SPD-Spitze - Warten auf den Herbstinfarkt

Die SPD-Spitze soll nun in einem Monate langen Prozedere bis Anfang Dezember per Basis-Demokratie bestimmt werden. Ob aber die kränkelnde Partei das zähe Warten auf die Doppel-Chefarztbehandlung überlebt, ist fraglich.

Manuela Schwesig, Thorsten Schäfer-Gümbel und Malu Dreyer stellen das Verfahren vor / picture alliance
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Mit der SPD verhält sich es ein wenig wie mit einem Patienten beim Facharzt. Erst wartet er wochenlang auf einen Termin beim Radiologen. Dann sitzt er viele Stunden im Wartezimmer und kann einfach nicht begreifen, warum das alles so lange dauert. Er möchte doch nur durchleuchtet werden, damit endlich klar ist, was ihm fehlt. So sitzt die SPD mit verrutschtem Herzschrittmacher in einer Gemeinschaftspraxis von drei Ärzten mit nur einer Sprechstundenhilfe: Dr. Schäfer-Gümbel, Dr. Schwesig und Dr. Dreyer haben alle Hände voll zu tun, vor allem mit der überbordenden Bürokratie. Glücklicherweise aber hatte jemand einen Einfall: Eine neue Software soll es nun richten. Man hat es sich mit der Investition nicht leicht gemacht. Aber jetzt ist es entschieden. Ob das Basis-Update auf den viel zu alten Praxis-Rechnern aber wirklich laufen wird, ist ungewiss.

Ab 1. Juli soll es losgehen. Zweierteams, die Mann und Frau beinhalten müssen, oder auch Einzelbewerber können ihre Kandidatur für den SPD-Vorsitz einreichen. Voraussetzung: Man braucht die Unterstützung von fünf Unterbezirken, von einem Bezirk oder von einem Landesverband. Bewerbungen müssen bis 1. September eingegangen sein.

Das dürfte ein Wartezimmer-Sommer ohne Klimaanlage werden. Statt ihre wartenden Parteipatienten endlich zu behandeln, indem man etwa inhaltliche Medizin verschreibt, schicken Dr. Schäfer-Gümbel, Dr. Schwesig und Dr. Dreyer die SPD zu anderen Ärzten. Zu solchen, die aber erst demnächst eine Praxis eröffnen. Aber wohin gehen? Zu Dr. Kevin Kühnert in den Berliner Wedding? Zu Dr. Stefan Weil nach Hannover? Zu Dr. Simone Lange nach Kiel? Oder doch zu Dr. Gesine Schwan, die trotz Ruhestand wieder erwägt, eine eigene Praxis zu eröffnen?

Kongresse statt Konkretes

Haben sich die Teams aus Frau und Mann oder die Einzelkandidaten erfolgreich beworben, sollen sie sich nach dem 1. September dann in insgesamt 20 bis 30 Regionalkonferenzen der Parteibasis vorstellen. Vor der Behandlung also ein paar Fachärztekongresse mit Vorträgen, Referaten und weiteren Gesprächen. Das dauert nochmal fünf Wochen bis Mitte Oktober. Dann soll der Patient selbst, die insgesamt rund 440.000 SPD-Mitglieder, über sein mögliches Operations-Team oder einen Einzeloperateur abstimmen.

Aber nur wer mehr als 50 Prozent bekommt, darf auch in den OP-Saal. Bekommt keiner so viele Stimmen, wird erneut abgestimmt zwischen den beiden Bestplatzierten. Dann endlich am SPD Parteitag in Berlin sollen die Delegierten am 6. bis 8. Dezember dem Votum der Basis entsprechen. Ein letzter Oberärztekongress quasi, der dann endgültig bestimmt, wer als Chefarzt oder Chefarztteam den Patienten endlich unters Messer nimmt.

Institutionalisierte Selbstbeschäftigung

Es ist der SPD inzwischen so sehr zu gönnen, dass sie gesundet. Man ist sogar gewillt, dieser ewigen Prozedur eine Chance zu geben. Nur das Beste für den Patienten. Zu akzeptieren wäre sogar, dass der Patient unterdessen an homöopathische Zuckerkügelchen glaubt. Vielleicht hilft ja wenigstens Placebo.

Aber Skepsis ist angebracht. Ob es wirklich hilft, dieses Kreisen um sich selbst? Soll diese Form der Selbstbeschäftigung nun auch noch institutionalisiert werden? Eine Hoffnung zumindest besteht auf diesem Weg. Aufgrund der vielen Regionalkonferenzen und des langen Zeitraums, könnte das Interesse der Öffentlichkeit und der Medien derart ermüden, dass die SPD es vielleicht wirklich schafft, sich nur auf sich zu konzentrieren und nicht nur nach den Umfragen zu schielen.

Das ist nur eine Hoffnung. Ein banger Blick gen Osten aber lässt auch dieses Hoffen schwinden. Dort, gerade in der Fläche, herrscht Ärztemangel. Hier droht der SPD zumindest in Sachsen und Thüringen ab September der Herbstinfarkt. Dann könnte jede Hilfe zu spät gekommen sein – nicht trotz, sondern wegen des Basis-Updates 2019.

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