Paritätsgesetz: Pro - Auf dem Weg zur gleichberechtigten demokratischen Teilhabe

Der Frauenanteil in den deutschen Parlamenten liegt bei circa 30 Prozent. Zu wenig, findet Silke Laskwoski, Professorin für öffentliches Recht. Das gerade in Brandenburg verabschiedete Paritätsgesetz könne da Abhilfe leisten. Es ermögliche einen „gleichberechtigten Blick“ in die Politik

Das Paritätsgesetz hilft, mehr Frauen in das Parlament zu bringen / picture alliance
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Autoreninfo

Prof. Dr. Silke Ruth Laskowski hält an der Universität Kassel die Professur für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht mit Schwerpunkt Umweltrecht inne. Sie hat am Brandenburger Paritätsgesetz als Sachverständige mitgewirkt.

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Dieser Debattenbeitrag befürwortet das Paritätsgesetz in Brandenburg. Den Contra-Beitrag von Otto Depenheuer finden Sie hier.

Welch ein Wirbel. Im Januar 2019 beschloss Brandenburg das erste Paritätsgesetz Deutschlands, das 11. in der EU. Worum geht es? Das Gesetz verpflichtet alle Parteien, die an der Landtagswahl 2024 teilnehmen wollen, zur Aufstellung paritätischer Kandidatenlisten – also abwechselnd Frau-Mann oder umgekehrt. Damit reagiert das Gesetz auf einen anhaltenden demokratischen Missstand. 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts, mit dem Frauen als Hälfte des Volkes und Souveräns sichtbar wurden, fehlt es in Deutschland immer noch an ihrer gleichberechtigten demokratischen Teilhabe. Nur 30,9 Prozent der Bundestagsabgeordneten sind Frauen, aber 51,5 Prozent des wahlberechtigten Volkes. In den 16 Landtagen sieht es ähnlich aus: der Frauenanteil liegt bei circa 30 Prozent. Der Trend ist rückläufig. Auch im Potsdamer Landtag sind Frauen seit 1990 unterrepräsentiert. Sind die Frauen selbst schuld? Nein, es liegt an den Parteistrukturen.

Die Statistik zeigt: Frauen werden in den parteiinternen Nominierungsverfahren ohne paritätische Steuerung seltener nominiert als Männer. Beispiel Bundestagswahl 2017: Unter 4.828 Kandidaten waren es nur 29 Prozent Frauen. Ihr Anteil an den Direktkandidaturen lag sogar nur bei 25 Prozent. Anfällig sind vor allem „traditionelle“ Parteien, die von Männern dominiert werden – so die CSU, CDU und FDP. Seit Jahren sind hier faktische Männerquoten von mehr als 80 Prozent erkennbar. Die AfD reiht sich ein. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) spricht von der „strukturellen Benachteiligung von Frauen in der Politik“ (2015, 2 BvR 3058/1). 

Faktische „Männerquoten“

Paritätische Wahlrechtsregelungen erweitern die Entscheidungsfreiheit des Volkes, das bedeutet die in Artikel 38 I GG geregelte „Freiheit der Wahl“. Bisher wurde die durch faktische „Männerquoten“ stark eingeschränkt. Das Wahlvolk musste ganz überwiegend Männer wählen, weil Frauen nicht zur Wahl standen. Paritätsregelungen erweitern die Entscheidungsfreiheit parteiübergreifend auf eine gleichmäßige Zahl von Kandidatinnen und Kandidaten. 

Das Brandenburger Paritätsgesetz setzt hier an. Es dient der Durchsetzung der Chancengleichheit von Kandidatinnen und Kandidaten aller Parteien in Bezug auf Kandidatenlisten. Es fehlt jedoch noch eine Regelung für Direktmandate (Wahlkreise). Eine entsprechende Regelung (Nominierung von Wahlkreisduos: Kandidatin und Kandidat), die im Gesetzentwurf der Grünen enthalten war, wurde leider im rot-rot-grünen Paritätsgesetz nicht aufgegriffen.

In den Statuten der Parteien Bündnis 90/Grüne, Die Linke und SPD finden sich bereits paritätische Regelungen für die Nominierung von Kandidatenlisten. Diesen drei Parteien ist es zu verdanken, dass der Anteil weiblicher Abgeordneter im Bundestag seit 1998 immerhin 30 Prozent beträgt. Diese (freiwilligen) Satzungsregelungen reichen jedoch nicht aus, um das Wahlvolk – Bürgerinnen und Bürger – mit seinen gesellschaftspolitischen Perspektiven und Interessen angemessen in den Parlamenten zu repräsentieren  und „zu spiegeln“.

Ein „gleichberechtigter Blick“ auf die Politik?

Dies erfordert aber das Demokratiegebot in Artikel 20, um eine effektive Einflussnahme von Wählerinnen und Wählern  zu sichern. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2017 im „NPD-Urteil“ deutlich gemacht: „Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk.“ 

Bestehen Parlamente überwiegend aus männlichen Abgeordneten, überwiegt der „männliche Blick“. Immer wieder trifft der Gesetzgeber in dieser Besetzung Regelungen zu Lasten von Frauen, die später wegen „mittelbarer Diskriminierung“ vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt werden. Daran wird sich erst etwas ändern, wenn der „männliche Blick“ durch einen ebenso starken „weiblichen Blick“ ergänzt wird. Erst dann bestimmt ein „gleichberechtigter Blick“ die Politik.

Das Paritätsgesetz steht im Einklang mit dem Grundgesetz. Die Gegner übersehen gern: Weder die Parteienfreiheit in Artikel 21 GG noch die Wahlrechtsgrundsätze in Artikel 38 GG unterliegen einem absoluten Eingriffs- beziehungsweise Differenzierungsverbot. Es kommt letztlich auf die Rechtfertigung des Eingriffs an. Entscheidend ist eine Interessenabwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung beziehungsweise eine Abwägung kollidierender Verfassungsgüter. Laut Bundesverfassungsgereicht (BVerfG) müssen die Gründe vorliegen, „die durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sind, das der Wahlrechtsgleichheit die Waage halten kann“. Dazu zählt etwa „die Sicherung des Charakters der Wahl als eines Integrationsvorgangs bei der politischen Willensbildung des Volkes“ (2014, Az. 2 BvE 2/13). 

Transmitter zwischen Wahlvolk und Parlament

Die Geeignetheit gesetzlich verpflichtender paritätischer Kandidatenlisten oder auch Wahlkreisduos zur Herstellung der Chancengleichheit sowie ihre Erforderlichkeit stehen außer Frage. Sie sind auch verhältnismäßig, denn Paritätsregelungen beenden einen langjährigen Verfassungsverstoß. Sie sichern die Chancengleichheit von Kandidatinnen und den Anspruch auf gleichberechtigte demokratische Teilhabe und effektive Einflussnahme der Bürgerinnen. 

Parteien dienen der Demokratie, sie erfüllen keinen Selbstzweck. Der Eingriff in die Parteienfreiheit zur Kandidatenbestimmung wird gerechtfertigt durch den staatlichen Gleichstellungsdurchsetzungsauftrag in Artikel 3 Absatz 2 GG. Hinzu tritt das Demokratieprinzip. In der parlamentarischen Demokratie fungieren Parteien als Transmitter zwischen dem Wahlvolk und dem zu wählenden Parlament. Die Parteienfreiheit dient letztlich der Durchsetzung des Anspruchs der Bürgerinnen und Bürger auf gleiche Teilhabe an der demokratischen Selbstbestimmung. Daher müssen Parteiorganisation und -struktur so ausgestaltet sein, dass die wirksame Einflussnahme beider Bevölkerungshälften („Souverän“) durch die repräsentative Spiegelung ihrer gesellschaftspolitischen Ansichten über die Parteien im Parlament auch tatsächlich möglich ist. Erst dadurch wird die freie Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger in gleichberechtigter Weise gesichert. 

Parteien unattraktiv für Frauen

Nicht entscheidend ist der Frauen- oder Männeranteil einer Partei. Entscheidend ist allein der jeweils hälftige Anteil der Bürgerinnen und Bürger am Wahlvolk. Das Recht auf gleichberechtigte demokratische Teilhabe, das die Parteien sichern müssen, muss sich niemand durch eine Mitgliedschaft in einer Partei „erkaufen“. Im Übrigen stehen allen Parteien ausreichend Frauen zur Verfügung – sonst müssten sie aktiv nach Kandidatinnen suchen, um ihre Aufgabe erfüllen zu können. Der geringere Frauenanteil unter den Mitgliedern der Parteien wirft aber die Frage auf, warum Parteien heute so unattraktiv sind für Frauen. Dass es auch an den Strukturen liegt, liegt nahe.

Schließlich noch zum verfassungsrechtlichen Gebot staatlicher Neutralität – es wird nicht tangiert. Denn die paritätischen Regelungen nehmen keinen Einfluss auf den politischen Inhalt einer Partei. Die parteipolitische Ausrichtung bleibt, wie sie ist – wirtschaftsliberal, sozial, links, rechts, wie auch immer. Paritätisch nominierte Männer und Frauen sind und bleiben Angehörige der jeweiligen Parteien (Parteiprogramm).

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