Von der Leyen und die Bundeswehr - Niemand will den Elefanten sehen

Im Fall Franco A. konzentrieren sich die Verteidigungsministerin und die Debatte auf das Thema Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Mindestens so wichtig aber ist die Frage, wie sich ein deutscher Offizier als syrischer Flüchtling ausgeben konnte. Davon redet keiner. Das große Schweigen hilft nur einer Partei

Ursula von der Leyen geriert sich als Entnazifiziererin der Bundeswehr – auf Kosten der Truppe / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Wie gestört muss ein Mensch eigentlich sein, wie krank ist es, wenn sich ein deutscher Oberleutnant als syrischer Flüchtling ausgibt, Asyl beantragt, ein Doppelleben führt zwischen Kaserne und Aufnahmeinrichtung sowie offenbar ausländerfeindliche Attentate auf Migranten plant? 

Das ist die eine wichtige Frage. Eine ebenso wichtige Frage lautet: Wie dysfunktional, wie überfordert muss eigentlich ein System sein, das einen waschechten Deutschen, der zwar fließend Französisch spricht, aber kein einziges Wort Arabisch, ungeprüft als Flüchtling anerkennt und alimentiert? 

Von der Leyen nutzt Bundeswehr als Ambitionsvehikel  

Bei beiden Fragen fasst man sich an den Kopf. Aber nur der ersten wird derzeit mit Inbrunst nachgegangen. Zuallererst von der Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt in Friedenszeiten, der Verteidigungsministerin. IBuK Ursula von der Leyen streicht publicitysüchtig alle Termine in den USA und fährt mit großem Pressetross in die Kaserne nach Illkirch, um das eingeritzte Hakenkreuz im Gewehr des Franco A. zu inspizieren und die Aufklärung dieses Falles gewissermaßen selbst in die Hand zu nehmen.

Dabei steht nur eine Person im Zentrum ihres Interesses: sie selbst. Die Bundeswehr ist vom Anbeginn ihrer Amtszeit nur ein Vehikel ihrer Ambitionen gewesen. Das war so, als sie die Aufrüstung der Truppe mit Flachbildschirmen und Kitas in die Wege leitete, das war so, als sie das Sturmgewehr G36 höchstselbst aus dem Verkehr zog. Und das ist jetzt so, wo sie sich auf Kosten der ihr anvertrauten Truppe als Entnazifiziererin geriert.

Die Frage, inwieweit die Bundeswehr für Rechtsextremismus anfällig ist, kann man immer wieder aufwerfen. Vor etwa 20 Jahren hat sich schon einmal monatelang ein Untersuchungsausschus des Bundestages mit dieser Frage beschäftigt – zu einer Zeit, als Heer, Luftwaffe und Marine eine Wehrpflichtarmee waren.  Der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe, ein Parteifreund von der Leyens und der Kanzlerin, musste sich diesem Ausschuss stellen, nachdem ein notorischer Neonazi, Holocaustleugner und Rechtsterrorist an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg einen Vortrag gehalten hatte. 

Ablenkungsmanöver vom Versagen in Flüchtlingskrise

Der Eifer jedoch, mit dem nun im Zusammenhang mit dem Fall Franco A. die Frage aufgeworfen wird, wie „braun“ die Truppe sei, ist ein klassisches Ablenkungsmanöver von der zweiten, mindestens ebenso wichtigen Frage: Wie war das möglich, dass sich ein deutscher Offizier vor deutschen Behörden als syrischer Flüchtling  ausgeben konnte? Politisch ist das leicht erklärlich: Denn einerseits ist die Bundeswehr für von der Leyen und die Bundesregierung ein praktischer Prügelknabe. Andererseits haben bei der Beantwortung der zweiten Frage weder die ambitionierte Verteidigungsministerin noch deren Chefin etwas zu gewinnen. 

So weit bekannt ist, schmuggelte sich der rassistische Bundeswehroffizier im Dezember 2015 als Flüchtling ein, also mittendrin in jenen 180 Tagen zwischen deutscher Grenzöffnung am 4. September 2015 und der österreichisch-mazedonischen Schließung der Balkanroute im März 2016. In jenen Monaten, in denen Deutschland die Kontrolle darüber verlor, wer ins Land kommt. 

Politische Verantwortung liegt bei Angela Merkel

Die operative Verantwortung dafür mag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge liegen. Die politische Verantwortung aber liegt bei Angela Merkel, der Bundeskanzlerin, die mit ihrer Politik und ihrem Handeln die deutschen Behörden vor eine unlösbare Aufgabe gestellt hatte. Und es entbehrt nicht einer bitteren Ironie, dass ausgerechnet der berühmte deutsche Bürokratismus, der bisher noch alles und jedes genau registriert und aktenkundig gemacht hat, vor dieser Aufgabe kapitulieren musste

Vor einigen Wochen hat dazu der damalige Vizekanzler und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel das Passende gesagt: Niemals hätten Kanzler wie Helmut Schmidt, Helmut Kohl oder Gerhard Schröder Entscheidungen über die Öffnung der Grenzen getroffen, ohne wenigstens einmal mit unseren Nachbarn zu sprechen.“ Und weiter: „Die Naivität oder vielleicht auch der Übermut, mit der das erfolgt ist, habe ich nie für richtig erklärt. Angela Merkel hat eben Deutschland und Europa gerade in dieser Frage in eine Sackgasse geführt.“ Schließlich: „Wenn man dann als deutsche Bundeskanzlerin auch noch niemanden in Europa an der Entscheidung über eine unkontrollierte Grenzöffnung beteiligt, darf man sich über den Ärger aller anderen nicht wundern. Keinen zu fragen, aber hinterher von allen Solidarität zu verlangen, ist einfach naiv.“

Nur für einen kurzen Moment ist Sigmar Gabriel in seinem Abschiedsinterview als SPD-Chef und denkbarer Kanzlerkandidat aus der Rolle getreten und hat damit die Stelle markiert, an der Merkel politisch verwundbar ist. Doch anschließend hat Gabriel als Außenminister wieder am Kabinettstisch Platz genommen, jeden Mittwoch sitzt er neben Merkel. Sein Nachfolger, Martin Schulz, rührt das Thema erst gar nicht an. Er tut so, als gebe es dieses Thema nicht.

Ignoranz etablierter Parteien

Im Englischen würde man sagen: There is an elephant in the room“ –  da steht ein Elefant im Raum. Aber er wird von den meisten Parteien und deren Protagonisten ignoriert: Ein Elefant, wo?  Die Linke und die Grünen wollen das Thema Migration und Flüchtlingspolitik aus ideologischen Gründen nicht aufgreifen und fallen so als Opposition aus. Der Herausforderer macht auch einen großen Bogen darum. Merkel und die Union haben natürlich überhaupt kein Interesse daran, die missratene und inkonsistente deutsche Flüchtlingspolitik der vergangenen zwei Jahre zu thematisieren. Auch die FDP, insbesondere deren Parteichef Christian Lindner, traut sich nicht so richtig heran. So wird das eine große Thema, der große Elefant im Raum der AfD überlassen, wobei man sich zu Recht fragen kann, ob dieses sehr sensible Thema in ihren Händen besonders gut aufgehoben ist. 

Die etablierten Parteien können aber noch so sehr an dem großen grauen raumfüllenden Tier vorbeischauen. Sie können im Fall Franco A. noch so angestrengt auf die Bundeswehr zeigen. Das Thema Flüchtlingspolitik sucht sich seinen Weg wie Wasser und es wird ihn finden. Es wird bei jenen ankommen, die in der Demokratie von Zeit zu Zeit das letzte Wort haben. Also werden die Wählerinnen und Wähler es thematisieren. Mit ihrem Abstimmungsverhalten bei den anstehenden zwei Landtagswahlen im Mai und den Bundestagswahlen im September. Es soll bitte niemand staunen.

 

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