Rentenkommission der Bundesregierung - Drückeberger am Werke

Heute hat die Rentenkommission der Bundesregierung ihre Empfehlungen für die Zeit nach 2025 präsentiert. Professor Axel Börsch-Supan war Mitglied der Kommission und warnte im Februar vor einem Scheitern. In „Cicero“ erklärt er, warum die Vorschläge ein Verrat an den Jüngeren sind.

Ist die Rente gerecht? Die jüngere Generation lebt in einer schwierigeren Welt als Ältere / dpa
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Axel Börsch-Supan ist Professor am Münchner Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik und gilt als einer der führenden Rentenexperten. Er war Mitglied der Rentenkommission der Bundesregierung.

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Die Ergebnisse der Rentenkommission sind mager ausgefallen. Ein neuer verlässlicher Generationenvertrag ist in den Empfehlungen nicht erkennbar. Ganz im Gegenteil werden zentrale Fragen – wie hoch ist das Rentenniveau, wieviel müssen die Erwerbtätigen zahlen, wann darf man in Rente gehen – mit scheunentorweiten Korridoren beantwortet und an die nächste Kommission weitergegeben wie eine heiße Kartoffel.

In unserer gegenwärtigen politischen Landschaft mag man nichts Anderes erwartet haben. Eine Kommission, in der eine satte Zweidrittelmehrheit aus Berufspolitikern und Verbandsvertretern besteht, kann keine großen Sprünge machen, da die meisten Mitglieder ihren Partei- und Verbandsinteressen verpflichtet sind. Zudem haben die Interessen des Status Quo in unserem politischen System eine Mehrheit, da die Älteren eifrig zur Wahl gehen, während die Jüngeren – das muss man zu ihrer Schande sagen – das nur mäßig tun. Die ganz Jungen aber, um die es eigentlich in einem verlässlichen Generationenvertrag geht, dürfen noch gar nicht wählen.

Halbe Wahrheiten aus der Politik

Nun mag man sagen: Das ist doch alles nicht so schlimm, wir haben ja ein gutes Rentensystem. Das stimmt auch. Zumindest zur Hälfte. Der Bundesarbeitsminister verkündete erst letzten Freitag erneut eine überdurchschnittlich hohe Rentensteigerung. Dazu hieß es, dass „die Rentenversicherung damit in der aktuellen wirtschaftlichen Lage ein positives Signal setzen kann“. Schön, aber nur halb richtig.

Denn die Rente reagiert auf Lohn- und Beschäftigungsentwicklungen mit ein- bis zweijähriger Verzögerung. Die Auswirkungen der Corona-Krise werden die Rente also erst 2021/22 erfassen. Erst dann wird man wissen, ob und für wen das Signal positiv oder eben doch negativ sein wird.

Viele Jüngere argumentieren zudem: Wenn jetzt die Rentner gut behandelt werden, dann werden wir selbst später auch gut behandelt – also hohe Rentensteigerungen erhalten und früh in Rente gehen dürfen. Das ist weniger als halb richtig. Denn die eigentliche Herausforderung der Rentenversicherung ist nicht der jetzt befürchtete Konjunktureinbruch wegen der Corona-Pandemie, sondern die demografische Entwicklung.

Die Jüngeren bezahlen die heutige Großzügigkeit

Deutschland steht unmittelbar vor einem Alterungsprozess, der stärker als in den meisten anderen Ländern sein wird. Die Jüngeren werden also für eine großzügige Rentenpolitik heute bald viel zahlen müssen. Wenn es in Zukunft aber wegen des demographischen Wandels deutlich weniger Beitragszahler pro Rentnerin und Rentner geben wird, wird man gar nicht umhinkommen, doch sparsamer mit den Rentenerhöhungen umzugehen. Und wenn wir immer länger leben, wird es gar nicht anders gehen, als das Rentenalter heraufzusetzen.

Die Kommission mit diesem schönen Namen "Verlässlicher Generationenvertrag" hat die Chance vertan, diese doppelte Bestrafung in einem tatsächlich verlässlichen Generationenvertrag mit weiser Voraussicht zu verhindern, indem man schon jetzt sparsamer mit Rentenerhöhungen umgeht, damit man später nicht zu arg kürzen muss.

Die eifrigsten Wähler - die ältere Generation - wird belohnt

Leider hat es diese Kommission nicht gewagt, die strukturelle Asymmetrie im Rentenrecht zu beseitigen, welche tendenziell die Älteren bevorzugt schützt, während die Jungen den Hauptteil der Zeche zahlen müssen. Der viel geschmähte Nachhaltigkeitsfaktor hat seit 2005 die demographischen Lasten proportional gleichmäßig auf Alt und Jung verteilt. Dies hat auch in der Finanzkrise 2008 gut funktioniert. Diese Symmetrie ist jedoch systematisch abgebaut worden, am stärksten im Rentenpakt 2018, der nicht zuletzt aus großkoalitionärer Wahltaktik die eifrigsten Wähler am meisten belohnt, nämlich die ältere Generation.

Die jüngere Generation lebt jedoch in einer schwierigeren Welt als wir Ältere: Wirtschaftlich geht es langsamer bergauf als für diejenigen, die noch im Wirtschaftswunder groß geworden sind. Auf die Jungen kommt der Klimawandel zu, der sie besonders freitags bewegt; finanziell wird für sie der demographische Wandel genauso bedrohlich. Kein Wunder, dass die Skepsis gegenüber der sozialen Marktwirtschaft und unserer demokratischen Grundordnung gerade unter den Jüngeren zunimmt.

Desaströser Anstieg der Beiträge ab 2025

Wir müssen uns daher mehr um die Jüngeren kümmern. Ihnen gehören prioritär die Mittel des Staates: für eine bessere Ausbildung und mehr Chancengleichheit. Die Rentenpolitik darf daher keine Milliarden in eine Grundrente stecken, die den wirklich von Altersarmut Bedrohten gar nicht helfen kann; keine Milliarden Steuermittel in Haltelinien stecken, die doch nur ab 2025 zu einem desaströsen Anstieg des Beitragssatzes führen werden; keine durch die Rente mit 63 noch verstärkten Versprechungen machen, dass das Rentenalter nicht weiter steigen wird.

Maßvolle und der demographischen Herausforderung verhältnisgemäße Alternativen zu den mageren Vorschlägen der Kommission gibt es genug. Der 2005 eingeführte Nachhaltigkeitsfaktor sollte als „Generationengerechtigkeitsfaktor“ so vereinfacht werden, dass, wenn die demographische Belastung der Rentenversicherung steigt, die Mehrbelastung der Aktiven durch höhere Beiträge zu einem anteilig gerechten Absinken des Sicherungsniveaus der Renten führt. Sie werden dadurch weniger stark steigen als die Löhne; sie werden aber auch in Zukunft weiter steigen und Abstand halten zu den Leistungen der Grundsicherung. Ein solcher Faktor würde die finanzielle Last des demographischen Wandels gleichmäßig auf Alt und Jung aufteilen.

Alternativen liegen auf dem Tisch

Es gibt auch Alternativen. Man könnte auch – wie in Österreich – das Rentenniveau beim Rentenzugang relativ hoch ansetzen, dann aber die Bestandsrenten deutlich langsamer als die Löhne steigen lassen. Alternativlos ist es, die durch die wachsende Lebenserwartung gewonnenen Jahre zwischen Erwerbstätigkeit und Ruhestand aufzuteilen. Nur so lässt sich der Druck auf Beitragssatz und Rentenniveau zugleich verringern.

Es wäre unvernünftig, hier in Extremen zu denken, zum Beispiel die zusätzlichen Lebensjahre komplett in einer längeren Rentenlaufzeit oder vollständig in einer längeren Erwerbsphase zu verbringen. Gegenwärtig besteht ein Durchschnittsleben aus etwa 40 Jahren Arbeit und 20 Jahren Rentenbezug. Diese Proportionen gilt es auch nach dem Jahr 2030 zu wahren. Dies ist nicht die gefürchtete „Rente mit 70“. Gemäß dieser Regel müsste erst 2043 das Rentenalter auf 68 Jahre angehoben werden. Den Rentnern wird dadurch nichts weggenommen, und die längere Lebenserwartung geht nicht ausschließlich zu Lasten der Jüngeren.

Beamte sollten in die gesetzliche Rentenversicherung integriert werden. Selbstständige sollten nach einer gewissen Karenzzeit der Versicherungspflicht unterliegen. Beide Maßnahmen können die finanzielle Situation der gesetzlichen Rentenversicherung nicht verbessern, dienen aber dem Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung und verhindern im Fall der Solo-Selbständigen Altersarmut.

Die Kommission verschiebt wichtige Entscheidungen auf später

Schließlich sollte die private und betriebliche Altersvorsorge gestärkt werden. Zwar kann man von der Kapitaldeckung keine Wunder erwarten. Die Finanzkrise 2008 und die derzeitige Corona-Krise zeigen, wie überschäumende Erwartungen immer wieder auf das Normalmaß zurückgestutzt werden. Die kapitalgedeckte zusätzliche Altersvorsorge entlastet aber die jüngere Generation, weil sie von der Generation aufgebaut wird, die dann auch später davon profitiert.

Wenn man die Kindergeneration der Babyboomer erreichen will, ist Handeln jetzt geboten. Optionen jetzt nur zu prüfen, wie die Kommission empfiehlt, aber Entscheidungen auf später zu verschieben, heißt einmal mehr, sich vor der Verantwortung zu drücken. Der demographische Wandel wirkt sich nicht nur auf die Finanzierung der Altersvorsorge aus. Die Alterung der Gesellschaft bedeutet, dass wir mehr in die Jugend investieren müssen, weil die Alten auf Gedeih und Verderb auf die Jungen angewiesen sind.

Junge Menschen müssen daher besser ausgebildet werden, damit sie angemessen hohe Löhne erreichen. Bessere Bildung ist das Fundament, um höherwertigere Arbeitsplätze in Zeiten des demographischen Wandels und der Digitalisierung zu schaffen. Damit der Staat mehr in Bildung investieren kann, ist es wichtig, die Ausgaben des Staates in Balance zu halten. Dies gilt auch für die Rentenausgaben. Wir können nur hoffen, dass die nächste Rentenkommission die Chance ergreift, einen auch in diesem Sinne umfassenden verlässlichen Generationenvertrag zu schaffen.

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