Streit um Reform des Paragraphen 219 - „Ein Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche ist eine Verhöhnung der betroffenen Frauen“

Im Streit um die Abschaffung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche hat die Große Koalition einen Kompromiss gefunden. Die Regierung soll jetzt ausformulieren, wann Werbung Werbung ist. Der SPD-Abgeordnete Florian Post hat einen ganz anderen Vorschlag

Droht die Große Koalition an dem Streit um den Paragraphen 219a zu platzen? / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

So erreichen Sie Antje Hildebrandt:

Anzeige

Florian Post, 37, sitzt seit 2013 für die SPD im Bundestag. Die Schwerpunkte des Bayern sind soziale Finanz- und Steuerpolitik.

Herr Post, sie sind dafür, das Werbeverbot für Abtreibungen abzuschaffen. Darüber ist in der Großen Koalition ein Streit entbrannt. Gestern wurde bekannt, dass SPD und Union einen Kompromiss gefunden haben.  Danach will die Bundesregierung das Werbeverbot zwar beibehalten. Sie soll aber genau ausformulieren, dass und wie Ärzte und Krankenhäuser über das Angebot für Schwangerschaftsabbrüche informieren können. Sind sie damit zufrieden?
Der genaue Wortlaut des Gesetzes ist mir noch nicht bekannt. Maßgeblich für mich ist, ob Ärztinnen wie die verurteilte Frauenärztin Kristina  Hänel ihre alten Homepages ohne die Gefahr einer Verurteilung wegen unerlaubter Werbung wieder verwenden können. Frau Hänel hatte die Reform in Gang gebracht, weil sie auf ihrer Homepage darauf hingewiesen hatte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche anbietet. Ist die Antwort hierauf ein Nein, lehne ich für mich diesen Vorschlag ab. Eine bloße Verlinkung auf beispielsweise behördliche Internetseiten ist nicht ausreichend und wäre nichts anderes als der ursprüngliche Vorschlag der CDU/CSU. Ich hoffe aber, dass mir diese Fragen im Laufe des heutigen Tages noch beantwortet werden können.

Bisher sieht der Paragraph 2019 a aber dieses Werbeverbot vor. Wollen Sie, dass es ganz abgeschafft wird?
Ich will den Paragraphen nicht ersatzlos streichen. Ich will ihn dahingehend ändern, dass zwei Dinge gewährleistet sind. a) Betroffene Frauen müssen freien Zugang zu Informationen darüber haben. Es kann nicht sein, dass sie von Pontius zu Pilatus laufen müssen. In Bayern zum Beispiel ist es so, dass Beratungsstellen die Listen nicht herausgeben dürfen. Frauen müssen zur Gesundheitsbehörde gehen, und dort dürfen sie sich nur drei Adressen abschreiben.
 
Das klingt unglaublich.
Doch, so wurde es mir gesagt. Es gibt keine Informationsfreiheit. Ich möchte b) erreichen, dass es nicht automatisch unter Werbung fällt, wenn ein Arzt darauf hinweist, dass er Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Es kann nicht sein, dass man Ärzten ein kommerzielles Interesse unterstellt, nur weil sie für den Abbruch ein Honorar verlangen.  

Das heißt, es ist okay, wenn Ärzte für ihre Dienstleistung auf U-Bahnen oder an Haltestellen Reklame machen?
Nein, so etwas will keiner. Aber es muss möglich sein, dass Ärzte von sich darüber informieren. Und das ist in der derzeitigen Fassung nicht möglich.

Die SPD hatte diese Reform des Paragraphen 219a) schon im März dieses Jahres auf der Agenda. Warum hat sie den Antrag zunächst wieder zurückgezogen?  
Das war ein Entgegenkommen der SPD-Chefin gegenüber dem damaligen CDU-Fraktionschef Volker Kauder. Angela Merkel hatte  eine Lösung in dieser Frage in Aussicht gestellt. Einen Tag vor ihrer Wiederwahl zur Kanzlerin war sie zu Gast bei der SPD-Fraktion. Und bei dieser Gelegenheit hat sie gesagt: „Wir finden eine Lösung.“ Was mit der Frau Hänel passiert ist, sollte sich nicht mehr wiederholen. Diese Erwartungshaltung hat die Kanzlerin unmissverständlich geweckt. Wir SPD-Abgeordnete haben keinen Zweifel daran gehabt, dass die Union und die Kanzlerin auch zu ihrem Versprechen stehen.

Aber diese Zusage hat Herr Kauder im März wieder zurückgenommen?
Er hat halt gesagt: Bitte zieht es zurück und stimmt es nicht mit der FDP, Grünen und den Linken ab, weil ich derzeit in meiner Fraktion große Probleme habe und noch Überzeugungsarbeit leisten muss. Seither sind wir in „guten und konstruktiven Gesprächen“, wie man so schön sagt – seit einem Dreiviertel Jahr.  
 
In der Zwischenzeit wurde Herr Kauder als Fraktionschef abgewählt. Ansprechpartnerin in der CDU ist jetzt die neue Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Und sie sagt: Eine Änderung des Paragraphen 219a? Nicht mit mir.  
Das sehe ich aber als völlig irrelevant an. Die Zusage ist uns gemacht worden von Seiten der CDU/CSU.

Von Angela Merkel.
Mir ist es relativ egal, ob die Personen wechseln. Wenn ein Unternehmen sich zu irgendwas verpflichtet, ist es auch völlig wurscht, ob der Vorstandsvorsitzende wechselt. Die Zusage mache ich nicht an der Person fest, sondern an der CDU. Punkt!

Sie meinen die Kanzlerin?
Und Volker Kauder. Beide haben gesagt, dass der Paragraph 219a) abgeändert wird. Wie auch immer man das erreichen mag. Nochmal: Mir geht es um Informationsfreiheit für die Frau und um Rechtssicherheit für die Ärzte. Und jetzt warten wir alle ganz gespannt, wie dieser Vorschlag aussieht.  

Befürworter der Beibehaltung des Paragraphen argumentieren, der Schutz des Lebens, ungeborenes und geborenes, habe eine  „überragende Bedeutung“. Für Sie nicht?
Keine Frau macht es sich leicht und sagt, haha, heute mache ich einen Schwangerschaftsabbruch. Ich bin ein Mann. Ich kann mich in so eine Frau nicht hineinversetzen. Aber ich gehe davon aus, dass man sich so eine Entscheidung nicht leicht macht. Und es ist doch Blödsinn zu sagen, ich entscheide mich leichter für einen Abbruch, weil ich leichter an die Information gelange, wer diesen Abbruch vornimmt. Dieser Paragraph ist ja in der Weimarer Republik schon mal abgeschafft worden. Und dann haben ihn die Nationalsozialisten 1933 wieder eingeführt.

Mit welcher Begründung?
Die Nationalsozialisten argumentierten damals, dass sich eine Frau desto eher für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet, je leichter sie an die Information kommt, wer ihn vornimmt.

Und, stimmt das nicht?
Nein, das ist fast schon eine Verhöhnung der betroffenen Frauen.

Warum?
Weil das eben nicht stimmt. Das ist absoluter Schwachsinn!  

Aber ist es jetzt nicht ein Scheingefecht, das die Groko führt? Eigentlich geht es doch jetzt gar nicht um die Frage, ab wann Information Werbung ist.
Es geht um eine ideologische Auseinandersetzung, da haben Sie Recht. Es ist für einige Kollegen der Union scheinbar eine Gewissensentscheidung, eine ethische Frage. Und wenn das aber so ist, dann nehme ich für mich auch in Anspruch, dass es eine Gewissenentscheidung ist.

Cleverer Schachzug. Sie fordern, dass die Abgeordneten in dieser Frage nicht mehr nach Fraktion, sondern nach ihrem Gewissen entscheiden. Haben Sie mal ausgerechnet, wie viele Stimmen danach für Ihre Forderungen zusammenkommen würden?
Nein. Es wäre dann eine namentliche Abstimmung. Und ich glaube, dass über 90 Prozent der Abgeordneten daran teilnehmen würden ...

... mit dem Ergebnis: Informationsfreiheit und Rechtssicherheit der Mediziner First?
Ich würde sagen, die Chancen stehen sehr, sehr gut, dass es eine Mehrheit für meine Forderungen gibt, jenseits der Union und der AfD, die wahrscheinlich schon per se dagegen ist.

Warum?
FDP, Linke und Grüne haben ja schon angedeutet, sie würden mitmachen.

Nun hat Andrea Nahles aber schon angekündigt, sie wolle keine Abstimmung nach Gewissen. Warum eigentlich nicht?
In jedem Koalitionsvertrag steht, dass man nicht gegeneinander abstimmt. Und wenn jetzt ein Koalitionspartner erklärt, es sei eine Gewissensentscheidung, und der andere Koalitionspartner sagt, nee, ist es nicht, dann würde es dazu führen, dass gegeneinander abgestimmt wird. Und vor diesem Hintergrund entscheidet Andrea Nahles unter Koalitionszwang dagegen, auch wenn sie es privat anders sieht.

Warum sollte sie sich in dieser Frage verbiegen?
Weil die CDU/CSU das sonst als Koalitionsbruch bewerten könnte.

Jetzt wollen Sie eine Gewissensentscheidung erzwingen, wenn der Kompromiss das Werbeverbot erneuert. Auf welchem Weg?
Ich habe der Parteichefin kein Ultimatum gestellt, auch wenn dieser Eindruck entstanden ist. Andrea Nahles hatte beim Juso-Bundeskongress angekündigt, dass sie am 12. Dezember eine Lösung vorlegten würde. Ich habe dann gesagt, dass das spätestens  an diesem Tag zur Abstimmung gestellt werden müsste in der Fraktion, weil es ja die letzte Fraktionssitzung in diesem Jahr gewesen ist. Das war kein Ultimatum, aber ich hätte klarer formulieren müssen. Den Fehler nehme ich auf mich. Jeder Abgeordnete muss für sich klären, ob er es für eine Gewissensfrage hält. Ich kann nur für mich sagen, dass es eine Gewissensentscheidung ist.

Warum ist es nicht zur Abstimmung gekommen?
Andrea Nahles hat gesagt: Wir sind auf der Zielgeraden und dabei, eine gute Lösung zu finden, die alle mittragen können. Das will ich natürlich nicht torpedieren. Man muss das pragmatisch sehen. Jetzt haben wir schon so lange verhandelt, da kommt es  auf ein paar Stunden oder ein paar Tage mehr auch nicht mehr an.

Ist der SPD eine Reform des Paragraphen so wichtig, dass sie dafür die Große Koalition aufs Spiel setzen würde?
Nein, wenn, dann müsste ja der Koalitionspartner sagen: Jetzt habt Ihr nach Eurem Gewissen abgestimmt – jetzt verlassen wir die Koalition. Die SPD würde die Koalition deshalb nicht verlassen. Ich glaube nicht, dass die Koalition an dem Paragraphen 219 a) zerbrechen kann. Der Preis wäre auch für die Union ein sehr hoher!

Anzeige