Rassismus - „Ihr Scheiß Schwarzen sollt euch aus unserem Land verpissen“

Sie war mit dabei, als am Samstag Tausende auf dem Alexanderplatz in Berlin gegen Rassismus demonstrierten. Sadia Khalid wuchs als Tochter eines Sudanesen und einer Deutschen in Hamburg auf. Hier erzählt sie, warum sie sich als Schwarze manchmal als Mensch zweiter Klasse fühlt.

„Rassismus steckt in jedem von uns“/ dpa
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Autoreninfo

Sadia Khalid , 25, ist in Hamburg aufgewachsen. Sie studiert Ressourcen Management und Psychologie in Berlin. 

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Im Rahmen der Black-Lives-Matter-Proteste haben am vergangenen Wochenende in Deutschland zehntausende Menschen demonstriert. Viele wollten sich solidarisch mit der afro-amerikanischen Community zu zeigen. Es geht uns aber auch darum aufzuzeigen, dass Rassismus gegenüber schwarzen Menschen nicht nur ein US-amerikanisches Problem ist. Er ist auch hier in der deutschen Gesellschaft und in ihren Institutionen fest verankert.

Er kann brutal sein und aus dem Nichts kommen wie ein in den Rücken gerammtes Messer. Diese Form des Rassismus ist für die meisten sichtbar und am bekanntesten. Als meine Mutter mich im Kinderwagen durch die U-Bahn schob, wurde ihr gesagt: „Sie machen doch für jeden die Beine breit“. Oder: „So jemanden hätten wir früher vergast“. Diesen Rassismus erfahre ich auch an dem Tag, als mich im Supermarkt im Wedding jemand anschreit: „Ihr Scheiß Schwarzen sollt euch aus diesem Land verpissen“ und mir damit droht, mich zu verprügeln.

Das N-Wort 

Ich erlebe ihn auch dadurch, dass mir dann niemand um mich herum zur Hilfe kommt. Mein Bruder erfährt diesen Rassismus bei einem Fußballspiel durch einen Schlag mit einer Bierflasche auf den Kopf samt Beschimpfung mit dem N-Wort. Ich muss mich damit auseinandersetzen, wenn mich Männer als exotisch bezeichnen, mich wegen meines Aussehens sexualisieren und mich im Club fragen, ob meine Genitalien denn anders aussehen würden als die von weißen Frauen.

Rassismus hat aber auch ein anderes Gesicht. Er kann subtil sein und für Außenstehende sogar freundlich wirken. Trotzdem tut er weh wie viele kleine Nadelstiche. Dieser Rassismus ist allgegenwärtig, ich begegne ihm fast jeden Tag. Ich erlebe ihn in Form von Neugierde, wenn fremde Leute ständig meine Haare anfassen wollen, sogar wenn ich ihnen noch nie vorher begegnet bin. Oder wenn mir unbekannte Menschen sagen, ich solle „mich doch nicht so anstellen und sagen, wo ich denn wirklich herkomme“, wenn ich die Frage nach meiner Herkunft zunächst mit Hamburg beantworte.

„Woher kommst du wirklich?“

Wenn ich dann ausnahmsweise mal sage, dass mein Vater aus dem Sudan stammt, folgt „Hab ich‘s doch gewusst, ich kenne jemanden, dessen Freundin stammt aus Barbados und sieht genauso aus wie Sie“. Genauso findet sich Rassismus in scheinbar „freundlichem“ Verhalten wieder. Ich habe zum Beispiel schon oft Komplimente für meine guten Deutschkenntnisse bekommen oder Lob dafür, wie gut ich mich hier in Deutschland integriert habe. Lehrer waren sehr erstaunt, als ich erzählte, dass mein schwarzer Vater studiert hat. Außerdem denken Menschen, sie seien zuvorkommend, wenn sie mich zunächst auf Englisch begrüßen oder mitten in einer Unterhaltung nachfragen, ob ich das Gesagte denn verstehen würde. 

Wenn Menschen so mit mir umgehen, habe ich das Gefühl, dass sie sich nicht vorstellen können, dass ich auch ein Teil dieser Gesellschaft bin. Das macht mich sehr traurig. Die Menschen sehen mich und haben schon ein Bild im Kopf, bevor ich überhaupt meinen Mund geöffnet habe. In solchen Interaktionen muss ich immer erst gegen dieses Bild ankämpfen. Das ist sehr anstrengend. Ich fühle mich auch abgewertet, weil in diesen Momenten meinem Gegenüber die Befriedigung seiner Neugierde und die Bestätigung seines Weltbildes wichtiger scheint als mein Wohlbefinden. 

Schwarze Schauspieler spielen meistens Geflüchtete 

Diese Gefühle von Minderwertigkeit und Nicht-Zugehörigkeit wurden auch durch die Strukturen meines Alltags verstärkt. So spielte ich auf Kindergeburtstagen „Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?“ und malte mit Mitschülern Menschen mit „hautfarbenen“ Stiften. In der Schule gab es keine Bücher mit schwarzen Protagonisten , und im Fernsehen spielten schwarze Menschen meistens Bedürftige oder Geflüchtete. Am Flughafen musste ich mich als einzige von 200 Reisenden am Gate einer weiteren Sicherheitsüberprüfung unterziehen.

Dieses Gefühl der Minderwertigkeit habe ich früher so weit verinnerlicht, dass ich die Eigenschaften selbst abgelehnt habe, wegen derer ich als anders betrachtet wurde. Ich habe in meiner Jugend meine Haare mit Chemie behandelt, um sie zu glätten, und ich wollte mich nicht mehr in der Sonne bräunen, um nicht noch dunkler zu werden. Der Rassismus macht also nicht mal vor denjenigen halt, die er betrifft. Er ist allgegenwärtig, und wir wachsen mit ihm auf. Er steckt in jedem von uns. 

Institutionen müssen Rassismus bekämpfen

Wir arbeiten in Kindertagesstätten, Universitäten und der Justiz, und deshalb kommen in öffentlichen Institutionen zwangsläufig auch rassistische Strukturen vor. Diese Institutionen prägen unser tägliches Leben und haben deshalb eine besondere Verantwortung, Rassismus entschieden entgegenzuwirken.

Dafür muss ein besseres Verständnis für Rassismus und seine verschiedenen Facetten geschaffen werden. Ich teile in diesem Beitrag meine Erfahrungen, aber ich finde, dass diese Beschäftigung auch stattfinden sollte, ohne dass  Betroffene dies anstoßen. Es ist sehr schmerzhaft, über solche Erfahrungen zu sprechen. Zudem empfinde ich es als unangenehm, subtilen Rassismus im privaten Umfeld anzusprechen. Oft verstehen Menschen nicht, wenn ihr Verhalten verletzend ist. Oder sie wollen sich gar nicht mit meiner Kritik auseinandersetzen, weil sie der Rassismusvorwurf kränkt.

Die Polizei muss sensibilisiert werden  

Ich wünsche mir, dass Institutionen das Problem selbst angehen. Wir brauchen verpflichtende Diversity Trainings, besonders bei der Polizei. Hier spielen Unvoreingenommenheit und Neutralität eine sehr wichtige Rolle, weil Polizist*innen sich tagtäglich in sensiblen Situationen mit den Bürger*innen wiederfinden. Deshalb brauchen wir auch eine unabhängige Stelle für Beschwerden gegen Rassismus in der Polizei.

Für gesellschaftliche Veränderungen spielt die Ausbildung junger Menschen eine besondere Rolle. Wir brauchen einen Lehrkanon, der die gesellschaftliche Diversität in Deutschland widerspiegelt. Und wir brauchen einen Geschichtsunterricht, der sich intensiv mit der deutschen und europäischen Kolonialgeschichte und ihren heutigen Spuren in unserer Gesellschaft auseinandersetzt

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