Umgang mit Polizeigewalt - Eine Frage der Rechtsstaatlichkeit

Spätestens seit dem Tod von George Floyd wird auch in Deutschland heftig über Verhältnis- und Rechtmäßigkeit brutaler Polizeieinsätze gestritten. Polizeigewalt einzudämmen, ist jedoch kein Projekt der Linken, sondern eine Frage der Rechtsstaatlichkeit, findet Timon Dzienus.

Weltweit gehen Menschen gegen Polizeigewalt auf die Straße - auch in Deutschland / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Timon Dzienus ist Mitglied im Bundesvorstand der Grünen Jugend. Er organisierte mit dem Bündnis #noNPOG die Proteste gegen die Verschärfung des niedersächsischen Polizeigesetzes und studiert in Hannover Politikwissenschaft im Master.

So erreichen Sie Timon Dzienus:

Anzeige

In Düsseldorf wird ein Teenager festgehalten, indem Beamte auf seinem Nacken und Kopf knien. In Hamburg wird ein Minderjähriger von einem Dutzend Einsatzkräften zu Boden gerungen. In Frankfurt tritt ein Polizist einen am Boden liegenden Menschen – gegen den Kopf. Diese Bilder brutaler Polizeigewalt kursieren aktuell im Netz. Auch etliche weitere Fälle, etwa aus Ingelheim, Hannover und Dresden sorgen seit Tagen für Diskussionen und Empörung.

Diese Gewalt ist nicht zu rechtfertigen und für die Betroffenen schmerzhaft und traumatisch. Doch sie führen auch zu einem massiven Vertrauensverlust in die Polizei. Nicht nur die Vorfälle selbst, sondern auch eine mit falscher Vorsicht geführte Debatte und die geringe Verurteilungsquote von Fällen der Polizeigewalt schaden dem Ansehen der Polizei. Dies zu ändern ist keine linksradikale Idee aus “Wolkenkukusheim”, sondern eine rechtsstaatliche Notwendigkeit.

Geringe Aufklärungsquoten bei Polizeigewalt

Laut einer Studie von Prof. Dr.Tobias Singelnstein von der Ruhr-Universität-Bochum werden ca. 97% der Anzeigen wegen Polizeigewalt direkt eingestellt. Die Verurteilungsquote liegt bei unter 1%. Diese geringen Aussichten auf einen Erfolg der Anzeige und die polizeiliche Praxis, in solchen Fällen oft mit Gegenanzeigen zu reagieren, hält neun von zehn von Polizeigewalt Betroffene davon ab, überhaupt erst eine Anzeige zu erstatten. Singelnstein geht daher von 12.000 Fällen illegitimer Polizeigewalt aus - pro Jahr!

Diese Zahlen belegen: Von Einzelfällen kann keine Rede sein. Dennoch wird in der Debatte über polizeiliches Fehlverhalten gerne versucht, von den geschilderten Problemen abzulenken. Häufig wird ein kritischer Blick auf polizeiliches Fehlverhalten direkt als unzulässiger “Generalverdacht” gegen die Polizei diffamiert. Doch ein kritisches Hinterfragen von polizeilichem Fehlverhalten ist kein Angriff auf die Polizei, sondern eine demokratische Selbstverständlichkeit.

Eine Frage der Rechtsstaatlichkeit

Ein Rechtsstaat grenzt sich von autoritären Staaten durch eine umfassende Kontrolle des staatlichen Gewaltmonopols ab und ist Garant für den Schutz individueller Freiheitsrechte. Dies meint im Besonderen, auch Individuen vor staatlicher Willkür und unverhältnismäßiger Gewalt zu schützen. Daher gehört eine kritische Aufarbeitung von polizeilichem Fehlverhalten zur Kontrolle des staatlichen Gewaltmonopols dazu. Schließlich ist die Polizei als sichtbarer Arm dieses Gewaltmonopols in besonderem Maße an demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze gebunden.

Denn: Weitreichendere Befugnisse bedürfen immer weitreichender Kontrolle. Oder anders gesagt: Je größer die Befugnisse einer Behörde sind, desto engmaschiger muss die Kontrolle dieser organisiert sein – und Verfehlungen entsprechend geahndet werden. Gerade dort, wo der Staat Gewalt anwendet, müssen rechtsstaatliche Grundsätze unbedingt eingehalten werden. Es liegt auch im Interesse der Polizisten selbst, „schwarze Schafe“ aus den eigenen Reihen zu verbannen und eine Debatte darüber zu führen, wie man die Arbeit der Polizei verbessern kann. 

Polizei grundrechtsfreundlich reformieren!

Als Grüne Jugend haben wir dazu erst kürzlich ein umfassendes Positionspapier herausgegeben, wie wir die Polizei besser und rechtsstaatlicher aufstellen können. Aus den genannten Gründen und Problemen bedarf es daher unverzüglich unabhängiger Ermittlungsinstanzen und Schwerpunktstaatsanwaltschaften, um in Fällen der Polizeigewalt effektiv ermitteln zu können. In England und Dänemark gibt es solche Strukturen schon lange - mit guten Ergebnissen für den Rechtsstaat, Bürger und für die Polizei selbst!

Ebenso fordern wir eine anonymisierte Kennzeichnungspflicht für alle Einheiten. Denn Polizeigewalt kann nur aufgeklärt werden, wenn jene identifiziert werden können, die sich falsch verhalten. Eine solche Kennzeichnungspflicht muss genauso selbstverständlich sein, wie die Kennzeichenpflicht für Autos! 

Und um Racial-Profiling vorzubeugen, schließen wir uns den Forderungen von migrantischen Organisationen an, ein Ticket-System bei Polizeikontrollen einzuführen. Jede Person, die von der Polizei kontrolliert wird, erhält danach ein Ticket, bei dem Ort, Zeit, Datum, Grund und Umfang der Kontrolle festgehalten werden. So könnten von Racial-Profiling Betroffene übermäßige Kontrollen nachweisen. Der Mehraufwand für die Polizei bleibt marginal, während ein wichtiger Beitrag geleistet werden kann, Racial-Profiling endlich zu beenden.

Studien über Polizeigewalt sind unerlässlich

Um die Arbeit der Polizei laufend evaluieren und verbessern zu können, braucht es eine solide wissenschaftliche Begleitung. Es müssen mehr belastbare Zahlen über Polizeigewalt erhoben werden. So können Debatten versachlicht und zielgenaue Maßnahmen getroffen werden. Im gefährlichen Gegensatz dazu agiert Innenminister Seehofer: Dieser verhinderte jüngst eine derartige Studie mit der absurden Begründung, Polizeigewalt sei verboten. Dies zeugt nicht nur von einem problematischen Wissenschaftsverständnis, sondern schlichtweg von Realitätsverweigerung. 

Die berechtigte Empörung über Polizeigewalt reicht nicht. Wir müssen diese Debatte über Missstände nutzen, um konkrete Vorschläge zu diskutieren, wie es besser laufen kann. Dies muss im Interesse aller liegen – auch der Polizei. Höchste Zeit, diese überfällige Debatte zu führen!

Junge Menschen interessieren sich nicht für Politik, sagen die einen. Die Politik interessiert sich nicht für die jungen Menschen und ihre Anliegen, sagen die anderen. Tatsache ist: Politik wird mehrheitlich von älteren Leuten gemacht und zunehmend auch für ältere Leute, denn die bilden den größten Anteil der Wähler. Mit unserer Serie „Junge Stimmen“ wollen wir darum auch jenen Gehör verschaffen, die schließlich auch unsere Zukunft sind.

Anzeige