Organspende - „Die Situation für Empfänger von Spenderorganen ist desaströs“

In kaum einem anderen Land müssen Patienten so lange auf ein Spender-Organ warten wie in Deutschland. Deshalb hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) jetzt zwei neue Gesetze auf den Weg gebracht. Doch was bringt das? Ein Betroffener erzählt

Warten auf eine Spenderniere: Die Bundesregierung will Transplantationen beschleunigen – aber läuft das neue Gesetz nicht ins Leere? / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Herr Burrack, noch nie haben Menschen in Deutschland so lange auf ein Spenderorgan gewartet wie heute. Sie haben selber als 25-Jähriger nach sieben Jahren Wartezeit eine Spender-Niere bekommen. Wie hat sich das angefühlt? 
Man würde ja erwarten, dass die Niere sofort arbeitet, sobald sie wieder mit Blut versorgt wird. Das war bei mir leider nicht der Fall. Ich musste noch einige Male dialysieren. Als das Transplantat dann aber losgelegt hat, war es wie ein neues Leben. Ich konnte wieder alles essen und trinken, und auch die Zeit an der Dialyse entfiel komplett. Dabei reden wir von knapp einem Tag pro Woche, den ich wieder für mich hatte und habe.

Womit fing Ihre Krankheitsgeschichte an? 
Ich bin mit knapp 18 Jahren plötzlich kollabiert, und es war schnell klar, dass da gar nichts mehr geht. Ich hatte eine Autoimmunerkrankung. Der Körper hat Bakterien mit der Niere verwechselt. Er ist gegen den eigenen Körper vorgegangen. Es war ziemlich dramatisch. Ich musste mehr als sieben Jahre lang dreimal pro Woche zur Dialyse. 

Was passiert da?
Ohne funktionsfähige Nieren können Sie nicht pinkeln. Die gesamte Flüssigkeit, die sich zwischen den Dialysen angesammelt hat, muss künstlich entfernt werden. Das heißt, man nimmt jedesmal zwischen zwei und fünf Kilo Wasser ab. Daneben werden aber auch Giftstoffe herausgefiltert. Wenn ich zwischen den Dialyse-Intervallen eine Tafel Schokolade gegessen hätte, hätte ich mich in Todesgefahr begeben. 

Warum?
Schokolade enthält relativ viel Kalium, das kann den Muskelstoffwechsel des Herzens beeinträchtigen. 

Wie hat das Ihr Leben eingeschränkt?
Ich habe damals studiert. Dadurch, dass ich nur wenig trinken durfte und nach einer strengen Diät leben musste, war es sehr viel aufwendiger, soziale Kontakte zu pflegen.    

Nieren sind die am häufigsten transplantierten Organe. Warum ist es so schwer, einen geeigneten Spender zu finden?
Es gibt dafür drei Kriterien: die Blutgruppe, die Wartezeit – und die Gewebemerkmale, von denen sechs berücksichtigt werden. Hier sollte die Übereinstimmung mit dem Spender möglichst groß sein. Man muss unwahrscheinliches Glück haben, damit diese Merkmale auch nur annähernd zusammenpassen. 

Wie haben Sie die Wartezeit überstanden? 
Ich hatte viele soziale Kontakte. Die haben mich davor bewahrt, depressiv zu werden. Schwierig wurde es erst, als ich eine Niere angeboten bekam – und sich dann kurz vor der OP herausstellte, dass die nicht zu mir passte. Ich bin in ein Loch gefallen. Dabei passiert es relativ häufig, dass eine Transplantation in letzter Sekunde doch wieder abgesagt wird. 

Im zweiten Anlauf hat es dann geklappt. Merken Sie es heute noch, dass es nicht Ihre eigene Niere ist?
Ja, die wurde ja nicht da eingebaut, wo die alte Niere gesessen hat, sondern im kleinen Becken. Sie ist sogar tastbar. 

Wissen Sie denn, wer Ihr Spender war? 
Nein. Die Spende ist anonymisiert. Die Angehörigen der Spender können von der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) höchstens die Information bekommen, wie es dem Empfänger geht. Man kann sich als Empfänger mit einem anonymisierten Brief bedanken. Momentan werden diese Briefe von der DSO allerdings nicht weitergeleitet, weil es datenschutzrechtliche Bedenken gibt. 

Würden Sie es gerne wissen?
Schwierige Frage. Einerseits würde ich mich gerne bedanken, weil diese Niere für mich ein unglaublich großes Geschenk war. Andererseits frage ich mich, wie ich mich den Angehörigen dieses Spenders oder dieser Spenderin nähern sollte. Welche Wunden würde ich damit wieder aufreißen? Stellen Sie sich vor, der Spender hat Suizid begangen. 

Jetzt haben Sie ein Buch zum Thema Organtransplantation geschrieben. Was war Ihre Motivation?
Es gibt zwei Gründe. Voraussetzung für eine Transplantation ist, dass Ärzte vorher den Hirntod des Spenders diagnostiziert haben. Es gibt viele Vorurteile und Halbwissen, was diesen Hirntod betrifft. Die Angehörigen sind in einer ganz schwierigen Situation, da der Betroffene wie ein schlafender Mensch auf sie wirkt. Sie können nur schwer verstehen, dass der Mensch tot ist. Einen Leichnam stellen wir uns anders vor. Wenn dann noch spinale Reflexe dazukommen, wird es total schwierig. Und dann kann ich verstehen, dass Angehörige dann sagen: Das will ich nicht.

Und der zweite Grund? 
Ich bin seit 25 Jahren nieren-transplantiert. Ich wollte einfach mal Dankeschön sagen. 

Heiko Burrack / Freund

Ihr Buch liest sich, als wollten Sie den Gegnern des Gesetzesentwurfs des Gesundheitsministers den Wind aus den Segeln nehmen. Der sieht eine doppelte Widerspruchslösung vor. Das heißt: Jeder kann zum Organspender werden, sofern er einer Organentnahme nicht zeitlebens widersprochen hat oder seine Angehörigen nach seinem Tod nicht ihre Unterschrift verweigern.  
Eigentlich finde ich, dass die derzeit gültige Entscheidungslösung die bessere Lösung ist. Sie werden einmal im Jahr von Ihrer Krankenkassen über die Möglichkeit einer Organspende informiert und erhalten dazu einen Organspendeausweis. Als Empfänger habe ich die Gewissheit, dass sich der Spender aktiv mit dem Thema beschäftigt hat. Die Situation für die Menschen auf der Warteliste von Eurotransplant ist im Augenblick allerdings derart desaströs, dass ich der Meinung bin, dass der Gesetzgeber an mehreren Schrauben drehen muss. Eine davon ist die doppelte Widerspruchslösung.

Welche Schraube ist denn die wichtigste? 
Die Frage der Organisation der Organspende in den Krankenhäusern. Im April hat die Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg gebracht, nach dem die Möglichkeiten des Transplantationsbeauftragten massiv erweitert wurden und der gesamte Prozess von den Krankenkassen besser vergütet wird. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Das Problem liegt hierzulande also gar nicht an der mangelnden Spendenbereitschaft der Bürger?
Genau, die Zahl der Organspender-Ausweise hat sich seit 2008 sogar verdoppelt. Es liegt an den Krankenhäusern. Der Arbeitsdruck und der Gewinndruck sind so stark  gestiegen, dass viele Kliniken gar nicht über eine Transplantation nachgedacht haben. Was die Krankenkassen dafür gezahlt haben, war auch nicht kostendeckend. Sie müssen bedenken: Die Organspende ist ein aufwendiger Prozess. 

Können Sie das mal erklären?
Der Kreis der potenziellen Spender ist sehr klein. Voraussetzung ist, dass der Kreislauf zwar noch funktioniert, aber die Hirnfunktionen unwiederbringlich erloschen sind. So ein Hirntod kommt nur sehr selten vor – in kleinen Krankenhäusern vielleicht nur ein- bis zweimal im Jahr. 

Das heißt, Transplantationen haben sich finanziell nicht gelohnt?
Genau, das war ein wichtiges Problem. Sie müssen als Mediziner Gespräche mit den Angehörigen führen. Das ist für alle Beteiligten nicht leicht. Dann muss der Hirntod von zwei Medizinern diagnostiziert werden, das braucht auch noch zwei Tage. Die Organe müssen entnommen werden, eine Multi-Organ-Entnahme dauert vier bis fünf Stunden. Das kriegt man bei einer normalen OP-Auslastung nur nachts hin – mit der Konsequenz, dass die Mitarbeiter am nächsten Tag nicht mehr zur Verfügung stehen. 

Aber wenn die Wirtschaftlichkeit das größte Hindernis war, läuft dann die geplante Widerspruchslösung des Gesundheitsministers nicht ins Leere?
Nein, das sehe ich nicht so. Sie birgt die Chance, dass die Zahl der entnommenen Organe steigt. Deshalb sollte die Politik auch an dieser Stellschraube drehen.  

Können Sie es denn verstehen, warum sich Menschen vor der Beschäftigung mit der Organspende lieber drücken?
Na klar. Wer beschäftigt sich schon gerne mit dem eigenen Tod? Das Thema schiebt man erstmal weg. Meine Frau hat sich damit auch erst beschäftigt, seit sie mich kennt. Und sie ist Biologin.  

Heute arbeiten Sie als Berater für Werbeagenturen. Wie sähe Ihr Leben aus, wenn Sie vor 25 Jahren keine Spenderniere bekommen hätten?
Die Frage ist, ob ich heute noch am Leben wäre. Die körperlichen und seelischen Belastungen durch eine Dialyse sind gewaltig. Ich weiß nicht, ob man das jahrzehntelang überlebt. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Heiko Burrack, Leben hoch zwei. Fragen und Antworten zu Organspende und   Transplantation, medhochzwei, 24,99 Euro. 

 

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