Plagiatsvorwürfe gegen SPD-Politikerin - Giffeys halber Rücktritt

Weil sich abzeichnet, dass die Freie Universität Berlin ihren Doktortitel aberkennt, hat Familienministerin Franziska Giffey heute ihren Rücktritt eingereicht. Für die Landtagswahl in Berlin will sie aber Spitzenkandidatin bleiben.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) bei einer Pressekonferenz / dpa
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Nach den Diskussionen um die Aberkennung ihres Doktortitels tritt Franziska Giffey (SPD) von ihrem Amt als Bundesfamilienministerin zurück. Wie das Ministerium mitteilte, bat Giffey am Mittwoch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) um Entlassung. Zuerst hatte das Nachrichtenmagazin Focus berichtet.

Giffey ist auch Vorsitzende der Berliner SPD und Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Berlin, die zeitgleich mit der Bundestagswahl am 26. September stattfindet. Diese Kandidatur will Giffey aufrechterhalten, wie sie am Mittwoch auf ihrer Facebook-Seite bekanntgab. „Was meine Spitzenkandidatur für die Abgeordnetenhauswahlen in Berlin betrifft, habe ich immer klar gesagt: Die Berliner SPD und die Berlinerinnen und Berliner können sich auf mich verlassen. Dazu stehe ich. Mein Wort gilt“, schreibt Giffey dort.

Giffey muss sich gegenüber der FU erklären

Bis Juni, formuliert Giffey, habe die Freie Universität Berlin sie um eine Stellungnahme zu den Ergebnissen der Überprüfung gebeten. Danach solle das Verfahren abgeschlossen werden. Giffey betont, sie habe ihre Arbeit „nach bestem Wissen und Gewissen geschrieben“, bedauere aber, wenn ihr „dabei Fehler unterlaufen“ seien. Giffey erklärt zudem, dass sie unabhängig von der Entscheidung der FU Berlin ihren Doktortitel nicht mehr führen wird.

Auch Karsten Giffey, der Ehemann der SPD-Politikerin, geriet in den letzten Jahren in die Schlagzeilen: Giffey war als Tierarzt beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales beschäftigt, wurde im Dezember 2019 jedoch per Gerichtsbeschluss aus dem Dienst entfernt. Giffey hatte erwiesenermaßen bei Dienstreisen Spesen falsch abgerechnet und Nebentätigkeiten während der Dienstzeit ausgeübt. Im Urteil heißt es, der Beklagte habe „erkennbar systematisch bei allen während der regulären Dienstzeit ausgeübten Nebentätigkeiten falsche Dienstzeiten in den elektronischen Arbeitszeitbogen eingetragen hat und dies daher nicht – was im Einzelfall sonst durchaus sein könnte – auf einem Versehen beruhen kann.“

Worum geht es?

Nachdem Plagiatsvorwürfe zu Giffeys Dissertation in Politikwissenschaften aus dem Jahr 2010 aufkamen, leitete die FU eine Überprüfung ein. Das erste Verfahren endete am 30. Oktober 2019 trotz zahlreicher Plagiate mit einer Rüge, aber nicht mit der Aberkennung des Doktortitels. Das Gremium war zu dem Schluss gekommen, dass die plagiierten Textstellen quantitativ nicht überhandgenommen hätten und die Dissertation nicht qualitativ prägen würden. Ein Jahr später gab das Präsidium der FU jedoch bekannt, dass das Ergebnis der ersten Prüfung keinen Bestand haben soll.

Welchen Fehler hatte das Verfahren? Es gibt zwei Gutachten zu dem Fall. Nach Auffassung des Rechtswissenschaftlers Klaus Ferdinand Gärditz ist die Verhängung einer Rüge unmöglich, weil das Berliner Hochschulgesetz diese Sanktion nicht vorsieht. Nach Auffassung des Rechtswissenschaftlers Ulrich Battis ist die Rüge zulässig, aber mit besonders guter Begründung in minderschweren Fällen. Im Raum steht die Frage, ob die erste Kommission womöglich befangen, zu wohlwollend gegenüber der Doktormutter oder der Politikerin gewesen sei.

Versuch der Schadensbegrenzung

Der Rücktritt vom Amt der Familienministerin kann als Versuch Giffeys gesehen werden, den Schaden zu begrenzen: Im September wäre ihre Amtszeit ohnehin zu Ende gegangen, weil sie als Spitzenkandidatin für den Berliner Senat antritt. Giffey gilt als eine der wenigen Hoffnungsträger der SPD: In ihren drei Jahren als Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln machte sich die heute 43-Jährige einen Namen als empathische und gleichzeitig pragmatische Politikerin. Giffey war auch im Gespräch als Parteivorsitzende, allerdings verhinderte der unklare Ausgang ihrer Dissertations-Affäre einen weiteren Karriere-Schritt.

In der Berliner SPD wird Giffeys Entscheidung, Spitzenkandidatin zu bleiben, positiv bewertet. „Natürlich bleibt sie es. Ich finde das auch richtig. Ich sagte schon einmal: Franziska Giffey ist für die Berliner SPD eine politische Lebensversicherung. Alles andere wäre ja verrückt“, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Tom Schreiber gegenüber Cicero.

Und der Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Martin Hikel, sagt: „Wir verlieren eine engagierte und erfolgreiche Familienministerin. Das ist bedauerlich. Andererseits hat sie vor kurzem ,Vollzug´ gemeldet: 100 Prozent der geplanten Projekte in dieser schwierigen Legislaturperiode sind von Franziska Giffey als Familienministerin umgesetzt worden. Das ist eine gute Bilanz. Der Rücktritt zeigt aber Rückgrat. Franziska Giffey hat angekündigt, im Fall des Titelentzugs zurückzutreten. Und das macht sie auch. Sie versucht nicht, einen Ausweg durch die Hintertür zu finden, sondern tut, was sie sagt. Das hat sie so in Neukölln gemacht und auch in der Bundesregierung, und das finde ich richtig so.“

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