SPD in Saarbrücken - Sozis großes Speed Dating

Die Kandidaten für die SPD-Chefposten trafen sich am Mittwochabend zum Wahlkampfauftakt in Saarbrücken. Es sollte ein energiereiches Kennenlernen mit den Genossen werden. Jedes Pärchen hatte fünf Minuten Zeit, Sympathiepunkte einzufahren. Wie schlugen sie sich?

Die Kandidaten beim Fototermin / picture alliance
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Jannik Wilk ist freier Journalist in Hamburg. 

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18 Uhr, Saarbrücken. Acht Pärchen, ein Mann. Sie wollen sich heute ihren Genossen erklären. Es ist die erste von 23 Regionalkonferenzen, bei denen die Kandidaten für sich werben wollen. Mit großem Interesse schaut die Republik darauf: Livestreams laufen, das Fernsehen zeigt die Konferenz, auf Social Media begleitet die SPD die Veranstaltung. Ein echter Sozi-Showdown.

Thorsten Schäfer-Gümbel, einer der kommissarischen Chefs der Partei, spricht die Eröffnungsworte. „Die Hütte ist voll, die Leute sind interessiert“, sagt er. Die örtlichen Gruppen müssten für die Regionalkonferenzen ihre bereits reservierten Hallen umbuchen, um dem Ansturm von Leuten gerecht zu werden, so Schäfer-Gümbel. Es solle ein „Wettbewerb der Ideen“ werden. 

Alle Kandidaten haben sich vor der Veranstaltung gut überlegt, was sie in den fünf Minuten ansprechen werden, die ihnen als Werbezeit zugestanden werden. Ein Speeddating mit den Genossen. Die Reihenfolge, in der sie sprechen, wurde vorher ausgelost. Wir aber wollen uns auf die chancenreichsten Paarungen konzentrieren.

Der Mann mit der Fliege

Karl Lauterbach und Nina Scheer gehören dazu. Doch als Lauterbach zu seiner Rede antritt, natürlich mit Fliege, narkotisiert er die Zuhörer erst einmal mit seiner Lebensgeschichte. Das ginge kürzer. Schließlich wird er doch noch inhaltlich. Lauterbach prangert an, dass arme Menschen im Schnitt zehn bis zwölf Jahre früher stürben als Reiche. Neben Spitzen gegen Gutverdiener verkauft er sich damit, wofür er schon bekannt ist: Gesundheitsthemen. 

Dann sprach er aber etwas aus, was das Publikum wieder wachrüttelte: Die SPD solle aus der Großen Koalition raus: „Wir haben das jetzt 14 Jahre lang gemacht.“ Er selbst sei früher ein Verfechter der GroKo gewesen, so Lauterbach. Heute nicht mehr. Damit kann er beim Publikum punkten, es jubelt geradezu. Endlich Klartext von einem der Kandidaten. Danach sehnen sich die Genossen, das hatte sich bisher offenbar niemand getraut.

Als Nina Scheer dran war, sprach sie schnell, ja fast atemlos. Scheer gilt als Umweltexpertin, und das soll auch den Genossen in Erinnerung bleiben. Sie betont den Klimawandel, man müsse die Lebensgrundlagen schützen. Vor allem deswegen will sie mit Karl Lauterbach „die Speerspitze der Partei werden“. Insgesamt kein übler Auftritt, aber auch keine Offenbarung. Ob Sie das Rennen machen werden, liegt an der Performance der Mitbewerber.

Die Brückenbauer der SPD

Zum Beispiel an Petra Köpping, sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und Integration, und Boris Pistorius, Niedersachsens Innenminister. Sie galten schon früh als eines der Favoritenpärchen. Heute Abend bestätigten sie dies. Schon als die Kandidaten kurz vor den Reden vorgestellt wurden, kam nur bei Pistorius und Köpping großer Jubel auf. Rückhalt in der Partei scheint vorhanden. 

Pistorius, randlose Brille, vertrauensvolles Auftreten, spricht bestimmt und nicht ohne Charisma. Er ist als Mann für Sicherheitspolitik bekannt und geschätzt. Am Ende aber nutzte er dieses Potenzial gar nicht, er verlor kein Wort darüber. Stattdessen mahnt er zu Geschlossenheit in der Partei, die SPD dürfe nicht ständig mit sich selbst beschäftigt sein. Man müsse Selbstbewusst und zuversichtlich sein. Gut, geschenkt. 

Köpping dagegen, gekleidet im leuchtendem Marineblau, macht sich vor dem Publikum zur Frau aus dem Osten. Sie möchte eine „starke Stimme aus dem Osten“ für den Bundesvorsitz der SPD. Ob sie damit Klara Geywitz das Wasser abgraben will, die auch gerne betont, eine Ostdeutsche zu sein?

Auch Köpping strahlt Energie aus. Sie will zusammen mit Pistorius „Brückenbauer der SPD“ sein, ein solidarisches Miteinander führen. Beide betonen, dass sie gelernte Kommunalpolitiker sind. Ganz nah dran an den Menschen eben, so soll es aussehen. Insgesamt von beiden ein guter Auftritt. Ihre Chancen dürften sich nicht verschlechtert haben. 

Auswendig gelernt

Über sie wurde wohl am meisten geschrieben: Klara Geywitz und Olaf Scholz. Das prominenteste Paar. Geywitz verlor kürzlich bei der Landtagswahl in Brandenburg ihr Direktmandat, war über Liste nicht genug abgesichert und ist damit raus aus dem Landtag. Eine junge Grüne schlug sie um 144 Stimmen in ihrem Wahlkreis. Paukenschlag. Und eine Hypothek, mit der sie nun umso mehr für den Vorsitz kämpfen muss. Denn sonst ist es erstmal vorbei mit Berufspolitik. Aber wie will Geywitz die SPD führen, wenn sie nicht einmal ihren Wahlkreis halten kann?

Klara Geywitz sprach nicht mehr ganz so energiereich wie noch vor wenigen Wochen auf der Bundespressekonferenz in Berlin. Erneut grast sie ihre Buzzwords ab: Mutter, Christin, Osten. So weit, so bekannt.

Interessant war, dass sie die sozialen Arbeitsthemen mit dem Klimawandel verknüpfte. Mit beiden Händen umgreift sie das Mikrofon, sagte: „Wir müssen diejenigen versöhnen, die Angst haben, mit denen, die Angst um ihren Job haben.“ Eine Anspielung auf den Streit um die Lausitz. Ökologie sei eine „Riesenchance, die deutsche Industrie zu modernisieren“. 

Olaf Scholz, ihr Partner, kam aus sich heraus, für seine Verhältnisse schon fast aufbrausend. Aber immer noch der Olaf. Er schien zu wissen, dass er seine manchmal reservierte Art mit etwas Enthusiasmus auswaschen muss, will er heute überzeugen. Es gelang ihm, inhaltlich blieb er aber eher lahm. Wie schon zuvor auf der Bundespressekonferenz in Berlin sprach Scholz davon, seit dem 17. Lebensjahr Sozialdemokrat zu sein. Die emotionale Schiene. Und dann noch ein wenig mehr Austauschbares.

Die Überraschung des Abends 

Beeindruckend: Anders kann man die Wandlung von Ralf Stegner weg vom schiefmündigen Langweiler hin zum sprücheklopfenden Charismaten nicht nennen. So kannte man den Norddeutschen mit der sympathischen Mundart noch nicht. Und das, obwohl Stegner „ein bisschen weich in den Knien war“. Das sah man ihm aber nicht an. Er lieferte, Schlag auf Schlag, seine Vision der SPD. Ein klares Profil als linke Volkspartei wolle er. Seine Themen: Arbeitsmarktpolitik, Bürgerversicherung, Verteilungsgerechtigkeit, Vermögenssteuer, ökologischer und sozialer Umbau. Frieden, Abrüstung. Derart gewandt und unterhaltsam trägt Stegner das vor, dass er an diesem Abend viele auf seine Seite gezogen haben dürfte. Zum Schluss sagt er: „Ich würde gerne mit Gesine in den Vorsitz, damit es wieder mehr zu lachen gibt.“ Stegner, der Komödiant? Eine wahre Neuerfindung seiner selbst. Tosender Applaus der Genossen.

Gesine Schwan war ganz angefixt von dieser Energie und zeigte sich ebenfalls von guter Seite. Sie stehe für inhaltliche Diskussionen, für „geistige Erneuerung“. Oft sei es ja so, dass einer vorne lenke und der andere hinten trample, so Schwan. Nicht mit den beiden: „Wir lenken beide vorne und trampeln beide hinten!“ Hat man die beiden unterschätzt? So frisch, so sympathisch. Was wurden sie belächelt und mit Häme überzogen. Und dann legen die so einen Auftritt hin. Chapeau. Sie dürften heute die Herzen gewonnen haben.

Viel Gutes

Es bleiben noch 22 andere Regionalkonferenzen der SPD, bei denen die Paare Punkten müssen, quer durch die Republik. Man kann den Genossen im Publikum nur wünschen, dass nicht ständig das gleiche fabuliert wird. Unter den Pärchen und einem Einzelkandidat aber hat man an diesem Abend in Saarbrücken viel Unerwartetes entdecken können. Und es gab auch noch andere überraschende Momente: Zum Beispiel, als Simone Lange und Alexander Ahrens zu Beginn ihrer Vorstellungsrunde ankündigten, zugunsten von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken auf eine weitere Kandidatur zu verzichten. Walter-Borjans und Esken schlugen sich übrigens eher mittelprächtig. Das ganze zeigt immerhin: Die Sozialdemokratie ist womöglich doch noch nicht tot. Und die ein oder anderen Genossen haben vielleicht doch mehr drauf, als man ihnen zugetraut hätte.

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