Rente - Politik mit der Angst vor Altersarmut

Wer als Politiker für Aktien wirbt, macht sich als „Kapitalistenknecht“ verdächtig, doch das unseriöse Herumschrauben an der Staatsrente nehmen wir widerspruchlos hin. Warum die Deutschen endlich das Rechnen lernen sollten.

„Die Deutsche Rentenversicherung finanziert sich nach dem Schneeballprinzip“ / picture alliance
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Wolfgang Bok war Chefredakteur und Ressortleiter in Stuttgart und Heilbronn sowie Direktor bei der Berliner Agentur Scholz & Friends. Der promovierte Politologe lehrt an der Hochschule Heilbronn Strategische Kommunikation.

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Friedrich Merz hat sich gewaltig in die Nesseln gesetzt. Sein Vorschlag, die Altersvorsorge durch eine steuerliche Förderung von Aktien zu ergänzen, wurde umgehend als Anschlag auf die staatliche Rentenversicherung umgedeutet. 

Verelendung der Senioren?

Selbst seine Kritiker aus der eigenen CDU, deren Partei-Vorsitzender er an diesem Freitag werden will, malen das Gespenst der drohenden Altersarmut an die Wand und hantieren dabei mit fragwürdigen Daten. Denn das arme Mütterlein, das von ein paar Hundert Euro Rente darben muss, gibt es selten. Kaum drei Prozent der über 65-Jährigen sind auf Grundsicherung angewiesen. Selbst Kleinrentner, die im Arbeitsleben auch nur kleine Beiträge bezahlt haben, verfügen in der Regel über weitere Einkünfte. So summiert sich das Netto-Gesamteinkommen alleinstehender Rentnerinnen im Schnitt auf 1420 Euro. Rentner kommen auf 1614 Euro; und bei Seniorenpaaren summiert sich das Haushaltsnettoeinkommen auf 2483 Euro im Monat.

Das lässt sich sogar dem Alterssicherungsbericht der Bundesregierung entnehmen, welcher der ehemaligen Sozialministerin Andrea Nahles bekannt sein sollte. Doch als SPD-Vorsitzende malt sie lieber die Verelendung der Senioren an die Wand, um viele Beitrags-Milliarden für fragwürdige „Haltelinien“ zu rechtfertigen. Renate Künast, in deren Amtszeit als grüner Landwirtschaftsministerin Rot-Grün das Rentenalter auf 67 Jahre hochgeschraubt, den Niveau senkenden Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt und Betriebsrenten mit Sozialabgaben belastet hat, macht Investitionen in Aktien gar für Klimagau und Artensterben verantwortlich. 

„Kapitalbildung“ als Unwort

Derlei Reaktionen sind verräterisch. Für viele Sozialdemokraten, Grüne, Linke, aber auch AfD-Politiker und weite Teile der Medien ist schon „Kapitalbildung“ ein Unwort. Zumal aus dem Mund eines Blackrock-Mannes, der sich mit seinem Millionen-Einkommen zur „gehobenen Mittelschicht“ zählt. Selbst Klaus Müller, der als oberster Verbraucherschützer gründlicher rechnen müsste, warnt sogleich vor den „Gewinninteressen der Finanzbranche“, in deren Dienste Friedrich Merz selbstverständlich steht. 

Dabei zeigen alle Studien, dass Aktienanlagen langfristig am rentierlichsten sind. Trotz Krisen und Kursstürzen überstehen sie sogar Staatsbankrotte und Kriege. 

Deshalb investieren viele Pensionsfonds anderer Länder in Unternehmensbeteiligungen. In den USA und Australien sogar 49 Prozent, in Holland 37 und der Schweiz 29, und sogar in Schweden sind es mit 15 Prozent noch fast vier Mal soviel wie in Deutschland (vier Prozent). Daher sind Amerikaner, Holländer oder Schweizer statistisch gesehen reicher als die Deutschen, deren Altersgeld zu 75 Prozent von den gesetzlichen Rentenkassen abhängt. In Holland sind es nur 30 Prozent. Gerne investieren diese Pensionsfonds übrigens in den Deutschen Aktienindex DAX. So fließen bis zu 80 Prozent der deutschen Unternehmensgewinne ins Ausland. 

Deutsche Rente nach dem Schneeballprinzip

Die Zahlen sprechen also klar für eine Mehrsäulen-Strategie bei der Alterssicherung, wobei die Beteiligung am Produktionsvermögen gerade in Deutschland deutlich gesteigert werden sollte. Denn die hiesige Säule der Staatsrente erodiert: Von heute 282 Milliarden Euro steigen die Ausgaben infolge der Überalterung auf 783 Milliarden in Jahr 2045. Damit müsste sich der Staatszuschuss auf fast 180 Milliarden verdoppeln. Ob Deutschland bis dahin noch die wirtschaftliche Kraft hat, steht dahin. Schon heute reichen die Rücklagen für die 21 Millionen Rentenbezieher gerade mal für sechs Wochen. Denn die Deutsche Rentenversicherung (DRV) finanziert sich nach dem Prinzip Schneeball oder Kettenbrief, was im normalen Geschäftsleben eigentlich verboten ist: Immer neue Beitragszahler müssen für die alten Ertragsversprechen aufkommen.

Dass die von Rot-Grün eingeführten Riester- und Rürup-Renten nur kümmerliche Renditen erwirtschaften, ist kein Argument gegen die private Vorsorge. Im Gegenteil: Die Versicherungsanbieter sind selbst Opfer einer Aktien-feindlichen Politik. Sie müssen eine viel zu hohe Quote in „sichere“ Staatspapiere investieren, die auch dank der Euro-Rettungspolitik so gut wie keine Zinsen abwerfen. 

Der Grund für die deutsche Aktienskepsis

Die politisch geschürte, und medial gerne aufgegriffene Aktienskepsis hat daher wohl einen tiefergehenden Grund: Wer am Produktivvermögen direkt beteiligt ist, interessiert sich stärker für wirtschaftliche Vorgänge. Wer Aktien von VW oder RWE im Depot hat, blickt möglicherweise kritischer auf Forderungen nach Dieselverboten und raschem Kohleausstieg. Wer Anteile von BMW oder Daimler gezeichnet hat, ist wohl auch weniger für die gepriesene „Mobilitätswende“ zu begeistern. Dabei sind Anlagen in Wind- oder Solarparks doch hochrentierlich – allerdings nur solange der deutsche Stromkunde mit hohen Zwangsabgaben dafür in Haftung genommen wird.

Andererseits ist das deutsche Staatsrentensystem das Schwergewicht im Verschiebebahnhof des Sozialwesens. Nirgends sonst lassen sich Wahlgeschenke so elegant verteilen: Hier ein paar Milliarden für Mütterrenten, dort für die Rente mit 63, die in Ostdeutschland bereits 42 Prozent der Beschäftigten in Anspruch nehmen. Im Westen sind es noch 30 Prozent. Die hohen Kosten werden kaum spürbar häppchenweise auf Steuer- und Beitragszahler verteilt. Das ist politisch ohne Risiko: Obwohl die Deutschen im Schnitt bereits das halbe Jahr für Staat und Sozialkassen arbeiten, kommt keine Abgabendebatte in Gang. Sogar jeder Anlauf, wenigstens den Solidaritätszuschlag abzuschaffen, versandet regelmäßig. Und das, obwohl die Steuerschatullen und Beitragskassen überquellen. Anstatt mit dem vielen Geld überflüssige Wahlgeschenke zu verteilen, wäre es sinnvoller, vor allem die jungen Bürger zu animieren, in Aktiensparpläne zu investieren. Die gibt es schon sehr günstig. Sogar kleine Beträge summieren sich langfristig zu großen Guthaben. Dies wäre zur Abwechslung mal eine kluge Investition in die Zukunft.

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