Schule und Hochschule - Deutschland pfeift auf seine Bildung

Der Kontrollverlust hat die Bildungspolitik erreicht. Immer mehr ungelernte Kräfte sollen Lehrer werden. Die Zuwanderung verschärft die Krise weiter. Von Alexander Kissler

Lehrermangel und ein steigender Anteil von Migranten führen dazu, dass das Bildungniveau sinkt / picture alliance
Anzeige

Als Hans Eichel noch Bundesfinanzminister war, verdiente er sich bleibende Sporen für die deutsche Sprache. Er holte einen ins Wörterbuch herabgesunkenen Ausdruck zurück ins allgemeine Bewusstsein und verkündete: Der Haushalt sei „auf Kante genäht“. Kein Stück Spiel, hieß das, gebe es mehr beim Vernähen der einzelnen Etatposten. Eine zusätzliche Ausgabe nur, und das ganze Bundesfinanzkleid risse. Heute sprudeln die Steuergelder. Dennoch ist das ganze Land mittlerweile auf Kante genäht, und hie und da und vor allem in der Bildung ging die Republik längst entzwei. Besserung ist nicht in Sicht.

Nur noch im Modus der Satire lassen sich die täglichen Meldungen aus einem schlingernden Land formulieren: „Nur jeder dritte Lehrer ist Lehrer“, stand zu lesen. Diese Erkenntnis erinnert an abgründige Wahrheitsformeln aus den sozialen Netzen nach dem Muster: „Kritik ist Hetze. Es sei denn, sie ist Hetze. Dann ist sie Satire.“ Oder an komplizierte altphilosophische Gedankennüsse: „Tische mit zwei Beinen sind Hocker.“ Kompliziert und abgründig ist die Nachricht unterhalb der Schlagzeile: Das Land Berlin stellt zum neuen Schuljahr rund 2700 neue Lehrkräfte ein, von denen lediglich etwa 1000 ein Lehramtsstudium absolviert haben. Die große Mehrheit bilden Quereinsteiger ohne pädagogische und ungelernte Kräfte ohne fachliche Kenntnisse.

Lehrende Nichtlehrer

Um in der Satire zu bleiben: Wenn Grafikdesigner Geschichte unterrichten, Physiker in den Sportunterricht und Sozialpädagoginnen ans Rechenpult bitten, wäre es dann nicht herrlich und erstrebenswert, künftig vom Schneidermeister operiert und von der Physiotherapeutin geflogen zu werden? Ist die Koppelung von Beruf und Qualifikation nicht zutiefst diskriminierend und ein Fall für die Gleichstellungsbeauftragte? So ließe sich die blanke Not aufhübschen zur emanzipatorischen Großtat.

In Berlin gilt serielles Misslingen als Häufung von Einzelfällen. Doch Berlin ist kein Einzelfall. Auch in anderen Ländern zieht man Studenten oder Rentner oder lebenserfahrene Hortnerinnen aus der Spätzeit der DDR heran, um aufsichtsbefugte Erwachsene in den Räumen zu haben, wenn die lieben Kleinen morgens in den maroden Schulgebäuden erscheinen. Sofern sie erscheinen und sofern sie verstehen, was der lehrende Nichtlehrer ihnen sagen will. Den Gedanken, dass aus Bildungsverklappung Bildungsversagung resultiert, mag man lieber nicht zu Ende denken. So ist es aber: Deutschland wurde zum Land, das organisierte Geistaustreibung für Bildung hält. Exzellenz ist einem solchen Schul- und Universitätssystem noch möglich, durchaus, aber eben im Widerstand zu diesem System. Bildung wird Einzelfall.

Lehrer klagen über einheimische „Bildungsarmut“

Kein Wunder also, wenn der „Bildungsmonitor“ des „Instituts der deutschen Wirtschaft“ im Auftrag der „Initiative Neue Soziale Markwirtschaft“ nun einen „deutlichen Rückgang“ der schulischen Bildungsqualität feststellt – zumal unter den Bedingungen zunehmender Migration. Geringgebildete, Ungebildete, Analphabeten stellen eine wachsende Gruppe der Neuschüler, und „ein größerer Anteil an Migranten wirkt sich sowohl negativ auf die Schülerleistungen der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund aus als auch auf diese ohne. Gerade in Bezug auf das Sprengelprinzip an Grundschulen sollte deshalb darüber nachgedacht werden, ob dieses nicht zugunsten einer gleichmäßigeren sozialen Durchmischung aufgegeben werden sollte.“ Zwei Drittel der Syrer etwa „erreichen die Basiskompetenzen in Lesen, Schreiben und Rechnen nicht.“ Sie können im Unterricht, so die Studie, auf jede Menge einheimische „Bildungsarmut“ treffen, an der sich ausgebildete Lehrer bereits jetzt die Zähne ausbeißen: „Die Qualität des Unterrichts an Schulen mit Kindern mit niedrigem sozioökonomischem Hintergrund in Deutschland ist im Vergleich zu anderen OECD-­Ländern meistens schlechter“. Ganz generell müssen „bildungsferne und einkommensschwache Schichten“ viel intensiver angesprochen werden. Und über den dringend notwendigen „Erwerb von digitalen Kompetenzen“ haben wir noch gar nicht gesprochen.

Durchwursteln als Erfolgsrezept   

Das sind schlimme Befunde, die auf schlechte Zeiten deuten, nicht nur hierzulande. Auch aus Wien war jüngst die Klage zu hören, „eine Generation von Analphabeten“ werde zumindest an den sogenannten Brennpunktschulen herangezogen. Schule wird in Deutschland zum Versuchslabor für eine Gesellschaft neuen Typs. In ihr wurstelt sich durch, wer Ausdauer und Geschick hat, reüssiert, wer genügend Egoismus und Verdrängungsbereitschaft mitbringt, bleibt der Rest zurück. In Berlin regiert übrigens zeitgleich eine Kanzlerin, die Verblendung und Erleuchtung strukturell verwechselt. Und die vor genau zehn Jahren die „Bildungsrepublik Deutschland“ ausrief. Auch das gehört zur großen deutschen Bildungsversagung dazu.

Anzeige