Gewalt an Schulen - "Wären Lehrer besser, bräuchten wir weniger Sozialarbeiter"

In einer Berliner Grundschule muss ein Sicherheitsdienst für Ordnung sorgen. In Sachsen-Anhalt gehen Schüler mit Eisenstangen aufeinander los. Geraten Schulen außer Kontrolle? Im Interview spricht der Sozialarbeiter Mesut Göre darüber, was sich tun muss

Ehemals Chiffre für Problemschule: Die Berliner Rütli-Schule / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Yves Bellinghausen ist freier Journalist, lebt und arbeitet in Berlin und schreibt für den Cicero.

So erreichen Sie Yves Bellinghausen:

Anzeige

An einer Schule in Sachsen-Anhalt kommt es zu schweren Gewalttaten unter Schülern. Die Spreewald-Grundschule in Berlin muss jetzt sogar einen privaten Sicherheitsdienst engagieren, um die Lage in den Griff bekommen. 

Herr Göre, wird es rauer an deutschen Schulen?
Insgesamt gesehen muss man sagen: Die Anzahl der Gewalttaten hat tatsächlich abgenommen. Vor zehn Jahren gab es noch wesentlich mehr Fälle, in denen es an Schulen zu Gewalt gekommen ist. Auf der anderen Seite gibt es momentan zwei Tendenzen, die besorgniserregend sind: Zum einen werden die Gewalttäter immer jünger. Zum anderen nimmt die Intensität der verübten Gewalttaten immer mehr zu. Wo früher gerangelt wurde, da wird heute mit Fäusten gekämpft. Wenn jemand auf den Boden liegt, dann wird heute auch mal nachgetreten. Vor einigen Jahren war das die absolute Ausnahme. 

Was ist denn da los?
Da gibt es viele Gründe. Vor allem aber liegt es daran, dass Lehrer nicht gut geschult sind und kaum Zeit haben. Und wenn sie Zeit haben, dann haben sie häufig auch einfach keine Lust, sich um prügelnde Schüler zu kümmern, sondern denken sich: Das ist doch nicht meine Aufgabe, ich bin zum Lehren hier und nicht zum Streitschlichten. Manche Lehrkräfte lassen sich auch einfach zu lange auf der Nase herumtanzen, bis sie eingreifen. 

Gibt es denn Gemeinsamkeiten bei sogenannten Problemschulen?
Nein, das sind alles Einzelfälle.

An vielen Problemschulen ist der Migrantenanteil überdurchschnittlich hoch.
Ja das stimmt und diese Tatsache wird häufig für Ressentiments missbraucht. Es ist aber natürlich völlig absurd, zu denken, dass jemand überdurchschnittlich gewalttätig ist, weil er keinen deutschen Pass hat. Vielmehr sind gerade Kinder aus migrantischen Familien von Armut betroffen, was wiederum auch eine soziale Armut und Verrohung mit sich bringt. Aber das hat natürlich nichts damit zu tun, dass sie Ausländer sind, sondern weil sie häufig Kinder von Gastarbeitern sind. Die leben zwar schon in der dritten Generation hier, aber wegen der mangelhaften sozialen Mobilität in Deutschland fällt es vielen Kindern aus Einwandererfamilien noch immer schwer, aufzusteigen.

Mesut Göre ist Sozialarbeiter
und Geschäftsführer des
Gemeinnützigen Unternehmens
Selam Berlin

Die Schule in Berlin-Schöneberg, die Spreewald-Grundschule, hat jetzt einen privaten Wachschutz beauftragt, um die Lage in den Griff zu bekommen. Helfen solche Maßnahmen?
Kurzfristig kann das helfen, ja, aber langfristig können die privaten Sicherheitskräfte das Problem sogar noch schlimmer machen. Wenn die Lehrer sich externe Bodyguards ranholen müssen, dann verlieren die Schüler auch noch den Respekt vor den Lehrern. Die Lehrer müssen das Problem lösen oder es müssen andere Lehrkräfte her.

So wie damals an der Rütli-Schule.
Ja, da wurden damals große Teile des Lehrpersonals ausgetauscht, bis hin zur Schulleitung. Das neue Personal war pädagogisch geschult und seitdem läuft es da wesentlich besser. Übrigens kann man hier auch sehr schön sehen, dass es nicht per se an Migranten liegt, wenn die Gewalt an einer Schule zunimmt, denn die Migrantenquote ist dieselbe geblieben, die Gewalt aber deutlich zurückgegangen. Das liegt am neuen Lehrpersonal. 

Nun können wir aber auch nicht in jeder Schule das Lehrpersonal einfach so auswechseln.
Das stimmt, aber wir können etwas an der Lehrerausbildung ändern. An den Universitäten wird viel zu wenig pädagogisches Wissen vermittelt und viel zu viel fachliche Kompetenz erwartet. Was passiert, wenn Lehrer fachlich sehr gut ausgebildet sind, aber pädagogisch versagen, dass hat man an der Berliner Rütli-Schule gesehen und das sieht man aktuell an der Spreewald-Grundschule in Berlin-Schöneberg.

Hat Berlin da ein besonderes Problem?
Naja, ich denke, in anderen Städten mit einer ähnlichen Bevölkerungsstruktur, wie etwa Frankfurt oder Köln, gibt es die gleichen Probleme. Im Übrigen bin ich kein großer Freund davon, so pauschal über die Berliner Schulen abzuurteilen. Hier hat sich in den letzten Jahren echt viel Positives getan. Vor 10 bis 15 Jahren zum Beispiel, da gab es kaum Sozialarbeiter in Berliner Haupt- und Realschulen. Heute gibt es die beinahe flächendeckend. Auf der anderen Seite: Wenn das Lehrpersonal pädagogisch besser geschult wäre, dann würden wir auch nicht so viele Sozialarbeiter benötigen.
 

Anzeige