CDU in Brandenburg - Der Tabubrecher

Ingo Senftleben, CDU-Chef in Brandenburg, will nach der Landtagswahl im kommenden Jahr mit AfD und Linken reden. Ihm geht es um Machtoptionen, die Partei widerspricht

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Scheut sich nicht davor, anzuecken: Ingo Senftleben hat angekündigt, auch mit der Linken und der AfD reden zu wollen / picture alliance
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Alexander Fröhlich ist Redakteur in der Redaktion Berlin-Brandenburg des Tagesspiegels

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Er hat einen Brief dabei. Für den Fall, dass er gefragt wird, was da los ist in Brandenburg. Den handgeschriebenen Brief hat Ingo Senftleben von einer 90-Jährigen erhalten. Sie hat zwei Diktaturen erlebt, die Wiedervereinigung, und nun erlebt sie, wie sich das Parteiensystem neu sortiert. Sie schreibt, was viele im Land dem CDU-Landeschef sagen: „Was mich aber neulich gefreut hat, ist Ihre Ankündigung, mit allen Parteien zu reden.“ Sie meint AfD und Linke. Für die CDU ein Tabubruch.

Senftleben sagte Anfang des Jahres, er wolle nach der Landtagswahl 2019 mit allen reden, auch mit AfD und Linkspartei. Er legte mit Blick auf die Linke nach: Die CDU sei dafür bereit, „die politische Farbenlehre zu erweitern“. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer ging dazwischen: „Wir lehnen eine Zusammenarbeit mit Linken und AfD klar ab.“ Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther, Chef einer Jamaika-Koalition, hingegen sprang Senftleben bei und forderte einen pragmatischen Kurs im Osten.

Die letzte Bastion der SPD

Der 44-Jährige hat eine Debatte angestoßen – um sie loszuwerden. Der Osten ist das Labor der Republik, Gewissheiten lösen sich auf, hier wurde die AfD stark. Selbst Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) mahnt: Keine Angst vor Minderheitsregierungen. Jetzt stellt Senftleben klar: Koalieren mit Brandenburgs AfD, dominiert vom rechtsnationalen Flügel – nein. Auch nicht mit der Linken, die in Brandenburg pragmatisch ist. In Landkreisen und Städten gibt es keine Berührungsängste, weil „es um die Sache vor Ort“ geht, sagt Senftleben. „Diesmal aber geht es um die Sache für Brandenburg.“

Vor allem geht es um Machtoptionen. Brandenburg ist die letzte Bastion der SPD im Osten, seit 2009 regiert sie mit der Linken. „Ich möchte nicht, dass wir uns als CDU in Brandenburg an die SPD ketten. Die ist genau nach 28 Jahren an der Regierung das Problem“, sagt Senft­leben. Würde er Gespräche ausschließen, glaubte ihm kein Wähler, dass er die SPD ablösen wolle. In Umfragen liegen SPD, CDU und AfD gleichauf knapp über 20 Prozent.

„Ich bin Arbeiter“

„Ich möchte selbstbewusst in den Wahlkampf gehen und keinen Koalitionswahlkampf führen“, sagt Senftleben. „Ich will meine Partei vorbereiten auf das, was ist, wenn wir Verantwortung für das Land übernehmen wollen.“ Ob im Hessen-Wahlkampf oder in Bayern – die Koalitionsfrage überlagere die Inhalte. Der CDU-Landeschef will vorbauen. Ihm wird zugetraut, der SPD gefährlich zu werden. Vor vier Jahren übernahm er die Landtagsfraktion, vor dreieinhalb Jahren den Landesparteivorsitz. Er hat die märkische CDU, lange als Schlangengrube verschrien, kampagnenfähig gemacht, damit die Kreisreform der Landesregierung verhindert, hat Themen gesetzt, Rot-Rot vor sich hergetrieben: mit Stipendien für angehende Landärzte, mit verstopften Pendlerzügen, mit Funklöchern.

Sanftleben gibt sich entspannt: „Ich bin Arbeiter.“ Er wächst in der Kleinstadt Ortrand im Landessüden auf, wird Maurer, Vorarbeiter, baut Brücken, studiert Hochbautechnik. „Im Baucontainer wird sich deutlich die Meinung gegeigt und dann aber weitergemacht.“ Das vermisse er in der Politik, sagt Senftleben. 1997, mit 23 Jahren, tritt er in die CDU ein – wegen Helmut Kohl. 1999 zieht er mit Direktmandat in den Landtag ein, ist von 2003 bis 2014 Bürgermeister seiner Heimatstadt. Das erdet. Die Familie sowieso: Senftleben ist evangelisch, verheiratet, drei Kinder. Ihnen bringe er bei: Sagt, was ihr denkt; handelt, wie ihr sprecht. So geht es ihm auch bei den Machtoptionen: „Manche haben Angst davor, der Wahrheit ins Auge zu blicken.“ Und so war es bei der Homo-Ehe, für die er sich weit vor der Bundestagswahl 2017 aussprach. So ist es beim Mindestlohn: Jahrelang hat sich die CDU gesperrt. „Aber wir haben nie nachgedacht, ob das Einkommen ausreicht für die Familien.“

Wie lange wird es noch mit Merkel gehen?

Senftleben will weiter anecken: Der Föderalismus im Bildungssystem gehört für ihn abgeschafft. Abschlüsse und Inhalte sollten vergleichbar sein. Als Familienpartei müsse sich die CDU mehr um Kinderarmut und Alleinerziehende kümmern. „Nicht Parteien links oder rechts sind mein Problem“, sagt Senftleben. „Sondern eine SPD, die nicht mehr die Kraft und Ausstrahlung hat, Dinge anzupacken.“
Um eines aber geht es bei den Gesprächen in den Kleinstädten und Dörfern kaum noch, sagt Senftleben: Um die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel, deren Kurs er unterstützt. Wie lange wird es noch mit Merkel gehen? Senftleben gibt seiner Partei einen Rat: „Zum ersten Mal kann uns ein Wechsel der Kanzlerschaft gelingen, nicht durch Abwahl, sondern weil die CDU gut aufgestellt ist.“ Die CDU müsse dafür nur den Eindruck vermeiden, „dass es um Einzelpersonen geht.“

Dies ist ein Text aus der November-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.














 

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