SPD - Mein Nachruf auf die Sozialdemokraten

Schon vor Jahren ist unser Autor aus der SPD ausgetreten. Jetzt sieht er sich bestätigt. Die Absage der Großen Koalition hätte ein Neuanfang sein können. Doch die Partei gehe der Alternativlosigkeits-Mär von Angela Merkel auf den Leim

Noch ist die SPD die mitgliederstärkste Partei Deutschland. Ob das so bleibt? / picture alliance
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Autoreninfo

Boris Reitschuster ist Autor und Journalist. Von 1999 bis 2015 leitete er das Moskauer Büro des Focus.

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Willi Brandt war noch Parteichef, als ich 1987 in die SPD eintrat. Zum Entsetzen meiner Großmutter. Die hatte es nie überwunden, dass sie oft schief angesehen wurde im konservativen Bayern, und schlimmer noch in der Nazi-Zeit, weil ihr Vater Sozialdemokrat war. 

Der Ortsvereinsvorsitzende brachte mir damals mein Parteibuch persönlich vorbei. Ein Sozialdemokrat wie aus dem Bilderbuch: Stadtrat, Postbeamter, mit breitem Lächeln. Redlich bis in die Knochen. Geerdet durch und durch. Ein typischer Vertreter der „Buchbinder-SPD“.

Würden Leute wie er heute den Ton angeben, und wäre ich nicht Journalist geworden – ich wäre sicher heute noch Mitglied in der SPD. Doch in meiner kurzen Zeit in der Partei habe ich auch ihre andere Seite kennengelernt. Das Gegenteil der „Buchbinder-SPD“.

Die Bundesrepublik war ein „Scheißstaat“

Wenn sich die Jungsozialisten in den Hinterzimmern trafen, war für viele damals ausgemacht: Die DDR war das bessere Deutschland. Auch wenn es Übertreibungen gegeben hätte: Der Sozialismus musste siegen – auch in der Bundesrepublik. DDR-Dissidenten waren für diese Jusos Verräter am Sozialismus. Und die Bundesrepublik – frei nach Donald Trump – ein „Scheißstaat.“
 
Als dann alles umgekehrt lief und die Wiedervereinigung kam, war das Entsetzen gewaltig. Dass das vermeintlich bessere Deutschland jetzt – so wörtlich – „an die BRD angeschlossen“ werden sollte, ließ sozialistische Lebensträume zerplatzen. Und auch meine Liaison mit der SPD. Ich bin 1990 ausgetreten. Nachdem ich den real existierenden Sozialismus in der Sowjetunion erlebt habe.

Wenn ich mir die SPD von heute ansehe, habe ich den Eindruck, dass viele dieser linken Fundamentalisten von damals heute dort den Ton angeben. Dass sie zwar Kreide gefressen haben, aber im Inneren immer noch mit Deutschland fremdeln. Und sie entsprechend umbauen wollen.

Vom Juso zum Kaviar-Linken

Die alte „Buchbinder-SPD“ gibt es noch. An der Basis. Ich schätze sie genauso wie früher. Aber es sind die Jusos von damals, die heute in den Ämtern sitzen. Und zu einem großen Teil Kaviar-Linke geworden sind.

Da ist etwa Ex-Juso-Chefin Andrea Nahles. Über einen größeren Kontakt von ihr zur realen Arbeitswelt ist nichts bekannt – es ging schwups von den Jusos über die Uni in den Bundestag und ins Ministeramt. Immer, wenn ich Nahles sehe, muss ich an die damaligen Juso-Sitzungen in den verrauchten Hinterzimmern denken. An die Ideologie dort. 

Es wirkt wie ein Treppenwitz, dass ausgerechnet Nahles, Funktionärin durch und durch, ihre Genossen jetzt auf dem Parteitag ermahnte, nicht so ideologisch zu sein und Kompromisse einzugehen. Die überaus emotionale Rede, oder besser gesagt das Gebrülle von Nahles hat mich wütend gemacht.

Über das Klein-Klein hinausdenken

Zum einen erklärte sie, bei Neuwahlen müsse die Partei mit einem Programm antreten, dass im Wesentlichen mit dem Sondierungsergebnis übereinstimme. Genau diese geistige Kleinkariertheit ist eines der größten Probleme der Partei: Politik-Verwaltern wie der 47-Jährigen kommt es offenbar nicht einmal mehr in den Sinn, über das Klein-Klein hinauszudenken. Sie sind geistig inzwischen so in Angela Merkels Politik-Mikado verfangen, dass sich ihr Horizont verschoben hat und sie sich gar nicht mehr vorstellen können, mehr zu bewegen als winzige Stäbchen.

Zum anderen stilisierten sich Nahles und die SPD zur Ikone für das, was die Partei eben genau nicht mehr ist: Kämpferin für die Rechte des kleinen Mannes und der kleinen Frau. Dass große Teile dieser Klientel inzwischen zur „Linken“ und auch zur AfD abwandern, hat damit zu tun, dass sie sich von den Sozialdemokraten verraten fühlen.

Weil sie den Eindruck haben, die Partei kümmere sich um andere Themen viel mehr als um sie: Mal um die Bosse wie unter Gerhard Schröder, mal um Minderheiten, um Flüchtlinge und Migranten, um Datenschutz, Eurorettung, Klimaschutz, 

Dass die Partei alles andere wichtiger ist als der kleine Mann und die kleine Frau.

Dass Ideologie Pragmatismus ersetzt hat.

Volkspartei ohne Bodenhaftung

Mit all ihren Bürokraten, Akademikern und Berufsfunktionären hat die SPD die Bodenhaftung verloren. Als ich unlängst einen Sozialdemokrat aus dem Berliner Politikbetrieb über die massive Unzufriedenheit mit seiner Partei gerade bei den Stammwählern hinwies, wurde er richtig sauer: „Wir machen so geile Politik, den Leuten geht es so gut wie nie, aber sie sind zu blöd, um das zu verstehen.“

Das ist die Diagnose einer Partei in einem einzigen Satz.

Es ist genau das, was der Philosoph Alexander Grau meint, wenn er einen „Kulturkampf von oben“ der Linken beklagt. Grau spricht von einem „Verrat historischen Ausmaßes“ der „linken Intellektuellen, Künstler und Kreativen“ an ihrer Klientel. 

Mit ihrem Parteitagsbeschluss hat die Partei jetzt auch ihre eigene Zukunft verraten.

Es muss einen Schock geben

Sie ist der „Alternativlosigkeits-Mär“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf den Leim gegangen. Es wäre eben nicht das Ende der Geschichte gewesen, wenn die Sozialdemokraten zu ihrem Versprechen, nicht mehr in eine Große Koalition zu gehen, gestanden hätten.

Es wäre der Beginn eines seit langem notwendigen Neuanfangs geworden, eines demokratischen Aufbruches, den Deutschland so nötig hat.

Es wäre eine Schocktherapie geworden. 

Aber die Folgen wären weitaus weniger dramatisch gewesen als ein Fortsetzen des politischen Komas, in das Angela Merkel Deutschland regiert hat: Das Wegsehen und Verdrängen der massiven Missstände in der Bundesrepublik wird sich bitter rächen.

Spätestens, wenn die wie auf Droge laufende deutsche (Export)Wirtschaft auf Entzug gesetzt wird und es zur großen Krise kommt. Wenn den Menschen bewusst wird, dass die Nullzinspolitik ihr Sparvermögen und die Altervorsorge von Millionen Menschen raubt. Wenn die massiven Probleme mit der Zuwanderung immer weniger zu kaschieren sind. Die Liste der verdrängten Probleme ließe sich lange fortsetzen.

So dumm sind die Wähler nicht

Das Staatsschiff Bundesrepublik wird gesteuert wie ein Flussdampfer. Es wird am Orchester und Musikprogramm justiert, und die Kapitäne weigern sich hartnäckig, wahrzunehmen, dass sie auf offener See sind und auf Stürme und Eisberge zulaufen.

Es ist bitter, dass die SPD in so wichtiger Stunde nicht auf die klugen Worte hörte, die einer ihrer Mitbegründer Ferdinand Lassalle (1826 – 1864) sagte: „Alle große politische Aktion besteht in dem Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit. Alle politische Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist.“

Die Wähler sind nicht so dumm, wie der oben erwähnte Genosse im Gespräch meinte. Sie werden der SPD ihren Verrat, ihr Verschweigen und Bemänteln nicht verzeihen. Es ist schade um die SPD. Sie war eine große Partei.

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