Rechtsextremismus in Bundeswehr und Polizei - „Viel zu lange wurde nur zugeschaut“

Wie sind rechtsextremistische Vorfälle in Polizei und Bundeswehr einzuschätzen? Terrorexperte Dirk Laabs sagt im Interview, 30 KSK-Soldaten könnten mit Waffen zwar nicht den Staat stürzen, doch könnten sie schwere Terroranschläge ausüben. Die Frage sei, ob das Gewaltpotenzial noch eingedämmt werden kann.

Das Schießausbildungszentrum des Kommandos Spezialkräfte (KSK) / dpa
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Autoreninfo

Alissa Kim Neu studiert Kulturwissenschaften und Romanistik in Leipzig. Derzeit hospitiert sie bei Cicero.

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Dirk Laabs ist investigativer Journalist und Filmemacher, der sich auf Terrorismus spezialisiert hat. Sein im Februar bei Ullstein erschienenes Buch „Staatsfeinde in Uniform“ thematisiert rechtsextremistische Netzwerke in Bundeswehr und Polizei.

Vorwürfe wie die gegen Oberstleutnant Franco A., der als Flüchtling verkleidet Anschläge vorbereitet haben soll, mutmaßlich rechtsextreme Chats unter Polizisten und jüngst antisemitische Vorwürfe gegen Bundeswehrsoldaten in Litauen. Wie groß ist das Rechtsextremismus-Problem in Bundeswehr und Polizei?

Es ist zu groß, um es zu ignorieren und zu groß, als dass es bis jetzt unter Kontrolle zu bekommen war. Viel zu lange wurde nur zugeschaut und nichts getan.

Bundeswehr und Polizei sind also von Rechtsextremen unterwandert?

Es gibt keine rechtsextreme Schattenarmee oder Guerillagruppen. Bei der Frage nach der Größe ist eine Unterscheidung zwischen Rechtsradikalen und Rechtsextremisten wichtig. Rechtsradikale äußern sich zum Beispiel rassistisch in Chats. Menschen mit einer solchen Haltung gibt es wahrscheinlich recht viele, die meisten sind natürlich nicht bekannt. Rechtsextremisten sind wiederum Leute, die aktiv daran arbeiten, den Staat mit Waffengewalt zu stürzen, also Verfassungsfeinde. Wir gehen da von etwa 200 Menschen aus.

Wie gewaltbereit ist diese Gruppe?

Gewaltbereitschaft ist ein Kernstück des Extremismus. In dem Moment, in dem ich Munition sammle, Waffentraining absolviere oder aktiv über Gewalt anderen gegenüber spreche, bin ich gewaltbereit.

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In ihrem Buch betonen Sie die Bedeutung des Tag-X-Konzepts, was bedeutet das genau?

Der Tag X ist ein feststehender Begriff in der rechten Szene. Es ist der Tag, an dem man die Macht übernimmt und mit Feinden abrechnet. In der rechten Szene wird immer wieder heiß diskutiert, was das konkret bedeutet, also ob das System von allein zusammenbricht oder ob mit Anschlägen nachgeholfen oder quasi ein Bürgerkrieg ausgelöst werden muss.

Doch reichen 200 Rechtsextreme in der Bundeswehr aus, um einen Systemsturz herbeizuführen?

Dirk Laabs / Thomas Duffe

Es gab ja auch nicht viele RAF-Terroristen. Terrorismus braucht nicht viele Menschen. Einen harten Kern, ein Unterstützerumfeld, Waffen und einen Willen. Den Schaden, den 30 KSK-Soldaten mit Waffen anrichten können, ist gar nicht vorstellbar. Sie sind also nicht in der Lage, den Staat zu stürzen, aber schwere Terroranschläge auszuüben. Das ist das Szenario, über das man jetzt sprechen muss. Zudem kennen wir bis heute längst nicht alle Sympathisanten im Umfeld, die viel möglich gemacht und gedeckt haben. 

Gibt es gegen Radikalisierung in der Bundeswehr nicht den Militärischen Abschirmdienst (MAD)?

Der MAD war leider größtenteils dysfunktional. Er wird jetzt neu aufgestellt, kriegt einen neuen Namen, eine neue Chefin und muss jetzt irgendwie das aufräumen, was zuvor alles schiefgegangen ist. Doch wenn jahrelang falsch gearbeitet wird, dann ist es schwer, das alles wieder aufzuarbeiten.

Was ist schiefgegangen?

Es wurde eng mit Spitzeln zusammengearbeitet, was ein hochproblematisches Mittel ist. Ich bin der Meinung, dass man das schon machen kann, aber verantwortungsvoll und nicht unkontrolliert. Irgendwann ging es nur noch darum, die Bundeswehr zu schützen und nicht die Bundesregierung und die Bundesrepublik. Es wurde mit Rechtsradikalen zusammengearbeitet, nur um Infos aus der Bundeswehr rauszuholen.

Ist Rechtsextremismus in der Bundeswehr ein neues Phänomen?

Nein, das war auch schon seit den 90ern abzusehen, dass die Armee nicht voll besetzt werden kann, wenn ganz harte Maßstäbe angelegt werden. Letztendlich waren dann sogar selbst Jugendstraftaten kein Hinderungsgrund mehr, um in den Bund zu gehen oder Zeitsoldat zu werden. So kamen auch viele Rechtsextreme in die Bundeswehr, deren typische Straftaten wie Landfriedensbruch nicht beachtet wurden.

In Ihrem Buch wird immer wieder die Eliteeinheit KSK als Schmiede Rechtsextremer bezeichnet.

Ja, das KSK hat eine schwierige Geschichte, denn einer der ersten Kommandeure war selbst ein Rechtsradikaler, der die Wehrmacht verherrlichte. So etwas trägt sich dann natürlich rein und wurde viel zu lange geduldet. Vor allem der Elitegedanke, besser zu sein als die anderen und auch als der Staat, spielte eine Rolle. Viel zu selten wurde freigelegt, was warum in einer Demokratie geschützt werden muss. Bei den Soldaten ging es oft nur um Handwerk, da wurden dann falsche Schwerpunkte gesetzt.

Selbst bei Franco A., dessen Masterarbeit aus dem Jahr 2013 schon rechtsextremistisches Gedankengut beinhaltet haben soll, wurden damals keine Konsequenzen gezogen. Warum?

Ja, das ist das eigentlich Unfassbare. Wie genau das mit der Masterarbeit ablief, ist bis jetzt noch nicht ganz aufgeklärt worden, aber letztendlich wurde er von einem Anwalt und von Offiziersebene her geschützt. Und da kommt dann die Frage ins Spiel, inwieweit nicht Sympathie für die geäußerte Meinung oder ein völlig falsches Verständnis von Rechtsstaatlichkeit das Wegschauen verstärkt.

Ist es richtig, bei Polizei und Bundeswehr von einer Grauzone zu sprechen, in der Radikalisierung geschehen kann oder in der gegen bestimmtes Gedankengut nicht konsequent vorgegangen wird?

Zum einen geht es um eine bestimmte Kultur. Diese Kultur gibt beispielsweise vor, dass Kollegen nicht angeschwärzt werden dürfen. Das kann jetzt auch in den rechtsextremen Chats der hessischen Polizei gesehen werden. In vielen anderen Berufsfeldern wäre es normal, solch rassistischen Äußerungen zu melden. Zum anderen geht es um die Rechtsstaatlichkeit von Polizei und Bundeswehr. Ein gutes Beispiel ist der Kanzlerkandidat Olaf Scholz, der jegliche Polizeigewalt während des G20-Gipfels abstritt, die ich aber persönlich erlebt habe. Solche Relativierungen wirken wie ein Passierschein, der irgendwann den Eindruck erweckt, dass Polizei und Bundeswehr über dem Gesetz stehen.

Ihre Buch-Appelle sind eindringlich, sich mehr mit Rechtsextremismus in Bundeswehr und Polizei auseinanderzusetzen ...

Es geht um das Vertrauen der Bürger, das erodiert und zwar zu Recht. Jemand mit migrantischen Wurzeln, der von solchen Vorfällen in der Zeitung liest, wird genau das im Kopf haben, wenn er den nächsten Polizisten sieht. Es ist einfach ein großer Schaden entstanden, der vonseiten des Innenministeriums immer nur klein- und schöngeredet wurde.

Steigt der Druck auf rechtsextreme Netzwerke, seitdem durch den Mord an Walter Lübcke und die NSU-Morde die Bürger für Rechtsextremismus mehr sensibilisiert wurden?

Ein Stück weit schon, die Frage ist aber, ob wir früh genug aufgewacht sind. Denn wenn ein Problem sich einmal etabliert hat, ist es schwer, es wieder in den Griff zu bekommen. Die Behörden versuchen schon vieles, aber ob das reicht, auch angesichts des angerichteten Schadens, das ist die Frage.

Die Fragen stellte Alissa Kim Neu

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