Polizeigewerkschafter über Koalitionspläne - „Die CDU ist umgekippt“

Im letzten Jahr liefen die Südwest-CDU und Innenminister Thomas Strobl Sturm gegen das Berliner Antidiskriminierungsgesetz. Nach den Plänen der neuen grün-schwarzen Koalition soll es ein solches Gesetz jetzt auch in Baden-Württemberg geben. Die Polizisten im Ländle laufen Sturm dagegen - Polizeigewerkschafter Hans-Jürgen Kirstein erklärt, warum.

Baden-Württembergs CDU-Chef Thomas Strobl, hier 2019 als Innenminister zu Gast in Heidelberg / dpa
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Autoreninfo

Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Hans-Jürgen Kirstein ist Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Baden-Württemberg e.V. und vertritt etwa 15.000 Mitglieder.

Herr Kirstein, in Baden-Württemberg nähern sich die grün-schwarzen Koalitionsverhandlungen dem Ende. Es zeichnet sich ab, dass eine anonyme Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte und ein Antidiskriminierungsgesetz eingeführt wird. Was halten die Polizisten im Ländle davon?

Die Polizisten und meine Mitglieder von der Gewerkschaft der Polizei signalisieren ganz klar, dass sie das nicht begrüßen und als ein Misstrauen gegenüber ihrer Tätigkeit empfinden. Damit verspielt man Vertrauen: Im letzten Jahr hat unser Innenminister Thomas Strobl, damals in der gleichen grün-schwarzen Koalition, genau das nicht gemacht. Und jetzt führen sie es ein. Das verschreckt viele Kollegen. Wenn der Gesetzesentwurf vorliegt, werden wir mit aller Macht dagegen vorgehen.

Warum verschreckt das die Polizisten?

Hans-Jürgen Kirstein, GdP-Vorsitzender in Baden-Württemberg

Das Antidiskriminierungsgesetz beinhaltet eine Beweislastumkehr. Das erschwert die tägliche Arbeit. Nicht nur die Arbeit der Polizei, sondern auch die Arbeit der gesamten Landesbeamtenschaft. Wenn jetzt einer sagt: Ich bin kontrolliert worden, weil dem Beamten meine Hautfarbe nicht gefällt, dann muss der Beamte belegen, dass das nicht der Fall ist. Oder nehmen wir den Mitarbeiter im Sozialamt: Der stellt einen Bescheid aus, dass Wohngeld nicht genehmigt wird. Jetzt sagt der Antragsteller: Das war nur, weil ich migrantischen Hintergrund habe. Dann muss der Beamte das doppelt begründen: einmal rechtlich, und dann noch, dass es nicht aus rassistischer Motivation geschehen ist. Aus Koalitionskreisen habe ich gehört: Niemand soll diskriminiert werden. Dann aber bitte auch nicht die Beamten.

Nun sagt aber der CDU-Generalsekretär Manuel Hagel: „Es wird keine Beweislastumkehr geben.“

Da könnte ich antworten: Wer ist Manuel Hagel? Es zählt, was nachher im Gesetz steht. Leider Gottes ist uns in diesen Bereichen schon viel versprochen wurde – und dann kam es doch anders. Im letzten Jahr wurde uns auch versprochen, wir würden nach der Einführung des Antidiskrimierungsgesetzes in Berlin keine Beamten mehr in die Hauptstadt schicken. Dann kam es anders.

Welche Rückmeldungen bekommen Sie denn von Kollegen aus Berlin seit der Einführung dieses Gesetzes? Erschwert es tatsächlich die tägliche Arbeit?

Es hat sich ausgewirkt. Einige Kollegen führen bestimmte Kontrollen nicht mehr durch, weil sie wissen, dass ihnen per se vorgeworfen wird, das sei nur wegen der Hautfarbe oder sonstigem Aussehen passiert. Das müssten sie dann doppelt belegen. Um sich dem nicht auszusetzen, macht man einfach gar nichts. Das ist aber nicht zielführend. Hier in Baden-Württemberg kenne ich keinen Fall, bei dem es nicht behandelt wurde, wenn sich ein Beamter falsch verhalten hat. Es gibt keine Notwendigkeit für dieses Gesetz. Wir haben hier seit der letzten Legislaturperiode eine Bürgerbeauftragte, bei der sich jeder Bürger beschweren kann, wenn er sich falsch behandelt fühlt. Wenn man ihren Bericht liest, erkennt man übrigens, dass die Hauptproblematik überhaupt nicht bei der Polizei liegt.

Sprechen wir über die anonyme Identifizierungspflicht. Was ist dagegen einzuwenden, dass bei Demonstrationen Polizeikräfte zweifelsfrei über eine erkennbare Nummer identifiziert werden können?

Die Frage lautet: Besteht eine Notwendigkeit dafür? Wir sind in geschlossenen Einheiten bis in die Gruppenstärke hinein schon gekennzeichnet. Das sind neun Leute plus die Führungskraft. Und der kennt seine Leute doch. Wir haben in den letzten Jahren keinen einzigen Fall, der nicht ermittelt wurde. Deshalb: Wozu brauchen wir noch mehr Verwaltungsaufwand, noch mehr Kontrolle? Das ist immer ein Ausdruck des Misstrauens. Wir reden immer von Wertschätzung und Respekt, und trotzdem gibt es immer wieder Maßnahmen, aus denen das Gegenteil spricht. Im täglichen Dienst tragen so viele freiwillig ihre persönliche Namenskennung. Warum muss ich eine Pflicht daraus machen?

Medien berichten über eine Videokonferenz, in der der CDU-Abgeordnete Siegfried Lorek, der zum Verhandlungsteam gehört, Baden-Württembergs Polizeigewerkschaften aufforderte, kein „großes Ding aus der Sache zu machen“, um die Koalitionsverhandlungen nicht zu torpedieren. War das ein Maulkorb für die Gewerkschaften?

Ich habe das nicht so empfunden. Herr Lorek hat uns erklärt, dass diese beiden Themen Teil des Koalitionsvertrags seien und uns darum gebeten, dagegen nicht aus allen Waffen zu schießen, weil sonst die Grünen vielleicht bei anderen Themen verschnupft reagieren könnten. Ich habe ihm klargemacht, dass man bei der Kennzeichnungspflicht Gespräche führen müsste, aber dass ich beim Antidiskriminierungsgesetz aufgrund der Stimmung in meiner Mitgliederschaft nicht stillhalten kann.

Sprechen wir noch einmal über den CDU-Landesvorsitzenden Thomas Strobl. Der lief als Innenminister im letzten Jahr Sturm gegen das Berliner Antidiskriminierungsgesetz. Nun ist er Teil der Koalitionsgespräche mit den Grünen – und scheint die Kröte zu schlucken, um Innenminister bleiben zu können. Wie bewerten Sie sein Verhalten?

In dem Punkt sind wir massiv enttäuscht. Letztes Jahr hat er mit uns Gewerkschaften zusammen klar Position dazu bezogen und gesagt: Das wird es mit uns nicht geben. Als ich das dann im Sondierungspapier gelesen habe, bin ich natürlich vom Hocker gefallen. Ich habe seitdem versucht, ihn telefonisch zu erreichen. Das ist mir aber nicht gelungen. Was zu diesem Meinungsumschwung geführt hat, ist für uns nicht erklärbar.

Ihr Kollege von der DpolG, Ralf Kusterer, hat geschrieben, Parteien würden „um die Gunst der Regierungsbeteiligung buhlen wie Prostituierte auf dem Straßenstrich“ und Werte der Parteien „auf dem Schmuddeltisch preisgegeben und verraten.“ Was halten Sie von dieser Wortwahl?

Das ist ein Niveau und ein Tonfall, der nicht in Ordnung ist. Aber inhaltlich spiegelt es eben den Gedanken wider, dass die CDU bei diesem Thema umgekippt ist, um überhaupt in die Koalitionsverhandlungen zu kommen. SPD und FDP hatten sich klar gegen ein solches Antidiskriminierungsgesetz positioniert. Im übrigen ist es ein Entgegenkommen gegenüber den jungen Grünen: Die Vorgängerregierung hatte ein solches Gesetz nicht auf dem Plan, deshalb waren wir ja so überrascht. Das Thema ist in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ins Sondierungspapier gekommen, ohne vorher mit uns zu sprechen.

Glauben Sie, dass bei der nächsten Wahl im Ländle noch irgendein Polizist die CDU wählen wird, wenn diese beiden Gesetze erlassen werden?

Bis zur nächsten Landtagswahl könnte sich der ein oder andere Kollege wieder beruhigt haben. Aber das Thema wird zweifellos Auswirkungen auf die Bundestagswahl im Herbst haben. Ich habe so viele Zuschriften bekommen mit der Bitte, mich gegen dieses Gesetz zu stellen – das zeigt mir klar: Unsere Mitglieder erwarten, dass wir da klare Kante zeigen.

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