Polizeigewerkschaft kritisiert Berlins grünen Justizsenator - „Das Antidiskriminierungsgesetz diskriminiert unsere Kollegen“

Nach dem neuen Berliner Antidiskriminierungsgesetz können Bürger das Land auf Schadensersatz verklagen, wenn sie sich von Behörden diskriminiert fühlen. Dagegen rührt sich bundesweit Protest. Die Polizei fühlt sich unter Generalverdacht gestellt.

Personenkontrollen im Görlitzer Park könnten für die Polizei kritisch werden / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Benjamin Jendro ist Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin. 

Herr Jendro, nach dem neuen Antidiskriminierungsgesetz sollen Bürger gegen Diskriminerung durch Behörden klagen können. Dagegen regt sich bundesweit Protest. Bei der Polizei heißt es, die Polizisten würden zu „Freiwild“. Was beanstanden Sie?

Wir haben diese Worte nicht gewählt, denn unsere Kollegen bleiben unabhängig von politischer Entscheidungen immer noch Menschen. Aus unserer Sicht ist das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) gar nicht notwendig. Wir haben ja schon das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz auf Bundesebene. In unserem Rechtsstaat gibt es für alle Menschen die Möglichkeit, polizeiliche Maßnahmen auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen und bei Vergehen Schadensersatz einzuklagen. Rot-Rot-Grün hat jetzt ermöglicht, dass man diesen auch von der öffentlichen Stelle, dem Land Berlin erwirken kann.

Müssen Berliner Polizisten jetzt damit rechnen, dass sie nach einer Personenkontrolle von Drogendealern im Görlitzer Park verklagt werden, weil die im Zweifelsfall behaupten können, sie seien nur wegen ihrer Hautfarbe kontrolliert worden?
Wenn wir ehrlich sind, ist das jetzt schon so, es wird ihnen mit dem LADG aber vereinfacht, und jetzt sind nicht mehr sie in der Pflicht, das zu beweisen. Auch jetzt schon steht Bürgern das Recht zu, jede polizeiliche Maßnahme zu hinterfragen. Selbstverständlich gibt es auch jetzt schon den vielfach unberechtigten Vorwurf, dass Leute nur kontrolliert wurden, weil sie eine bestimmte Hautfarbe oder eine bestimmte sexuelle Orientierung haben. 

Gab es in solchen Fällen schon Klagen? 
Es gab Fälle bei der Bundespolizei, gegen deren Maßnahmen ein Student 2012 geklagt hat. Er hat am Ende Recht bekommen. Wir behaupten auch nicht, dass alle Mitarbeitenden des Öffentlichen Dienstes frei von jeglicher Diskriminierung agieren, das wäre vermessen. Aber diese werden konsequent verfolgt, die Vielzahl der Vorwürfe löst sich aber meist in Luft auf. Die Anzahl der Anzeigen wird sich durch das LADG erhöhen, und das hat eben bereits Auswirkungen auf die Kollegen, ohne dass sie schuldig sein müssen. Dafür bedarf es keiner Personenkontrolle im Görlitzer Park. Das kann auch bei jeder Verkehrskontrolle passieren. Oder denken Sie an die Kollegen der Ordnungsämter, die Falschparker registrieren!

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Sie kritisieren, die Beweislast habe sich umgekehrt. Sie liege jetzt bei der Polizei. Dagegen spricht Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) von einer Beweiserleichterung. Ist das nicht ein großer Unterschied? 
Er ist Jurist, andere Juristen schätzen das anders ein. Für uns ist der Paragraph 7 eindeutig: Es geht um eine „Glaubhaftmachung“, das ist kein Beweis. Man muss nur zu 51 Prozent zu dem Schluss kommen, dass eine Diskriminierung vorliegen könnte. In unserem Rechtsstaat gilt jeder als unschuldig, dessen Schuld nicht bewiesen wurde. Mit dem LADG ist das jetzt anders. Rot-Rot-Grün feiert sich für ein Stück Rechtsgeschichte. Das ist es tatsächlich – es ist die Abkehr von der Unschuldsvermutung.

Das neue Gesetz senkt die Hemmschwelle zu klagen?
Definitiv. Stellen Sie sich vor, Attila Hildmann behauptet, er sei bei einer Hygiene-Demo nur von Polizisten weggetragen worden, weil er türkisch aussehe! Wird spannend zu sehen, ob das wirklich jedes Gericht anders sieht.

Benjamin Jendro / privat 

Wie oft ist es denn in der Vergangenheit vorgekommen, dass sich Menschen über den Umgang mit der Polizei beschwert oder sogar Anzeige erstattet haben?
Wir führen darüber keine Statistik. Aber falsche Anschuldigungen gibt es jetzt schon. Wenn Sie eine Festnahme am Kottbusser Tor haben, kann es passieren, dass die Beamten hinterher eine Anzeige wegen Körperverletzung im Dienst bekommen. Nicht nur der, der körperliche Gewalt anwenden musste, sondern auch all seine Kollegen, die dabei waren. Wir fürchten, dass das Land Berlin die Kollegen nach dem neuen Gesetz haftbar macht und sich den Schadensersatz von ihnen zurückholt.

Wäre das nicht mehr als gerecht, sofern der Vorwurf stimmt?
Wenn die Schuld eines Menschen bewiesen ist, dann hat er eine Tat begangen und sollte dafür die Verantwortung tragen, auch kostentechnisch. Was wir nicht gerecht finden, ist die Tatsache, dass dann Kollegen zur Kasse gebeten werden und bei Beförderungsmaßnahmen außen vor sind, weil glaubhaft gemacht wurde, dass sie eventuell diskriminierend gehandelt haben oder nur der Verdacht besteht. Wir sind gespannt, wie der jetzige Innensenator verhindern will, dass das in den nächsten Jahren passiert.

Was bedeutet es für einen Kollegen, der der Diskriminierung beschuldigt wird?
Bisher muss er sich gegenüber der Beschwerdestelle und nicht selten gegenüber seinem Vorgesetzten schriftlich rechtfertigen. Je nach Fall werden vielleicht auch noch Kollegen zu Rate gezogen. Besteht ein Verdacht, entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob sie das weiterverfolgt. Das kann auch mal in einer Verhandlung enden. Normalerweise steht das Aussage gegen Aussage, jetzt ist die des Beschuldigten weniger wert.

Der Justizsenator will auf diese Weise eine Lücke schließen: Die Bürger sollen das Land auf Schadensersatz verklagen können. 
Aber über wie viele Fälle reden wir denn hier, in denen das bisher nicht möglich gewesen sein soll? Diese Zahl konnte uns Herr Behrendt bis heute nicht nennen. Er setzt aber ein Signal. Das Gesetz drückt Misstrauen gegenüber dem kompletten Öffentlichen Dienst aus. Da muss man sich schon fragen, ob es das wert ist? 

Diskriminiert der Senat mit dem Antidiskriminierungsgesetz die Polizei?
Nicht nur die Polizei, es stellt den gesamten öffentlichen Dienst unter Generalverdacht. 

Welches Menschenbild liegt dem neuen Gesetz zugrunde?
Dass sollte man den Justizsenator fragen. Der hat schon häufiger getwittert, dass es ihn stört, wenn uniformierte Polizisten im Abgeordnetenhaus sind. Natürlich gibt es unter 26.000 Kollegen bei der Polizei auch welche, die da nicht hingehören. Aber in den vergangenen Jahren ist gerade in Berlin deutlich geworden, dass man sich von denen trennt, die nicht zu den Werten unserer Bürgerpolizei stehen.

Der Justizsenator möchte mit dem Gesetz eine „Wertschätzungskultur“ schaffen.
Was immer er damit meint! Der öffentliche Dienst spürt gerade keine Wertschätzung vom Justizsenator und auch nicht von den drei Regierungsfraktionen.

Die Berliner Polizisten werden von ihren Kollegen im Rest der Republik nicht um ihren Job beneidet. Was läuft hier grundsätzlich anders als in anderen Bundesländern?
Es gibt ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber der Arbeit der Polizei. Das mag in Berlin historisch bedingt sein oder an den politischen Playern liegen. Wenn Polizeieinsätze im Innenausschuss thematisiert werden, sollte man sich mal die Fragestellung ansehen. Wenn alles immer mit vorverurteilenden Floskeln wie „Fehler bei Polizeieinsatz?“ oder „rechtswidriges Verhalten“ beginnt, dann macht es auch etwas mit den Kollegen.

Was denn? 
Die Politiker entscheiden über die Musik, nach der die Kollegen tanzen, und am Ende lassen sie einen für den Papierkorb arbeiten. Dabei ist gerade die Berliner Polizei besonders bürgerfreundlich.

Unterstützung bekommt die Berliner Polizei vom Innenminister Horst Seehofer. Der sagt, das Gesetz sei im Grunde genommen „ein Wahnsinn“. Spielt da auch der politische Interessengegensatz zu Rot-Rot-Grün eine Rolle?
Das kann sein. Wir haben in den vergangenen Wochen aber auch viel mit anderen Landesbezirken der Gewerkschaft der Polizei (GdP) gesprochen. Wir haben einen Brief geschrieben ans Berliner Abgeordnetenhaus, den alle Landeschefs unterschrieben haben. Berlins Senat wäre gut beraten gewesen, sich vorher mit den Innenministern der anderen Länder auszutauschen. Es ist nicht so, dass man in der Hauptstadt die Weisheit mit Löffeln gefressen hätte.

Warum ist das Gesetz auch für den Rest der Republik relevant?
Es ist so, dass wir in Berlin 5.000 Großveranstaltungen und Demonstrationen im Jahr haben. Nicht nur am 1. Mai ist die Stadt auf Polizisten von Bund und Ländern angewiesen. Man hat gemeinsame Einsätze. Wenn die anderen Länder jetzt keine Kollegen mehr herschicken, weil sie Angst haben, mit unberechtigten Diskriminierungsvorwürfen rechnen zu müssen, sollte man das nicht ignorieren. 

Die FDP plant eine verfassungsrechtliche Prüfung. Ihre Prognose: ist das Gesetz wasserdicht?
Es ist erstmal schön, dass es eine Partei überprüfen lässt, denn: Wo kein Kläger, da auch kein Richter. Aber eine Prognose abzugeben wäre reine Spekulation. Aus unserer Sicht ist das Landesgesetz nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Es verstößt gegen das Gleichbehandlungsgebot und hebelt die Unschuldsvermutung aus. Es diskriminiert unsere Kollegen.

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