Kita ohne Schweinefleisch - Ein merkwürdiges Demokratie-Verständnis

Mitten im sächsischen Landtagswahlkampf steht ein Kita-Leiter aus Leipzig in der Kritik, weil er Schweinefleisch vom Essensplan für alle Kinder gestrichen hatte. Es folgten öffentliche Proteste, auch von Politikern. Jetzt soll es wieder Schweinefleisch geben. Ist das ein Sieg der Demokratie?

Schnitzel-Land Deutschland / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Das Schnitzel gehört für viele zu Deutschland. Kann man von den Bürgern trotzdem erwarten, dass sie auf Schweinefleisch verzichten, um Muslimen das Gefühl zu geben, sie seien hier zu Hause? Einen Streit um diese Frage hat jetzt die Bild-Zeitung entfacht: „Kita streicht Schweinefleisch für alle Kinder“, titelte die Boulevardzeitung an diesem Dienstag – als Begründung fügte sie hinzu: Aus Rücksicht auf das „Seelenheil“.

Das klang für einige wohl so, als stünde der Untergang des Abendlandes unmittelbar bevor. Entsprechend groß war die Empörung. „Scheiß-Islam“, twitterte einer. „Heute kein Schweinefleisch mehr, morgen Kopftuchzwang?“ ein anderer. Auch Politiker griffen die Steilvorlage dankbar auf. Schweinefleischverbot in Kitas ist die Kapitulation vor dem Islam“, twitterte die stellvertretende AfD-Vorsitzende Beatrix von Storch. Und der sächsische CDU-Generalsekretär Alexander Dierks postete ein Foto von saftigem Grillfleisch auf Twitter und schrieb darunter: „Jeder soll nach seiner Façon satt werden können!“ 

Schluss mit Gummibärchen

In Deutschland gibt es 55.293 Kitas. Der Leiter zweier Kitas in Leipzig hatte den Eltern in einem Schreiben mitgeteilt, dass ab dem 15. Juli „aus Respekt gegenüber einer sich verändernden Welt nur noch Essen und Vesper bestellt und ausgegeben werden, die schweinefleischfrei sind“. Auch Süßigkeiten wie Gummibärchen, die Bestandteile von Schweinefleisch enthielten, würden dann nicht mehr angeboten. 

Von Muslimen war in dem Schreiben nicht explizit die Rede. Bild lieferte dennoch diese Begründung: „Weil unter den 300 Kindern auch zwei muslimische Mädchen sind, gelten ab sofort andere Regeln.“ In der Kita heißt es, der Verzicht auf Schweinefleisch sei auch ein Zeichen des Respektes für Juden oder Buddhisten. Von einem Verbot sei hingegen nie die Rede gewesen. Natürlich dürften deutsche Kinder weiterhin Salami-Stullen mitbringen. Tatsächlich war die Konfuzius-Kita einst als bilinguale Kita für chinesische und deutsche Kinder gestartet. Der Leiter war für ein Gespräch für Cicero leider bislang nicht zu erreichen.

Merkwürdiges Demokratieverständnis

Fragwürdig bleibt die neue Regel trotzdem. In Deutschland ist die Religionsfreiheit gesetzlich verankert. Kein Muslim kann dazu gezwungen werden, gegen seinen Willen Schweinefleisch zu essen. Umgekehrt kann man aber auch nicht von Nicht-Muslimen erwarten, aus Rücksicht auf Muslime, Juden oder Buddhisten auf Schweinefleisch zu verzichten. Das würde ein falsches Signal senden. Integration bedeutet auch, dass sich Kinder an die Regeln des Landes anpassen, in dem sie aufwachsen. Auch muslimische Mädchen müssen beispielsweise am Schwimmunterricht teilnehmen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht 2013 entschieden. Die Richter stellten den staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag über die Glaubensfreiheit und verwiesen auf den Burkini. 

Einen akzeptablen Kompromiss zu finden, ist aber ausgerechnet beim Thema Ernährung gar nicht schwer. Das Essen in Kitas wird in der Regel von Catering-Diensten geliefert, und zumindest in Großstädten sind die meisten von ihnen auf die besonderen Bedürfnisse von Muslimen eingerichtet. Wo also ist in den beiden Leipziger Kitas das Problem? Warum kann sich Friedrich zum Mittagessen nicht eine Bulette bestellen und Arslan eine Köfte? 

Es zeugt von einem merkwürdigen Demokratie-Verständnis, wenn der Kita-Leiter der Bild sagt: „Auch wenn es nur eine Familie wäre, die das Seelenheil ihres Kindes aus religiösen Gründen durch unreines Schweinefleisch beeinträchtigt sieht, setze ich diese Neuerung jetzt durch.“ Auch in Sachsen haben Kitas einen Elternbeirat. Hat der bei solch wichtigen Themen wie der Ernährung kein Wort mitzureden? 

„Rassistische Kampagne“  

Es ist nicht bekannt, wie die betroffenen Eltern auf die Entscheidung des Kita-Leiters reagierten. Auf Facebook schrieb ein Vater, er habe kein Problem damit. Ihm sei nur wichtig, dass sein Sohn genug zu essen bekäme und das Essen frisch sei. Ein Protest von Elternseite blieb zunächst aus. Entfacht hatte ihn erst Bild mit ihrer Berichterstattung. Das Blatt muss sich jetzt massive Kritik  von Journalisten und Politikern gefallen lassen. Von einem „Schnitzelkrieg“ spricht etwa das BildBlog, von einer „rassistischen Kampagne“ der Spiegel-Journalist Jan Petter. Auch der rheinland-pfälzische Wirtschaftsminister Volker Wissing übte an der Berichterstattung Kritik: „Wir sollten nicht zulassen, dass man unsere Werte, unsere Gesellschaft auf Schweineschnitzel und Gummibärchen reduziert.“ 

Der Bild-Bericht machte die Kita zur Zielscheibe von Drohungen und Beleidigungen. Unter dem öffentlichen Druck schaltete die Konfuzius-Kita ihre Facebook-Seite und das Bewertungsportal ab. Noch am selben Tag knickte der Leiter ein. Der Schweinefleisch-Stopp werde vorübergehend ausgesetzt, teilte er mit. Zu Beginn des neuen Kita-Jahres sollten die Eltern über den neuen Essensplan entscheiden. Spätestens jetzt fragt man sich, ob der Leiter sich den Ärger nicht einfach hätte ersparen können. 

Armutszeugnis für die Demokratie 

Klar, der Bericht in der Bild bedient anti-muslimische Vorurteile. Er schürt den Verdacht, alle hier lebenden Angehörigen dieser Religionsgemeinschaft boykottierten deutsches Essen und deutsche Werte. Er macht aus dem Fauxpas eines offenbar ideologisch verbohrten Kita-Leiters eine Staatsaffäre. Aber ist es nicht dennoch ein Armutszeugnis für die Demokratie, wenn erst Bild einen Sturm der Empörung entfachen muss, um Eltern zu ihrem Mitspracherecht zu verhelfen? 

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