Nach der Thüringen-Wahl - Chaostage in Erfurt

Nach dem Wahldesaster schlingert die CDU in Thüringen von links nach rechts. Das zeugt davon, wie orientierungslos die Partei nicht nur in Thüringen am Ende der Ära Merkel ist

Kommt der CDU die Mitte abhanden? Der Thüringer Spitzenkandidat Mike Mohring in Berlin / picture alliance
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Die CDU in Thüringen weiß eine Woche nach der Wahlniederlage in Thüringen nicht mehr, wohin sie gehört: Rechts? Links? In die Regierung? In die Opposition? Nachdem der Spitzenkandidat Mike Mohring am Wahlabend eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei von Bodo Ramelow nicht ausschließen wollte, öffnete Mohrings Stellvertreter in der Thüringer CDU-Fraktion, Michael Heym, kurz danach die Büchse der Pandora nach rechts: Zuerst im MDR und dann ausführlich in Gabor Steingarts „Morning Briefing“ brachte er eine Zusammenarbeit mit der AfD ins Spiel, mit der es ohnehin mehr Gemeinsamkeiten als mit der Linkspartei und damit „eine bürgerliche Mehrheit rechts“ (aus CDU, AfD und FDP) gebe. Er verband diese Option nur mit einer Einschränkung – dass die AfD nämlich zunächst Björn Höcke loswerden müsste.

Brechen nun die Dämme? Die hatte die CDU im Dezember 2018 per Parteitagsbeschluss errichtet, und der besagt wortwörtlich: „Die CDU Deutschlands lehnt eine Koalition und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab.“

Heym ist kein Außenseiter

Es wäre grundfalsch, die Äußerung von Michael Heym, seit 1999 mit Direktmandat im Landtag und seit einem Jahrzehnt stellvertretender Fraktionsvorsitzender, als Zufallsprodukt eines Renegaten abzutun. Heym ist nicht irgendjemand. Zwischen ihn und CDU-Chef Mohring passe „kein Blatt Papier“, so sagen es Kenner aus Thüringen. Dementsprechend windelweich fiel auch Mohrings Reaktion aus: „Es gilt: keine Koalition mit der AfD”, sagte er. „Alle anderen Wortmeldungen sind Einzelmeinungen, für die in einer noch nie da gewesenen Situation Platz sein muss.“ 

Einzelmeinungen? Für eine Äußerung mit derartiger Sprengkraft muss Heym sich mit Mohring abgesprochen haben. Eher mutet es an wie ein Manöver, mit dem Mohring versucht, die wütenden Reaktionen aus seiner eigenen Partei nach seinem Schlingerkurs wieder zu besänftigen.

In der Thüringen kochen die Emotionen hoch

Marcus Kalkhake aus dem südthüringischen Suhl, der nur knapp den Einzug ins Landesparlament verpasst hat, berichtet, CDU-intern seien „die Austrittsdrohungen in Scharen“ gekommen, als Mohring nach dem Wahltag eine Koalition mit der Linkspartei nicht mehr ausschließen wollte. „Von der CDU würde nichts übrigbleiben“, sollte sie mit der Linken koalieren. Davon ist Kalkhake fest überzeugt. Er glaubt auch nicht, dass die CDU mit ihrem Minus von fast 12 Prozent vom Wähler einen Regierungsauftrag bekommen habe. Ganz klar also: weiter Opposition.

„In der Opposition dann Mehrheiten zusammen mit der AfD suchen? Nein danke“, entgegnet darauf Raymond Walk, Generalsekretär der CDU in Thüringen. Bei der CDU in der Landeshauptstadt Erfurt hat man die Hoffnung auf ein sogenanntes Simbabwe-Bündnis, also auf eine von CDU, SPD, Grünen und FDP getragene Minderheitsregierung, noch nicht aufgegeben. Zum einen hätten nämlich die Sozialdemokraten und die Grünen diese Option nicht kategorisch ausgeschlossen. Zum anderen wird daran erinnert, dass sowohl die Grünen, ganz besonders aber auch die SPD in der rot-rot-grünen Koalition an Zustimmung verloren hätten, dass sie in den vergangenen fünf Jahren von Ramelow „erdrückt“ worden seien. Dass dies in einer Minderheitsregierung unter einem CDU-Ministerpräsidenten Mohring eher nicht passieren würde, liegt auf der Hand: Die Union wäre als Minderheitsregierungspartei schlichtweg zu schwach, um den anderen mitregierenden Parteien die Butter vom Brot zu nehmen. So wird die strukturelle Schwäche der CDU in einen strategischen Vorteil umgedeutet, der am Ende „Simbabwe“ ermöglichen könnte. 

Traum von CDU-Minderheitsregierung 

Zur Wahl des Ministerpräsidenten könnte Mohring dabei auf AfD und Linke verzichten: Im dritten Wahlgang werden nur die Ja-Stimmen für einen Kandidaten gezählt – egal ob AfD und Linke mit Nein stimmen. 

Der Preis wäre allerdings, im weiteren bei jeder Entscheidung auf wechselnde Mehrheiten angewiesen zu sein – mit Stimmen entweder von der Linkspartei oder der AfD. Würde das nicht dem CDU-Parteitagsbeschluss widersprechen? „Wir brauchen die AfD nicht. Ich vertraue aber darauf, dass die Linke dann der von ihr selbst geforderten staatspolitischen Verantwortung nachkommt", sagt Generalsekretär Walk. „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Thüringer, nach diesem Motto sollte die CDU-Minderheitsregierung das Land führen."

Ministerpräsident ohne stabile Mehrheit? 

Aber haben die Thüringer dem vermeintlichen „Landesvater“ Bodo Ramelow mit satten 31 Prozent für die Linkspartei nicht einen klaren Regierungsauftrag erteilt? Der CDU ist sehr wohl bewusst, dass Ramelow im Vergleich zu Mohring über deutlich höhere Zustimmungswerte für das Amt des Regierungschefs verfügt. Allerdings wird daran erinnert, dass bei der Landtagswahl im Jahr 2014 die CDU unter ihrer damaligen Spitzenkandidatin Christine Lieberknecht mit über 33 Prozent klar stärkste Partei geworden war – mit deutlichem Vorsprung vor der Linkspartei, die auf 28 Prozent kam. Und dennoch wurde Ramelow mit den Stimmen von SPD und Grünen zum Ministerpräsidenten gewählt.

Das Argument, Ramelow sei von den Thüringern bei der jüngsten Landtagswahl „bestätigt“ worden, will die CDU nicht gelten lassen – zumal er sehr offensiv als gemeinsamer Kandidat von Rot-Rot-Grün um Zustimmung geworben habe. Unterm Strich hat Rot-Rot-Grün eben verloren und kommt bekanntlich auf keine eigene Mehrheit mehr. Dass allerdings auch die CDU in Thüringen ordentlich Federn lassen musste (und zwar mit einem satten Minus von 11,7 Prozent), ist dann eben doch ein ganz entscheidender Haken an der Geschichte: Denn was sollen die Wähler davon halten, wenn der große Wahlverlierer Mohring am Ende Ministerpräsident werden sollte, noch dazu ohne stabile Mehrheit?

Umfrage: Thüringer für Kooperation mit Linkspartei

Die Thüringer haben bislang noch eine andere Meinung zu den Träumen der CDU von der Minderheitsregierung. In einer Forsa-Umfrage im Auftrag der „Welt“ sprechen sich insgesamt 91 Prozent für eine Zusammenarbeit mit der Linken aus: 43 Prozent der Befragten in Thüringen befürworten eine Koalition mit der Linkspartei, 48 Prozent wollen, dass die CDU eine Minderheitsregierung unter Führung der Linken toleriert.

Aber was nun, wenn Mohring bei seiner nun doch klaren Absage an die Linkspartei bleibt und auch Simbabwe ein Papiertiger bleibt? Ministerpräsident Bodo Ramelow kann auf Zeit spielen. Dank einer Besonderheit der Thüringer Landesverfassung kann er zunächst unbegrenzt weiterregieren – der Haushalt für 2020 ist schon beschlossen. Aber spätestens im Sommer 2020, wenn der nächste Landeshaushalt ansteht, könnte es zum Knall kommen: Dann stünde Thüringen vor Neuwahlen.

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