Rechtsextremismus bei der Polizei - „Es gibt in Teilen der Polizei erheblichen Zuspruch für die AfD“

Immer wieder kommen rechtsextreme Strukturen in der Polizei ans Licht. Dennoch weist der Bundesinnenminister Forderungen nach einer Studie über Rassismus in der Polizei zurück. Der Kriminologe Tobias Singelnstein erklärt, warum Horst Seehofer dem Rechtsstaat damit einen Bärendienst erweist.

In einer Chatgruppe der Polizei Essen kursierten rechtsextreme Inhalte / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

So erreichen Sie Antje Hildebrandt:

Anzeige

Prof. Dr. Tobias Singelnstein ist Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie an der Juristischen Fakultät der Ruhr Universität Bochum. 

Herr Singelnstein, immer häufiger fliegen rechtsextreme Chatgruppen bei der Polizei auf. Jetzt wurde im nordrhein-westfälischen Mühlheim eine ganze Einheit erwischt, und Innenminister Herbert Reul beteuert, er hätte sich das nicht vorstellen können. Wie glaubwürdig finden Sie eine solche Aussage?

Ich bin da zwiegespalten. Auf der einen Seite erlebe ich Herrn Reul als jemanden, der sehr authentisch ist. Auf der anderen Seite wissen wir eigentlich schon lange, dass es ein Problem mit Rechtsextremismus bei der Polizei gibt. Es gibt schon eine Handvoll Untersuchungen zu Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der Polizei aus den neunziger Jahren. Da kann man schon sehen, dass es eine problematische Gruppe von Beamten gibt, die solche Einstellungen haben. 

Was haben diese Studien genau ergeben?

Die haben politische Einstellungen untersucht, besonders im Blick auf Rechtsradikalismus – oder aber auch Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Grob zusammengefasst kann man sagen, dass es damals zwischen 5 und 15, vielleicht auch 20 Prozent Beamten und Beamtinnen mit problematischen Einstellungen gab. Wobei da die ganze Bandbreite vertreten ist, von gefestigten rechtsextremen Einstellungen bis zu rassistischen Einstellungen.

Die Vorstellung, dass jeder fünfte Polizist solche Einstellungen teilt, ist erschreckend. Oder wie bewerten Sie diese Zahl?

Das hängt davon ab, wie man darauf schaut. Einerseits entsprechen solche Werte dem gesellschaftlichen Durchschnitt. Andererseits kann das natürlich nicht beruhigen, weil es in der Polizei sehr viel problematischer ist, wenn es dort solche Einstellungen gibt. Zum einen hat die Polizei besondere Befugnisse. Sie darf Gewalt anwenden und schwerwiegende Eingriffe in die Grundrechte vornehmen. 

Und zum anderen?

Das polizeiliche Handeln hat gesellschaftliche Signalwirkung. Die Polizei markiert quasi: Was ist strafbar? Wer ist kriminell? Wer ist gefährlich? Das tut sie durch ihr Handeln. Wenn dabei eine diskriminierende Praxis zum Tragen kommt, dann hat das eine Wirkung, die deutlich über diesen einen Fall hinausgeht. 

Die Folgen der Flüchtlingswelle 2015 hat auch die Polizei zu spüren bekommen. Haben sich die rechtsextremen Tendenzen seither noch verschärft?

Da gibt es gegenläufige Entwicklungen. Auf der einen Seite gibt es Fortschritte in der Polizei. Das Thema transkulturelle Kompetenz wird in der Aus- und Fortbildung immer wichtiger. Inzwischen diskutieren wir auch über „racial profiling“, das war vor 20 Jahren noch kein Thema bei der Polizei. Auf der anderen Seite hat sich der Diskurs in den vergangenen Jahren durch das Erstarken der AfD massiv verschoben. Ein wesentliches Ziel der Partei ist es nun mal, Migration und Kriminalität miteinander zu verknüpfen. Obwohl wir aus kriminologischer Perspektive wissen, dass Kriminalität nicht mit Herkunft, sondern mit Lebensumständen und Sozialisation zu tun hat. 

%paywall%

Inwiefern schlägt sich dieser Kurs in der Polizei nieder?

Die AfD bemüht sich, bei der Polizei Anhänger und Anhängerinnen zu sammeln. Es gibt eine ganze Reihe von Funktionsträgern bei der AfD, die selbst Beamte oder Beamtinnen waren oder sind. Wir müssen davon ausgehen, dass es bei Teilen der Polizei einen erheblichen Zuspruch für diese Partei und ihre Politik gibt. 

Aber dafür, dass die Partei dort offene Türen einrennt, gibt es ja gute Gründe. Der Beruf des Polizisten ist seit 2015 nicht leichter geworden. 

Selbst wenn das so sein sollte, worüber man sicher streiten kann, ist das kein Grund für eine extrem rechte politische Positionierung. 

Aber muss die Polizei nicht ausbaden, was die Politik bei der Integration versäumt hat?

Man kann generell sagen, dass die Polizei mit gesellschaftlichen Problemen konfrontiert wird, die eigentlich an anderer Stelle besser gelöst werden könnten und sollten. Wenn das nicht gelingt und Konflikte entstehen, dann kommt die Polizei als First Responder ins Spiel, ohne diese Probleme nachhaltig bearbeiten zu können.  

Zieht der Beruf des Polizisten Menschen an, die schon ein geschlossenes Weltbild haben, oder radikalisiert sie der Beruf?

In der Forschung gibt es Hinweise auf beides. Nach der Rekrutierungsthese zieht der Beruf neben vielen anderen auch solche Menschen an, obwohl Bund und Länder bei der Personalauswahl schon genauer hinschauen, solche Leute nicht einzustellen. Es ist nicht so, dass die Polizei ein Spiegel der Gesellschaft ist. Es dominieren Leute, denen Recht und Ordnung wichtig ist, die eher konservative politische Einstellungen haben. Es gibt auch einen gewissen Anteil, der eine Affinität zu extrem rechten Positionen hat. Auf der anderen Seite sehen wir auch, dass die beruflichen Erfahrungen in bestimmten Kontexten dazu beitragen können, dass sich rechtsextreme oder rassistische Einstellungen herausbilden oder verfestigen.

Wenn einem im Job Ausländer fast immer nur als Kriminelle begegnen, wird man da quasi automatisch zum Ausländerfeind?

Nein, die beruflichen Belastungen sind als Erklärungsansatz alleine nicht hinreichend. Es besteht zwar Gefahr, dass man die Erfahrungen, die man macht, pauschalisiert und im Laufe der Zeit als gesellschaftliche Wirklichkeit versteht. Ob und wie dies geschieht, dürfte aber sehr stark davon abhängen, mit welchen Einstellungen man in diesen Beruf hineingegangen ist und welche Kapazitäten man hat, solche Erfahrungen zu reflektieren, einzuordnen und zu verarbeiten. 

Tobias Singelnstein / rub, Marquard

Es mangelt an Supervision und Coachings?

Genau, das ist auch ein Thema, das von der Polizei angegangen werden müsste. 

Innenminister Horst Seehofer hatte eine von der Hochschule für Polizei selbst eingeforderte Studie „über rechtsextremistische Haltungen und Handlungen“ erst zugesagt, jetzt wehrt er sich dagegen. Ist das nicht kontraproduktiv?

Unbedingt. Ich verstehe Herrn Seehofer auch nicht so richtig. Man hat ja in diesem Jahr gesehen, dass das Thema wie ein Bumerang immer wieder zurückkommt. Wir bräuchten dringend Fakten und Zahlen, um eine sachliche Diskussion über diese Probleme führen zu können. Ich habe das Gefühl, dass sich zwei Seiten gegenüberstehen, die eine feste Meinung zu dem Problem haben. Und dass eine Debatte oft gar nicht mehr möglich ist, weil man sich schon nicht über die Definition dessen einig ist, worüber gesprochen werden müsste.

Aber warum blockt der Innenminister das Thema dann ab? Damit nährt er doch den Verdacht, die Polizei habe etwas zu verbergen?

Ich kann es mir nur so erklären, dass es der politische Versuch ist, die Diskussion zu beenden. Dahinter steht die Befürchtung, dass man das Thema noch stärker in den Fokus rückt, wenn man es erst erforscht. Dabei kann diese Diskussion doch erst dann versachlicht werden, wenn wir Zahlen haben.

Brauchen wir überhaupt noch eine solche Studie? Dass die Polizei ein Problem mit Rechtsextremismus in den eigenen Reihen hat, erleben wir doch inzwischen fast täglich. Ausländerfeindliche Chats. Unerlaubte Abfragen von Personendaten. Morddrohungen, die mit NSU.2.0 unterschrieben wurden. 

Aus wissenschaftlicher Sicht ist es schon wichtig, das gesamte Ausmaß zu kennen und sich die einzelnen Aspekte differenziert anzugucken. Sind das bewusste Ansichten oder unbewusste Stereotype, die durchschlagen, obwohl die Beamten von sich selbst denken, sie hätten sie gar nicht? Wie wirken sich solche Einstellungen in der dienstlichen Praxis aus? Nur wenn wir die Strukturen und Entstehungszusammenhänge von Rassismus und Rechtsextremismus kennen, können wir zielgerichtet Instrumente entwickeln, um dem entgegenzuwirken. 

Wer sollte diese Studie denn durchführen?

Unabhängige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und nicht die Polizei selbst – natürlich in Zusammenarbeit mit der Organisation. Ich glaube, dass es von außen einen unverstellten Blick auf das Thema braucht. 

Herbert Reul will, dass die Polizei diese Tendenzen selbst untersucht. Was dabei herauskommt, kann man in Frankfurt sehen, wo vor zwei Jahren eine 60-köpfige Ermittlungsgruppe eingesetzt wurde, um zu klären, wer hinter Personenabfragen und den Morddrohungen durch den NSU.2.0. steckt. Auch nach zwei Jahren hat die Gruppe die Täter nicht gefunden. 

Der Staat tut sich schwer damit, das Fehlverhalten von eigenen Bediensteten so nachhaltig zu verfolgen, wie das in anderen Bereichen der Fall ist. Ich finde das überhaupt nicht überraschend. Es gibt eine institutionelle Nähe. Man hat ein besonderes Verständnis für die Kollegen. 

Sie meinen den Korpsgeist?

Ja, genau. Der Zusammenhalt in der Organisation ist ja einerseits ein positiver Wert. Bei der Polizei spielt der eine noch stärkere Rolle als in anderen Berufen. Die Beamten sind jeden Tag draußen unterwegs. Sie sind darauf angewiesen, dass sie sich aufeinander verlassen können. Die negative Seite ist: Wenn es zu Fehlverhalten kommt, fällt es schwer, den Kollegen anzuzeigen oder über die Missstände nach außen zu berichten. Da gibt es einen Code of Silence, eine Mauer des Schweigens. 

Was sagen denn die Polizeigewerkschaften dazu, dass der Innenminister die Studie verhindert?

Das ist von Polizeigewerkschaft zu Polizeigewerkschaft sehr unterschiedlich. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BdK) fordert schon seit zwei Jahren so eine Studie und hat auch entsprechende Ideen und Konzepte vorgelegt. Der BdK will das Thema konstruktiv angehen, auch um dem Vertrauensverlust der Polizei entgegenzuwirken. In der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist gerade Bewegung bei dem Thema zu beobachten. Die Abwehr ist dort nicht mehr so vehement wie noch vor einigen Jahren.

Und was ist mit der Deutschen Polizeigewerkschaft? 

Von der hört man gerade nicht viel. Die hat sich bei diesen Themen in der Vergangenheit selbst zweifelhaft hervorgetan. Noch 2019 hat die Gewerkschaft einen Kalender mit rassistischen Karikaturen herausgegeben – mit Witzen auf Kosten von People of Colour im Kontakt mit der Polizei.

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt

Anzeige