuletzt angesichts der Austritte ehemaliger Spitzenfunktionäre kaum verwundern dürfte. Dennoch bleibt festzuhalten: Der Verlust politischer Gestaltungsmöglichkeiten für die Union in und rechts der Mitte wäre ohne das Aufkommen der sogenannten Alternative für Deutschland nicht eingetreten. Dass das ein hoher Preis für die sozialdemokratisierte „One size fits all“-Union gewesen sein könnte, darüber wird in den nächsten Tagen noch geredet werden.

Alle Jamaika-Parteien verlieren

Und zwar nicht nur in Hannover, sondern auch in Berlin. Dort dürfte das heutige Ergebnis nicht gerade als Rückenwind für bevorstehende Koalitionsverhandlungen empfunden werden. Tatsächlich haben sogar sämtliche Jamaika-Parteien heute in Niedersachsen an Zustimmung eingebüßt: CDU und FDP noch in überschaubarem Rahmen, die Grünen verloren sogar mehr als fünf Prozentpunkte. Eine überbordende Jamaika-Begeisterung, von der manche Meinungsforscher derzeit ausgehen, sieht wohl anders aus. Womöglich passt in der Politik am Ende doch nicht alles so gut zusammen, was auf Biegen und Brechen passend gemacht werden soll.

Ein bisschen Hoffnung für Martin Schulz

Die zuletzt arg gebeutelten Sozialdemokraten haben seit heute wieder ein bisschen Grund zur Hoffnung, und insbesondere Parteichef Martin Schulz wird versuchen, das niedersächsische Ergebnis für die Stabilisierung seiner eigenen Person zu nutzen. Es zeigt sich aber auch, dass der pragmatische Regierungsstil Stephan Weils verbunden mit der beherzten Innenpolitik eines Ministers wie Boris Pistorius durchaus von den Wählern honoriert wird. Vielleicht kommt diese Erkenntnis sogar im Willy-Brandt-Haus an – man könnte ja etwas daraus lernen und das Verklären von Wahlergebnissen zugunsten der Parteiführung derweil den Kollegen aus dem Konrad-Adenauer-Haus überlassen.

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