Reaktionen auf den Terror - Freiheit und Sicherheit schließen sich nicht aus

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hat in seiner Neujahrsansprache „absolute Sicherheit“ gegen „freie Gesellschaften“ ausgespielt. Damit begibt er sich auf dünnes Eis. Fragen nach den Fehlern bei der Terrorismusbekämpfung müssen gestellt werden

Michael Müllers Rekurs auf die „westlichen Werte“ ist eine Nebelkerze / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Die Zeit der politischen Weihnachts- und Neujahrsansprachen ist nun, gottseidank, vorbei. Unter dem Eindruck des Attentats auf den Berliner Weihnachtsmarkt mit zwölf Toten und beinahe 50 Verletzten war der Tenor fast überall der gleiche: keine Panik, keine Ressentiments! Stattdessen: zusammenstehen und das gewohnte Leben weiterführen – am besten so, als wäre nichts gewesen. Mit anderen Worten: Den Bürgern wird empfohlen, möglichst keine kritische Fragen zu stellen. Denn sonst hätten „die Terroristen“ mit ihrer Verunsicherungsstrategie bereits „gewonnen“. Das erinnert ein bisschen an George W. Bushs Ratschlag an die Amerikaner nach dem 11. September 2001: „Get down to Disney World in Florida.“

Bei Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller, SPD, klang das am Neujahrstag so: „Der Terror hat sich nun auch bei uns in Berlin gegen unsere vielfältige und freie Art zu leben gerichtet, und wir wissen, es gibt in freien Gesellschaften keine absolute Sicherheit. Das ist der Preis, den wir bereit sind, für unsere Freiheit zu zahlen.“ In diesen beiden Sätzen finden sich zunächst einmal zwei Behauptungen, die bei näherer Betrachtung so apodiktisch kaum Bestand haben dürften.

Nicht absolute, aber angemessene Sicherheit

Wenn Müller mit seinem „wir“ jedenfalls die Gesamtheit der Berliner gemeint hat (und nicht nur seine rot-rot-grünen Senatskollegen), dann muss man ihm entgegenhalten, dass in einer Stadt mit gut 3,5 Millionen Einwohnern sicher auch ein paar dabei sind, die den „Preis“ in Form von Terror-Toten nicht zu zahlen bereit sind. Diese Leute mögen naiv, verblendet oder überängstlich sein; ihre Existenz zu leugnen ist aber, wie man heutzutage so schön sagt, postfaktisch. Ebenfalls mehr als zweifelhaft ist die Feststellung des Regierenden Bürgermeisters, der Terror richte sich „gegen unsere vielfältige und freie Art zu leben“. Es wäre ja auch möglich, dass Terroristen einfach nur deshalb ein Blutbad anrichten wollen, weil sie sich im Krieg wähnen und als IS-Kämpfer Racheakte ausführen.

Der ständige Rekurs auf die „westlichen Werte“, den Politiker jeglicher Couleur nach Terroranschlägen wie dem in Berlin bemühen, wäre demnach eine Nebelkerze. Vernebelt würde damit die mögliche Erkenntnis, dass die bestehende Sicherheitsarchitektur den neuen Herausforderungen durch radikalisierte Einzeltäter schlicht nicht gewachsen ist. Das scheint auch bei Müller überdeutlich zwischen den Zeilen hindurch, indem er „absolute Sicherheit“ gegen „freie Gesellschaften“ ausspielt. Dabei geht es in Wahrheit überhaupt nicht um „absolute Sicherheit“, sondern schlicht und ergreifend um ein angemessenes Sicherheitskonzept.

Freiheit nicht mit laisser faire verwechseln

Was das angeht, erwarten die meisten Bürger völlig zurecht, dass ein Mann wie Anis Amri nicht unter dem Deckmantel von zig Identitäten in der Bundesrepublik umherreisen kann und trotz unzweideutiger Hinweise auf seine Attentatspläne unbehelligt bleibt, bis er einen Lastwagenfahrer erschossen und elf Weihnachtsmarktbesucher mit einem LKW ermordet hat, um hinterher noch durch halb Europa zu fahren. Dass dieser Exzess hätte verhindert werden können, steht inzwischen zweifelsfrei fest. Und die Maßnahmen, die dazu nötig gewesen wären, fallen durchaus nicht in die Kategorie eines verabsolutierten Sicherheitsbedürfnisses. Bürgerfreiheit und Demokratie sind nicht schon deswegen zur Disposition gestellt, nur weil ein erklärter Attentäter in spe in Abschiebegewahrsam genommen wird.

Dass Sicherheit und Freiheit keine unversöhnlichen Antagonisten sind, hat sich inzwischen auch im linken Lager herumgesprochen – zumindest bei denen, die Freiheit nicht mit laisser faire verwechseln und nicht hinter jeder Überwachungskamera das Auge des Orwell’schen Staates vermuten. Ironischerweise ist es aber ausgerechnet die videoüberwachungsfeindliche Berliner Linkspartei, die dieser Tage darauf drängt, einen ehemaligen Stasi-Mitarbeiter in den Rang des Staatssekretär für Bauwesen zu erheben. Wenn die Stasi nämlich für eines stand, dann war das der Wunsch nach absoluter Sicherheit durch absolute Kontrolle. Aber damals ging es eben um den Klassenfeind. Das ist natürlich ein Unterschied.

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