May und Merkel - Zwei Frauen, zwei Nationen, ein Problem

Die britische Premierministerin Theresa May kam zu ihrem Antrittsbesuch nach Berlin. Ihre erste Ansprechpartnerin für die heikle Brexit-Mission: Angela Merkel. Die hatte trotzdem ein Lob für ihre Amtskollegin parat

Theresa May und Angela Merkel in Berlin / picture alliance
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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Das sagt sich leicht für Theresa May, die in Leopardenpumps kam: „Wir sind zwei Frauen, die sehr konstruktiv sind.“ Neben ihr steht Angela Merkel, einen Kopf kleiner und drei Jahre älter, die spontan antwortet: „Genau!“ Die beiden verstehen sich auf Anhieb. Das wird sichtbar bei ihrem allerersten Zusammentreffen am Mittwoch.

Zwanzig Minuten haben sie die Presse warten lassen, was viel ist. Egal. Das erste Kennenlernen schien ihnen wichtiger, obwohl noch ein langes Abendessen folgte. Vor einer Woche hatten sie erstmals telefoniert, doch Merkel wusste da längst viel über May. Innenminister Thomas de Maizière kennt sie lange und schwärmte vor Merkel über die pragmatische Amtskollegin; auch über die gelegentliche Härte der Ex-Bankerin. Wie sie den störrischen Polizeigewerkschaftern beim Antrittsbesuch als Innenministerin drohte: Wenn Sie sich nicht freiwillig ändern, werde ich Sie dazu zwingen.

Die Wirtschaft ist das Thema

In gewisser Weise war das auch die Botschaft ihrer ersten Auslandsreise. Eine Woche nach dem Einzug in Downing Street versucht die britische Premierministerin es in Berlin zwar mit Charme, aber keineswegs weniger selbstbewusst, wenn sie Deutschland als „zweitgrößten Wirtschaftspartner“ Großbritanniens benennt ohne den größten, die USA, erwähnen zu müssen.

Der Handel zwischen den beiden stärksten europäischen Staaten ist ihr beherrschendes Thema – und trotz aller Sympathie durchaus als Drohung zu verstehen. „Wir sind beide Regierungschefs, die Wachstum wollen“, sagt May, „und liberale Märkte“. Sie erwähnt die deutschen Firmen mit den einigen Hunderttausend in ihrem Land beschäftigten Deutschen. Und ganz nebenbei sagt sie auch, dass sie beide ja auch den Zustrom von Migranten eindämmen wollten.

Weder widerspricht Merkel da, noch wiederholt sie ihre Warnung von der „Rosinenpickerei“. Damit hatte die Kanzlerin unmittelbar nach der Brexit-Entscheidung vor knapp einem Monat ein Junktim aufstellen wollen: Freihandel gehe nur mit Freizügigkeit. Tatsächlich jedoch gilt es auch andersherum.

Deutschland droht politischer Streit

Ohne den frei zugänglichen britischen Markt könnte Deutschlands Wirtschaft Schaden leiden. Das zeigen die Zahlen, die ein Brexit – den May bei ihrem Merkel-Besuch abermals voraussagt – so verändern würde: Die EU verlöre enorm an Gewicht. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU würde auf einen Schlag um fast 17 Prozent schrumpfen, von 14,9 auf 12,4 Billionen Euro. Die 2,5 Billionen Euro Briten-BIP weniger könnten dem Kontinent die größte Rezession seit der Finanzkrise bescheren.

Zugleich droht Deutschland in der EU politischer Streit. Weil Deutschlands Wirtschaft den anderen gefährlich stark wirkte ohne Gegengewicht. Denn Großbritanniens Wirtschaftskraft entspricht der 20 von kleineren EU-Staaten – darunter Finnland, Irland, Dänemark, Österreich und Belgien und 15 weitere Länder. In einer EU der 27 würde Deutschland ein Viertel der Wirtschaft ausmachen anstatt dem jetzigen guten Fünftel. Dies wäre eine neue, nicht günstige Unwucht, die Deutschland teuer zu stehen käme: Es müsste sich dann an allen gemeinsamen Kosten entsprechend höher beteiligen.

Die EU wäre aber nicht nur wirtschaftlich und innenpolitisch demoliert, sondern auch international. Ob Weltsicherheitsrat über G 20 und G7 bis hin zur Nato – überall hätte Europa ohne London am Tisch eine Stimme weniger. Merkel nennt das allein als Grund, die bilateralen Beziehungen vertiefen zu müssen.

Die Kanzlerin gibt sich inzwischen felsenfest davon überzeugt, dass ein Brexit wohl unabwendbar ist, auch wenn sie nicht bereit ist, über Konsequenzen zu verhandeln, bevor die Regierung May nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrags um den EU-Austritt ersucht. Damit, kündigt May an, werde es jedoch wohl in diesem Jahr nichts mehr. Merkel protestierte dagegen nicht. Denn was anfangs als zu langer Zeitraum der Ungewissheit erschien und als Märkte verunsichernd, gilt nun insgeheim als willkommener Puffer für Deutschland, den Rahmen für die bilateralen Folgen abzustecken. „Niemand will eine Hängepartie“, sagt Merkel, „aber jeder hat ein Interesse daran, dass die Dinge sorgfältig vorbereitet werden“.

Merkel zollt May Respekt

Faktisches Lob der Kanzlerin bekommt May sogar für ihre verblüffende Entscheidung, Boris Johnson zum Außenminister gemacht zu haben, der als Brexit-Campaigner gelogen und beleidigt hatte. Egal mit wem man in Großbritannien verhandelt, das sind echte Profis. Merkel sagt das nicht ganz so, aber sie spricht von „diplomatischer Erfahrung“, von stets klugen, interessanten und spannenden Gegenübern. Ihre Botschaft ist: Wir strecken auch Johnson die Hand aus und trauen ihm zu, die neue Rolle als Chefdiplomat verantwortungsvoll und fair zu spielen.

Für Mays Einbindung der Brexiteers hatte Merkel von Anbeginn nicht nur Verständnis, sondern Respekt. Sie weiß, dass May damit nicht nur die Tories, sondern auch das Königreich zu einen versucht. Merkel nennt noch einmal die Zahlen der Spaltung: 48 Prozent der Briten stimmten für den Verbleib, 52 Prozent für das Verlassen der EU.

Merkel und May sind fortan ein Duo, dem klar ist: Wir sind aufeinander angewiesen – mit oder ohne EU. Das größte Lob der Britin war protokollarisch. In ihrem Amt gab es in der britischen Geschichte niemanden vor ihr, dessen erstes Reiseziel nicht Washington oder Paris, sondern Deutschlands Hauptstadt war.

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